Lange war der Komponist nahezu vergessen. Wer sich mit Schönberg und seinen Adepten befasste, wusste zwar, dass er irgendwie zur »Zweiten Wiener Schule« gehört, aber im Vordergrund stand dabei der biografische Umstand, dass Schönberg seine Schwester Mathilde geheiratet hat. Dass Alexander von Zemlinsky nicht etwa ein Schüler Schönbergs war, wie die meisten anderen Mitglieder der »Wiener Schule«, sondern – wenn schon – Schönbergs Lehrer, gehörte nicht unbedingt zum Allgemeinwissen.
Zemlinsky ist das Bindeglied zwischen Brahms und Schönberg. Zemlinsky studierte bei Franz Krenn und Robert Fuchs, beide glühende Kämpfer gegen die »Neudeutsche Schule« von Liszt und Wagner, später bei Johann Nepomuk Fuchs, dem Bruder Roberts, Hofkapellmeister und Konservatoriumsdirektor. Er kannte die Werke von Johannes Brahms in- und auswendig. Als Pianist gewann er einen Preis mit dessen Händel-Variationen und kurz vor dessen Tod begegnete er dem Komponisten noch selbst. Besonders wird er dessen Motiv-Geheimnisse um f-a-e und f-a-f studiert haben, denn er selbst wählte sich auch Motive und Akkorde aus, die man als kryptografische Zeichen interpretieren kann. Ein Welt-Motiv etwa d-e-g mit einer Variante c-e-h und einen Schicksal-Akkord der einem d-Moll-Akkord eine übermäßige Quarte gis hinzufügt, den alten Tritonus, der schon im Barock als »diabolus in musica«, das Teufelsintervall bezeichnet wurde. Genauso wie das Brahmssche f-a-e auch bei Schumann vorkommt, kommt das Welt-Motiv und vor allem der Schicksal-Akkord auch in Zemlinskys Umfeld vor, bei Schönberg und sogar auch bei Mahler und Strauss. Die erste Verwendung des Schicksal-Akkords wird einer Schülerin Zemlinskys zugeschrieben, Alma Schindler (später Mahler).
Während f-a-e und f-a-f noch als Buchstaben-Spiele gedeutet werden können (»frei aber einsam«, »frei aber froh«), wie auch die von Zemlinsky und Schönberg gleichzeitig benutzte Tonfolge a-h-e (Mathilde, die Schwester Zemlinskys und Gattin Schönbergs, die mit ihrer »Untreue«, die zum Selbstmord von Richard Gerste führte, beiden Sorgen machte), sind Welt-Motiv und Schicksal-Akkord reine Kryptografie und damit – wie auch mit der Art und Weise, wie sie verwendet werden – eine Vorstufe zur Reihenkomposition.
Schon zu seinen Lebzeiten wurde Zemlinsky als Komponist der Moderne gesehen, der aber den entscheidenden Schritt der Abkehr von der Tonalität nicht mitging. War das vor dem Zweiten Weltkrieg noch ein ganz kleiner Vorwurf, führte das danach dazu, dass es furchtbar lange dauerte, bis seine Werke nach und nach wiederentdeckt werden konnten. Eine Rundfunkaufnahme der Florentinischen Tragödie wurde zwar schon 1958 in Bern produziert, aber erst mit der szenischen Aufführung dieses Werks zusammen mit dem Zwerg 1977 in Kiel leitete eine wirkliche Zemlinsky-Renaissance ein, deren erster Höhepunkt die Inszenierung der beiden Werke 1981 in der Hamburgischen Staatsoper bildete.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.