Dienstag, 20. November 2018

Jean-Philippe Rameau

Geboren zwei Jahre vor Johann Sebastian Bach und ihn um 14 Jahre überlebend, ist Jean-Philippe Rameau in mancher Hinsicht ein französisches Gegenbild zu ihm. Neuere Forscher betonen, dass Bach nicht nur für die geistliche Musik brannte. Hätte er einen entsprechenden Posten an einem Hof erhalten, hätte er auch Opern geschrieben. Und diese Opern stünden dann Rameau vielleicht näher als die Opern Händels. Beide, Rameau und Bach, Haben Standards gesetzt. Bach mit seinen kontrapunktischen Kompositionen, Rameau mit seinen theoretischen Schriften. Und beide haben sich in den Augen ihrer Zeitgenossen überlebt. Bach galt bei seinen Söhnen ebenso hoffnungslos altmodisch, wie Rameau schließlich von den Enzyklopädisten – die ihn zuvor als »Aufklärer« auf den Schild gehoben hatten – als Vertreter der Académie royale de musique bekämpft wurde.
Doch Rameau hat genau wie Bach eher für die Zukunft als für die Gegenwart geschrieben. Und bei ihm dauerte es sogar noch länger als bei Bach, bis er »wiederentdeckt« wurde. Erst am Beginn des 20. Jahrhundert haben Pioniere wir Hans Schilling-Ziemssen (München), Émile Jacques-Dalcroze (Genf) und Vincent d'Indy (Paris) Aufführungen seiner Werke – natürlich in ihren jeweiligen Bearbeitungen – betrieben.
Wie die Bachs sind die Rameaus eine Familie von Organisten. In Dijon geboren, zieht Jean-Philippe anders als sein Bruder Claude, der dort bleibt, durch die Provinz. In Clermont-Ferrand schreibt er die Traîté de l'Harmonie Reduite à des Principes naturels, seine berühmte Harmonielehre. Nachdem er mit der Obrigkeit in Streit gerät, weil er zu viel mit Dissonanzen experimentiert, zieh er mit seinem theoretischen Manuskript nach Paris. Es wurde 1722 gedruckt und 1726 gefolgt vom Nouveau Système de Musique théorique. 1727 begegnete er dem reichen Steuerpächter Alexandre Le Riche de La Pouplinière, der ihn von da an als Mäzen förderte und ihm auch die Tür zur Académie royale de musique öffnete, indem er ihm den Librettisten für Hippolyte et Aricie vermittelte. Vier weitere »Tragédies lyriques« schrieb Rameau danach noch, 4 »Opéras« und acht »Ballets«. Die Ballette des 18. Jahrhunderts sind dabei nicht mit den Handlungs-Balletten seit dem 19. Jahrhundert zu vergleichen. In ihnen wird fast soviel gesungen wie in den Opern, die ihrerseits viele »Airs pour ...« enthalten, also rein instrumentale Ballettmusiken.
Hippolyte et Aricie blieb lange im Repertoire der Pariser Oper. Und Rameau arbeitete immer wieder neu daran. So sind insgesamt vier Fassungen überliefert, die sich ähnlich zueinander verhalten wie die verschiedenen Fassungen des Tannhäusers. Von 1733 ist die Fassung der Uraufführung wie auch der danach bereinigten Druckfassung erhalten. 1742 gab es eine Wiederaufnahme, für die Rameau einige Kürzungen vornahm, vor allem im Prolog, dort aber auch Neues hinzukomponierte. 1757 dann die endgültige Fassung, ganz ohne Prolog, denn Rameau gilt als der Komponist, der »den Prolog abgeschafft« hat. Die Ouvertüre (die schon Bestandteil des Prologs war, ihn sogar einrahmte) ersetzte von nun an den Prolog. Dabei hatte Rameau schon in Hippolyte et Aricie dem Prolog endlich eine Bedeutung gegeben, die im Zusammenhang mit der Handlung der Oper stand: Diana entschließt sich, Hippolyte und Aricie zu beschützen. Zu Zeiten des Sonnenkönigs war die Funktion des Prologs ausschließlich auf den Hof bezogen. Die Götter versprachen da dem gegenwärtigen Herrscher und seinen Unternehmungen Schutz.
Die Staatsoper kündigt eine Fassung von 1757 mit Ergänzungen aus der Fassung von 1733 an. Ob das bedeutet, dass vom Prolog etwas übrig bleiben wird, werden wir sehen. Die Bezeichnung »Tragédie lyrique in fünf Akten« lässt vermuten, dass er wegbleibt.
Was wir mit dem Prolog verpassen, ist der Streit zwischen Diane und l'Amour um den Wald des Erymanthos, der durch Jupiter geschlichtet werden muss. Ein eindrücklicher Theatereffekt ist dabei die »Descente de Jupiter« das Herabschweben des Göttervaters aus dem Bühnenhimmel.
1. Akt: Im Tempel der Diana wird Aricie auf das Gelübde vorbereitet. Dazu muss man wissen, Aricie ist die Tochter des Pallas, Thesée's mittlerweile vernichteten Rivalen um die Vorherrschaft in Athen. Damit es in diesem Geschlecht keine Nachkommen gibt, soll sie Priesterin werden. Das ist vor allem der Plan Phèdres, der zweiten Gattin Thésée's. Aricie will aber nicht, denn sie liebt Hippolyte, den Sohn Thésée's. Auch dieser widersetzt sich, was Phèdre so wütend macht, dass sie den Tempel einreißen lässt, was aber wiederum Diana herbeiruft, die den Liebenden Schutz gewährt. Oenone, die Vertraute Phèdres kommt mit der Nachricht, These sei verstorben. Das lässt Phèdre aufhorchen, denn sie liebt insgeheim ihren Stiefsohn und einer Verbindung mit ihm stünde nun nichts mehr entgegen.
2. Akt: Wir sehen nun, dass Thésée tatsächlich von der Erde verschwunden ist. Er wird in der Hölle von der Erinnye Tisiphone gepiesackt, weil er den Übermut besaß, seinem Freund Pirithoüs dabei zu helfen, Proserpina zu entführen, was natürlich misslang. Er ruft Neptun, der ihm drei Mal Hilfe schuldet. Der befreit ihn durch Merkur, der einen entsprechenden Befehl Jupiters an Pluto übergibt. Thésée wird befreit, nicht aber Pirithoüs. Und außerdem muss sich Thésée den Schicksalsspruch der drei Parzen anhören: er kann die Hölle jetzt verlassen, aber er wird zu haus die Hölle finden.
3. Akt: Die Arie der Phèdre am Beginn des Aktes hat Rameau schon bei der Wiederaufnahme 1742 weggelassen. Es spricht aber einiges dafür, dass sie zu den »Ergänzungen aus der Fassung von 1733« gehört, denn es ist einer der schönsten Monologe, die Rameau geschrieben hat – und gesungen wird die Partie an der Staatsoper immerhin von Magdalena Kožená. Sie sucht Verzeihung für ihr Vergehen (die inzestuöse Leidenschaft). Oenone kündigt Hippolyte an. Phèdre und Hippolyte missverstehen sich grundlegend. Bis Hippolyte klar ist, dass seine Stiefmutter ihn liebt und bis Phèdre klar ist, dass er Aricie liebt, dauert es. Dann aber überschlagen sich die Ereignisse. Phèdre verlangt den Tod und Phèdre hat Hippolyte's Schwert in Händen, als der totgeglaubte Thésée auftaucht. Oenone erklärt: Hippolyte habe Phèdre vergewaltigen wollen. Thésée ruft Neptun zum zweiten Mal auf, dass er Hippolyte vernichte. Die Divertissements gelten jetzt dem Meer und den Matrosen.
4. Akt: In einem Diana geweihten Wald bereitet sich Hippolyte auf seine Verbannung vor. Er erklärt Aricie, was wirklich vorgefallen ist. So kann sie nun auch nicht bleiben, denn sie würde das Opfer von Phèdres Zorn. Nun kommt das von Neptun geschickte Meerungeheuer und Hippolyte verschwindet im Durcheinander. Nun bereut Phèdre und will auch sterben.
5. Akt: Auch der ganze erste Teil des 5. Aktes fand später keine Gnade mehr vor dem Rotstift. Thésée hat darin von Phèdre die ganze Wahrheit erfahren. bevor sie sich selbst umbringt. Seine Trauer um den den Sohn wird von Neptune unterbrochen, der verkündet, dass Hippolyte lebt, er, Thésée, ihn aber nie wieder sehen werde. Die Szene danach schließt unmittelbar an den vierten Akt an. Aricie erwacht aus der Ohnmacht. Sie trauert um Hippolyte, doch Diane steigt vom Himmel herab und lässt Hippolyte von Zephyren herbeitragen. Mit Tänzen und einem Nachtigallenlied endet die Oper.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.