Montag, 15. Oktober 2018

Luigi Cherubini: Médée

Cherubini Librettist François-Benoît Hoffmann folgt in seiner Médée weitgehend Euripides, durch die Brille von Racine gesehen. Es geht nur um die letzte Phase der Geschichte in Korinth.
Der 1. Akt beginnt mit einer symphonisch gestalteten Ouvertüre in f-Moll, der man gut anmerkt, dass Beethoven sie genau studiert hat. Der Vorhang geht über den Palast Créons auf, wo  Dircé, die Tochter des Königs (in der Antike wurde sie Glauke oder Kreusa genannt) auf die Hochzeit mit Jason vorbereitet wird. Die Introduktion enthält einen Damenchor und eine Arie der Dircé. Créon und Jason bringen etwas Unruhe mit der Meldung, dass die Kinder Jasons vor Médée geschützt werden müssen, doch Jason hat seine Argonauten mit einem prächtigen Hochzeitsgeschenk mitgebracht und die Zeremonie kann mit einem Marsch fortgesetzt werden. Dircé unterbricht ihn jedoch, weil sie beunruhigt ist. Sie weiß genau, dass Jason mit Médée verheiratet ist und fürchtet deren Rache, nachdem er sie verstoßen hat. Es läge jetzt an Créon, sie zu beruhigen, aber vor seinem »Sostenuto«, in dem er die Götter als Beschützer anruft, muss Jason in einem langen Larghetto versichern, dass die Ehe mit Médée ein einziger Irrtum war. Jason ist der Tenor und die Partie wurde von Pierre Gaveaux gesungen, der nicht nur der absolute Star am Théâtre Feydeau war, sondern selbst auch ein Komponist von vielen erfolgreichen Opern (unter anderem der Vorlage für Beethovens Fidelio). Jason wird nur vom Streichorchester begleitet, während mit Créons Einsatz wieder das ganze Orchester einsetzt und später auch der Chor sekundiert. Tief verschleiert platzt Médée in die Szene und verbreitet durch ihre laute Stimme schon einigen Schrecken. Als sie sich zu erkennen gibt, flieht das große Gefolge. Nur Jason, Créon und Dircé mit ihren Damen bleiben übrig. Jason und Créon hatten offenbar geglaubt, sie sei als Verstoßene folgsam abgereist. Nun macht sie aber ihre Ansprüche geltend und wird erst einmal von Créon als Fremde beschimpft, die hier nichts zu suchen habe. Als das Reden nicht mehr hilft, singt er seine Drohungen erst leise, dann immer lauer. Dircé und ihre Frauen stimmen ein, bevor sie sich mit Créon entfernen. Jason bleibt erst sprachlos, dann hebt er an, er müsse sich von ihr trennen wegen ihrer Verbrechen (die sie ja gemeinsam begangen haben, es geht um die Ermordung von Pelias, weswegen sie aus Iolkos fliehen mussten). Er rechtfertigt sich, dass er die Tochter Créons nur heiratet, um seinen Söhnen Sicherheit zu bieten. In einer Arie bittet Médée Jason zum letzten Mal um Gehör. Sie hat alles für ihn aufgegeben und ist mit ihm ins Exil gegangen. Sie fleht ihn um die Rückkehr zu ihr an. »Undankbarer« schallt der letzte ans Nachspiel der einem barocken Schreittanz verwandten Arie angehängte Ton. Nachdem er ihre Forderung mit ihr zu fliehen abgelehnt hat, kündigt sie ihm ihren Hass an. Ganz im Sinn der Barockoper folgt ein Duett-Finale des 1. Aktes, das den Konflikt aufheizt.
Auch der zweite Akt beginnt mit einem – allerdings kürzeren – sinfonischen Vorspiel. Wir befinden uns jetzt außerhalb des Palastes, im Hintergrund ist der Juno-Tempel zu sehen. In einem langen Monolog ruft Médée die Eumeniden (die Rachegöttinnen) an und verkündet ihre Rachegedanken. Ihre Sklavin Néris kündigt an, dass Créon, durchaus im Einverständnis mit dem Volk von Korinth, ihren Tod fordert und bereits Wachen ausgeschickt hat. Créon fordert sie auf, Korinth zu verlassen, denn er setzt jetzt ganz auf Jason. Sie kommt auch ihm gegenüber noch einmal darauf, dass Jason ohne sie ja das Goldene Vlies gar nicht errungen hätte, sondern in Kolchos untergegangen wäre. In einem großen Ensemble mit Chor bittet Médée bei Créon um Asyl. Der lehnt natürlich ab, worauf sie mit Drohungen beginnt, die den Chor und Néris die Götter um Beruhigung anrufen lassen. Als Médée schließlich nur um einen Tag Aufschub bittet, gibt Créon halbherzig nach. Am Ende ruft Médée noch einmal Jupiter an, Jason nicht entkommen zu lassen. Danach fällt sie in Ohnmacht und Néris beweint in einer einzigartigen Arie mit Solo-Fagott ihren Zustand. Als sie wieder aufwacht, entschließt sich Médée zum Mord. Als Jason kommt, wirft sie ihm noch einmal sein unwürdiges Verhalten vor, aber sie tut jetzt so, als ob sie sich dem Befehl Créons beugen wird und Korinth verlässt. Sie bittet nur darum, die Kinder mitnehmen zu können, was Jason selbstverständlich ablehnt. In einem langen Duett jammert Médée erst, dass sie ihre Kinder nicht mehr sehen wird, doch Jason erwidert sogleich, dass sie sie ja noch sehen kann, solange sie in Korinth bleibt. Danach kann jetzt von beiden Einverständnis simuliert werden. Im Hintergrund sieht man, wie die Kinder – nur von Jason, aber nicht von Médée bemerkt – in den Tempel geführt werden. Jason betet für die Kinder, Médée weiß schon ganz genau, was sie vorhat. Im Finale werden die Hochzeitsfeierlichkeiten weitergeführt. Médée gibt sich ganz zahm und überreicht Dircé sogar ein Hochzeitsgeschenk – das vergiftete Gewand und Diadem. Am Ende reißt Médée ein glühendes Holzstück aus dem Altar und zieht eine Rauchspur über die Bühne, eine Vorahnung auf das Ende.
Im Dritten Akt – wieder nach einem sinfonischen Vorspiel – sehen wir Médée allein in einer unwirtlichen Landschaft außerhalb von Korinth. Sie beschwört die Götter des Styx. Néris bringt ihr die Kinder. In einer ersten langen Arie kämpft sie mit sich, aber bringt es nicht über sich, den Kindern etwas anzutun. Erst als Néris die Nachricht von Dircés Tod bringt, ist sie wieder ganz im Rache-Modus und bereitet in der solistischen Einleitung des ausgedehnten Finales den Kindermord vor. Hinter der Bühne klagt der Chor um Dircé, Jason erscheint, aber es ist alles zu spät, sie stürmt in den Tempel und bringt die Kinder um. Der Schluss ist wie bei Euripides: Der Tempel brennt, Médée entschwindet in die Lüfte und lässt alle verzweifelt zurück. In Ulrich Schreibers Opernführer für Fortgeschrittene liest man etwas anderes, demnach soll Médée als quasi Vorwegnahme der Brünnhilde selbst in den Flammen auch untergehen. Die gedruckte Partitur von 1797 sagt allerdings »…elle s'élève dans les airs.« (»…sie erhebt sich in die Lüfte.«) Und die ausführliche Beschreibung der Berliner Erstaufführung lautet so: »Ein Wink von ihr und ein Wagen, mit feuerspeyenden Drachen bespannt, kommt hervor, auf welchem sie sich in die Luft erhebt. Von allen Seiten sprühen Flammen: unter dem fürchterlichsten Erdbeben zerfällt Tempel und Ballast in Trümmer und ein verheerenden Feuerregen fällt vom Himmel. Während diesen Gräuelscenen flieht das bestürzte Volk…«

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