Dienstag, 13. März 2018

Vom Gefängnis zum Souper und zur Fledermaus

Dass die Autoren der Fledermaus sich das Set nicht selbst ausgedacht haben, blieb nicht geheim. So kündigte das »K. k. priv. Theater an der Wien. Unter der Direktion Geistiger und Steiner« die Uraufführung für den Ostersonntag, den 5. April 1874 an: »Die Fledermaus. Komische Operette in 3 Akten nach Meilhac und Halévy's ”Réveillon“, bearbeitet von C. Haffner und Richard Genée. Musik von Johann Strauß.« Henri Meilhac und Ludovic Halévy waren als Librettisten con Offene acht großen Operetten wohlbekannt in Wien. Nach dem sensationellen Erfolg des Orpheus in der Unterwelt im Carltheater 1860, kamen im Theater an der Wien nach und nach die großen Operetten Offenbachs mit Libretti dieses Duos heraus, so 1865 Die schöne Helena, 1867 Pariser Leben (beide jeweils im Jahr nach der Uraufführung in Paris). Le Réveillon allerdings ist keine Operette, sondern eine Komödie aus dem Jahr 1872, die von dem auf der Ankündigung erwähnten Karl Haffner für das Theater an der Wien übersetzt, aber dort nicht aufgeführt wurde. Aber auch Meilhac und Halévy haben sich das Sujet eines Liebhabers, der in den Kleidern des Hausherrn als solcher verhaftet wird, nicht allein ausgedacht, sie griffen wiederum auf eine deutsche Komödie zurück. Der Leipziger Roderich Benedix (1811–1873) war Schauspieler, Technischer Direktor, Intendant, Hochschuldozent und eben auch Komödiendichter, dessen Erfolge mit denen August von Kotzebues verglichen wurden, den man heute auch nur noch wegen eines Musiktheaterwerks kennt, Der Wildschütz von Albert Lortzing. Die langanhaltendsten Erfolge feierte Benedix mit seinen frühen Stücken Das bemooste Haupt und Doktor Wespe. Das Gefängniß (so schrieb man das halt damals) kam 1851 in Berlin heraus, das Regiebuch und das Rollenbuch, die sich ehemals in der Preußischen Theaterbibliothek befanden, scheinen heute in Köln aufbewahrt zu werden. Meilhac und Halévy fügten das Mitternachtssouper (»Réveillon« bezeichnet speziell das in der Nacht vor Weihnachten, aber auch die Silvesterparty) hinzu, Richard Genée und Johann Strauß den Maskenball.
In 42 Tagen und Nächten im Sommer 1873 entstand Die Fledermaus. Die Zusammenarbeit von Strauß und Genée war enger als die übliche zwischen einem Librettisten und einem Komponisten. Richard Genée (1823–1895) besuchte das Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin und studierte zuerst Medizin und dann Komposition. Er war als Kapellmeister an verschiedenen Theater in Deutschland (wozu damals auch Riga und Reval gehörten, zwei seiner Stationen) und den Niederlanden tätig, bis er 1868 als Kapellmeister an das Theater an der Wien kam. Er hat unzählige Operettenlibretti geschrieben, außer für Strauß auch für Franz von Suppé und Carl Millöcker. Zwei Operetten, zu denen er selbst die Musik (und das Libretto jeweils zusammen mit Friedrich Zelt) geschrieben hat, sind noch bekannt. Der Seekadett (1876) und Nanon, die Wirtin vom Goldenen Lamm (1877). Die erste wegen des »Seekadettenmatts«, einer Eröffnungsfalle im Schachspiel, die zweite, weil daraus eine UFA-Operette wurde. Richard Genée war, wie inzwischen nachgewiesen wurde, auch an der Komposition der Fledermaus beteiligt, manche Nummern hatte Strauß lediglich skizziert und Genée erst ausgeführt.
Nicht erst heute gilt Die Fledermaus als der Klassiker der Wiener Operette. So wie eine französische (Grand) Opéra fast immer 5 Akte hat, hat eine Wiener Operette fast immer drei Akte. Am Ende des zweiten Aktes geht in der Regel alles ein wenig durcheinander, eine Lösung ist in absoluter Ferne, es muss noch etwas gewaltiges passieren – oder auch nicht. Auf jeden Fall gibt es einen allgemeinen Aufbruch und der Zuschauer ist gespannt, wie das alles ausgehen soll im dritten Akt. Dort tritt dann eine neue Figur in Erscheinung, die meist gar keine Musik hat, der »Dritte-Akt-Komiker«. Und genau in diesen beiden Merkmalen erkennt man den Einfluss der Pariser Operette auf die Wiener Operette. Speziell des Orpheus in der Unterwelt. Hier sind es zwar vier (oder zwei, je nach Fassung) Akte, aber der »Cliffhanger« über die Pause hinweg ist vergleichbar. Die Götter beschließen, Pluto in der Unterwelt zu besuchen, wo dann Jupiter in Gestalt einer Fliege nicht nur Eurydike findet, sondern auch Hans Styx begegnet, der zwar auch ein berühmtes Couplet zu singen hat, aber gern von einem Schauspieler dargestellt werden kann. In der Inszenierung von Götz Friedrich vor 35 Jahren an der Deutschen Oper Berlin war es sogar, der als »Frosch« weltweit berühmte Helmut Lohner. Der Aufbruch der Festgesellschaft beim Prinzen Orlofsky in das Gefängnis kann als Zitat aus dem Orpheus verstanden werden.
16 Musiknummern hat Johann Strauß (in Zusammenarbeit mit Richard Genée) für die Fledermaus geschrieben. Je fünf für den ersten und dritten Akt, sechs für den zweiten. Die Abfolge der Nummern, der dramaturgische Aufbau, der Einsatz der Musik, alles ist der Oper näher als dem Singspiel. Nur wenige Nummern sind einfache Couplets, die Finale sind ausgedehnt und einige Stücke, wie der »Csardas« oder das »Uhrenduett« sind mehrteilige Arien oder Duette. Die gesanglichen Ansprüche sind hoch, eine Aufführung mit Schauspielern ist – wenn auch immer wieder probiert und dank spektakulären Inszenierungen manchmal auch erfolgreich – ist eigentlich ausgeschlossen. 1885 traten im Theater an der Wien erstmals Sänger der Hofoper in der Fledermaus auf. 1894 gab es an der Hofoper zum 20. Jubiläum eine von Strauß selbst dirigierte Festaufführung, im gleichen Jahr nahm Gustav Mahler das Werk in sein Hamburger Opernrepertoire auf.


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