Dienstag, 7. November 2017

Monteverdi – Humperdinck – Bock

Noch drei Mal sehen wir uns in Zehlendorf zwischen den Herbst- und den Weihnachtsferien. Eigentlich waren wir mit Le prophète noch nicht ganz fertig, einen kleinen Nachtrag soll es noch geben am 8. November. Das muss hier nich so sehr ausgebreitet werden, denn es geht um einen Interpretationsvergleich. Dann aber soll es weiter gehen auf das Jahresende zu. Zur Auswahl stehen die Premieren von drei ganz unterschiedlichen Werken aus dem 16., dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Das älteste ist L'incoronazione die Poppea von Claudio Monteverdi, diesem allerersten großen Opernkomponisten der schon – kaum war sie erfunden – die Oper gründlich reformierte. Das zweite ist Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck, oft als Weihnachts- oder Kinderoper verkannt oder gar verniedlicht. Und zum Schluss The Fiddler on the Roof, ein Musical, das, wie alle Musicals, die noch geschrieben wurden, als es keine Funkmikrofone gab, einen besonderen Charme entwickelt, wenn es von einem Opernensemble dargeboten wird. Das mag zwar weder der aktuelle Inszenierungsansatz noch die Besetzungspolitik der Komischen Oper sein, aber letztlich ist es doch ein Opernorchester, das spielt, und ein Opernchor, der singt. Der Tradition des Hauses folgend, die eine lange Laufzeit der Inszenierung von Walter Felsenstein von 1971 bis 1988 aufweist, wird das Stück in deutscher Sprache gespielt und hat den ehemals in den nichtsozialistischen deutschsprachigen Ländern (Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz) verwendeten Titel Anatevka.
Tewje der milchiker ist eine Sammlung von jiddischen Erzählungen, von Scholem Alejchem (1859–1916) zwischen 1894 und seinem Tod 1916 geschrieben. Tewje, der Milchmann – die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1921, die englische in den USA 1924 – trägt zum Teil autobiografische Züge. Nach den Pogromen 1905 emigrierte er von Kiew (das damals selbstverständlich auch zum russischen Reich gehörte) nach Odessa. Vom Sozialismus enttäuscht, wandte er sich dem Zionismus zu. Und schließlich wanderte er – mit zwei Anläufen – nach New York aus. Ganz wie Tewje, die Hauptfigur seiner Erzählungen. Joseph Stein stütze sich mit seinem Libretto für das 1964 uraufgeführte Musical auf eine Dramatisierung durch Arnold Perl von 1957 zurück. (Arnold Perl hat nach einer Verlautbarung der Komischen Oper jetzt seine ausdrückliche Genehmigung für die Aufführung erteilt.) Für den Titel allerdings, Der Fiedler auf dem Dach, ließen sich Stein, der Komponist Jerry Bock und der Produzent Harold Prince von einem bildenden Künstler inspirieren. Marc Chagall (1887–1985), der ebenfalls als jüdischer Untertan des russischen Zaren geboren wurde, hat in vielen Bildern einen Geiger platziert. Le violoniste, das Bild von ca. 1911, das in Düsseldorf hängt, zeigt den Geiger noch mit einem Begleiter auf der Straße, aber schon das etwa gleichzeitig mit dem selben Titel versehene Bild, das in Amsterdam hängt, zeigt den »Fiedler auf dem Dach«. Ebenso, das etwa zehn Jahre später gemalte Bild Le violoniste bleu, das heute im Guggenheim hängt. Aus blau ist da grün geworden: The green violinist.
Fast macht es den Anschein, dass die Musical-Schöpfer ein wenig bei Meyerbeer nachgeschaut hätten, wie man einen Erfolg produziert. Die Personen der Handlung geraten in einen politischen Umbruch. Bei Les huguenots war das die Bartholomäusnacht, bei Gustave III ou Le mal masqué die Ermordung des schwedischen Königs, die aufgeklärten Absolutismus dort beendete, bei The Fiddler on the Roof sind es die Pogrome gegen die Juden im späten russischen Zarenreich und das Heraufdämmern der Revolution. Im Zentrum der Handlung steht der Milchmann Tewje. Er hat eine Familie mit fünf Töchtern zu ernähren und unter einen Hut zu bringen. Er ist ein unverbesserlicher Optimist und münzt jede Niederlage in eine sensationelle Neuorientierung um. Die Ungeheuerlichkeit etwa, dass seine älteste Tochter sich ihren Ehemann selbst aussucht, akzeptiert er schnell. Um auch den Rest seiner Familie zu überzeugen erfindet er einen Traum, in dem ihm die Großmutter erschienen sei und eben diese Heirat befohlen habe. Auch die anderen Töchter lösen sich von der Tradition, die am Anfang so eindrücklich besungen wird. Eine verbindet sch mit einem Revolutionär, eine andere heiratet heimlich orthodox. Und die kaiserlichen Truppen zerstören tatsächlich das Dorf Anatewka. Am Ende bleibt allen nichts als auszuwandern. Der Zionismus wird von Tewje angesprochen, aber er wandert nicht nach Palästina aus, sondern – ja, wohin wohl? Das Musical wurde für New York geschrieben! – nach Amerika.

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