Montag, 9. Oktober 2017

Jan Bockelson, die Wiedertäufer in Münster, die Opernbühne

Als unehelicher Sohn eines Dorfschulzen und einer Dienstmagd machte Jan Bockelson eine für die Zeit außergewöhnliche Karriere. Er lernte erst das Schneiderhandwerk und war dann als Kaufmann in ganz Europa tätig. Schließlich wurde er Gastwirt in Leiden, daher der auch gebräuchliche Name Jan van Leiden (oder Leyden). Er war sehr gebildet und gehörte dem Klub der Rhetoriker an. Von dem radikalen Täufer Jan Mathys, der den Pazifismus und die Gewaltfreiheit der ursprünglichen Bewegung ablehnte, wurde er getauft und als »Apostel« nach Münster entsandt, wo er die besten Voraussetzungen fand, ein »Gottesreich« zu errichten. Dort hatte sich das Volk, von reformatorischen Ideen beseelt, mehr und mehr vom Katholizismus und dem regierenden Bischof abgewandt. Bockelson und Mattes errangen mit ihren Anhängern schnell die Mehrheit im Rat. Der vertriebene katholische Bischof belagerte die Stadt mit Moritz von Hessen und seinen Landsknechten. Bei einem Ausfall der Täufer kam Mathys ums Leben und Bockelson stieg zum Alleinherrscher auf, ließ sich zum König ausrufen und errichtete eine Diktatur. Alle Bücher außer der Bibel wurden verbrannt und es wurde eine am Urchristentum orientierte Gütergemeinschaft eingerichtet. Münster als das »neue Jerusalem« oder das »neue Zion« bereitete sich vor, gemäß der Apokalypse 144.000 Bewohner aufzunehmen. Es kamen auch Anhänger der Täuferbewegung aus ganz Norddeutschland und Holland und es kamen vor allem Frauen. Die Einführung der Vielweiberei (bezeugt, wie alles, nur durch die Dokumente der am Ende siegreichen Partei) entsprang sicher einer Laune Bockelsons, der selber 17 Ehefrauen gehabt habe soll, konnte aber auch dazu beitragen, dass der Frauenüberschuss nicht zum Problem wurde und konnte die Erreichung der 144.000 Einwohner begünstigen. Am 25. Juni 1535 erstürmten die kaiserlichen Truppen Münster und richteten ein unbeschreibliches Blutbad an. Wer seinem Glauben nicht abschwor wurde abgeschlachtet. Die Anführer wurden gefangen gesetzt und in Käfigen durch das Land geschleift. Die drei letzten verbliebenen Anführer der Wiedertäufer mit Jan an der Spitze wurden am 22. Januar 1536 gefoltert und erdolcht. Anschließend wurde ihre Leichen in eisernen Körben am Turm von St. Lamberti ausgestellt und angeblich sollen noch 1585 Knochenreste zu sehen gewesen sein. Die eisernen Körbe hängen (natürlich leer) auch heute noch an der Kirche.
Vielleicht sollte erwähnt werden, dass die Baptisten, denen mehrere US-Präsidenten, darunter Clinton, und Martin Luther King angehörten und angehören, nur den Namen und die Praxis der Erwachsenentaufe mit den Täufern des 16. Jahrhunderts gemein haben. Die ersten Baptistengemeinden entstanden in London im 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert kam die Bewegung aus den USA zurück nach Europa. Und in unmittelbarer Nähe der Deutschen Oper Berlin eine ihrer Kirchen, die Friedenskirche, die zu der Zeit, als am Deutschen Opernhaus Der Prophet zum ersten Mal aufgeführt wurde, als Synagoge benutzt wurde.
Die Geschichte des Täuferreichs in Münster kam im 19..Jahrhundert wieder ins Bewusstsein. Einerseits fand es das Interesse einer erwachenden Geschichtswissenschaft und andererseits regte diese Geschichte, die durchaus auch mit gegenwärtigen Strömungen in Beziehung zu setzen war – etwa mit den ersten Ideen des Kommunismus – auch Schriftsteller und Maler an. Aus Meyerbeer Tagebüchern und Briefen geht nicht hervor, ob er den Roman Die Wiedertäufer von Carl van der Velde, der 1822 in Dresden erschienen war, kannte. Auch gibt es keinen Hinweis auf dessen Dramatisierung durch Eduard Lange, die in der Folge auch in Berlin auf die Bühne kam. Aber diese beiden Vorläufer des Prophet zeigen, dass Meyerbeer jedenfalls einen aktuellen Stoff gewählt hatte.

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