Dienstag, 19. September 2017

Szenen aus Goethes Faust

Der Faust-Stoff war schon oft Thema unserer Zehlendorfer Operngespräche. Die Opern von Boito und Gounods haben wir näher betrachtet, wenn sie in Berlin oder anderswo neu auf den Spielplan kamen, die »Konzert-Oper« (auf dem Titelblatt ausradiert, aber noch erkennbar) oder auch »Dramatische Legende« von Hector Berlioz. Aber auch Doktor Faust von Ferruccio Busoni, der sich nicht direkt auf den Text von Goethe bezieht. Wir haben Teile aus der wiedergefundenen Bühnenmusik von Anton Radziwill gehört und wir haben Einzelvertonungen von Liedern aus »der Tragödie erstem Teil« verglichen, etwa von Wagner und Verdi, oder von Schubert und Loewe. Um die Szenen aus Goethes Faust von Robert Schumann haben wir meist einen Bogen gemacht. Dieses durchaus kontrovers diskutierte Werk fand aber n einem ganz anderen Zusammenhang Erwähnung. Als wir in die Welt von Benjamin Brittens Death in Venice eindrangen, haben wir auch über den Dirigenten Benjamin Britten gesprochen und seine Liebe für Schumann – die man durchaus in seiner letzten Oper auch spüren kann. Und da haben wir davon gesprochen, dass er einer der ersten war, der die Szenen aus Goethes Faust ans Tageslicht holten. Er hatte es im Konzert dirigiert und mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie auch für die Schallplatte aufgenommen. Es war eine der ersten Gesamtaufnahmen des Werks.
Schumann hat an dramatischen Werken eine Oper, zwei Oratorien und zwei vokalsinfonische Werke geschrieben, die schwer einzuordnen sind. Die Oper Genoveva nach der mittelalterlichen Legende um Genoveva von Brabant entstand 1847/48, nachdem Schumann sich von der Idee eine Oper nach dem Nibelungen-Stoff zu schreiben verabschiedet hatte. Das Oratorium Das Paradies und die Peri hatte er 1843 abgeschlossen, kurz bevor er sich dem Faust-Stoff zuwandte. Das zweite Oratorium, Der Rose Pilgerfahrt, entstand 1851. Beiden Werke begegnet man ebenso selten im Konzert wie den Szenen aus Goethes Faust. Das »Dramatische Gedicht in drei Abteilungen« Manfred nach Lord Byron schrieb er dazwischen, 1848/49. Die Arbeit an den Szenen aus Goethes Faust zog sich über diesen ganzen Zeitraum noch bis 1853 hin. Und hier ist auch der erste Vorbehalt gegen das Werk begründet. Weil das Werk über so einen langen Zeitraum entstand, mangele es ihm an Einheitlichkeit. Richtig ist dabei, dass Schumann musikalische Neuerungen wie zum Beispiel den Einsatz von Ventilhörnern in den später komponierten Szenen einsetzte, die in den früher geschriebenen Teilen noch nicht vorkommen. Aber neun Jahre ist nun auch nicht wieder ein so sehr langer Zeitraum, vergleicht man etwa mit Wagners Arbeit am Ring des Nibelungen.
Es ist nicht sicher, sogar eher unwahrscheinlich, dass Schumann selbst an eine Gesamtaufführung seiner Faust-Kompositionen dachte. Einzelne Teile wurden zu seinen Lebzeiten aufgeführt, etwa zu Goethe-Gedenktagen. Insgesamt sind es »Szenen«, wie der Titel sagt, es ist kein dramatisches Werk mit einer durchgehenden Handlung. An eine szenische Aufführung hat Schumann vermutlich überhaupt nicht gedacht. In den letzten fünfzig Jahren aber hat sich der Begriff des Musiktheaters wesentlich geweitet. Nachdem schon in den fünfziger Jahren Handels Oratorien als szenische Werke entdeckt wurden, wurden immer mehr Werke, die gar nicht für als Opern konzipiert wurden, auf die Bühne gebracht, bis hin zu den Passionen von Johann Sebastian Bach. Es ist also durchaus an der Zeit, dass es auch mit den Szenen aus Goethes Faust von Schumann versucht wird. Die Ansprüche sind gewiss hoch. Und wenn bei so mancher Inszenierung der Oper von Gounod bemängelt wird, dass die Tiefe Goethes nicht erreicht wird – was meist auch garnciht beabsichtigt war, weil Gounod sich ganz auf die Gretchen-Tragödie konzentriert –, so könnte es hier in die andere Richtung losgehen, denn Gounod bewegt sich durchaus auf einer ähnlichen Ebene wie Goethe. Das beweist auch schon die Auswahl der Texte. Es kommt sowohl der Schluss des zweiten Teils vor, wie auch der Tod Fausts.
Die Partitur der Szenen aus Goethes Faust besteht aus einer Ouvertüre und sieben Sätzen, die in drei »Abtheilungen« gegliedert sind. Die Dreiteiligkeit verbindet das Werk mit Franz Liszts Faust-Sinfonie, die etwa zur gleichen Zeit entstand. Sieben Solisten, Chor und – je nachdem – Kinderchor (die Lemuren, werden gern einem Kinderchor anvertraut) setzt Schumann ein, dazu ein normales Sinfonieorchester, ohne Besonderheiten, wenn man von den Ventilhörnern absieht, die heute natürlich meist für alle vier Hornstimmen verwendet werden.
Der erste Teil besteht aus drei mit Gretchen. Es fängt mit einem Duett mit Faust an (Faust ist Bariton) geht dann zur Szene im »Zwinger« über, »Ach neige, du Schmerzenreiche« und endet mit der Szene im Dom. Der zweite Teil behandelt Fausts Tod und hat ebenfalls drei Sätze. Er beginnt mit dem Sonnenaufgang mit Ariel, bringt um Mitternacht Mangel und Sorge und endet schließlich mit den schlotternden Lemuren. Die Lemuren schuften für Faust und dieses Machtgefühl lässt ihn die fatalen Worte zum Augenblick aussprechen, die seinen Tod besiegeln. Der dritte Teil ist dann folglich der siebente Satz und ist selbst auch wieder in sieben Abschnitte aufgeteilt, beginnend mit der heranschwankenden Waldung und endend mit dem Chorus Mysticus.

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