Dienstag, 7. März 2017

Nikolai Gogol: Der Jahrmarkt von Sorotschinzy

Falls jemand das kyrillische Alphabet im Schlaf beherrscht, so schreibt sich das ukrainische Dorf richtig: Сорочинці. Die heute übliche Umschrift ist Sorotschynzi. Das ist der Ort, wo Nikolai Gogol (Никола́й Васи́льевич Го́голь) 1809 geboren wurde. Noch heute findet dort jeden Sommer im August ein berühmter Jahrmarkt statt. Die Gesellschaftssatire ist die Domäne Gogols, den wir neben Puschkin, Tolstoi und Dostojevski für einen der bedeutendsten russischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts halten. Die heutige Sprachregelung (Wikipedia) heißt natürlich »russischer Schriftsteller ukrainischer Herkunft«. Als Schüler erkrankte Gogol, wurde gehänselt und wehrte sich mit Übertreibungen. 1828 ging er in die Hauptstadt St. Petersburg, wo er vergeblich im Staatsdienst unterzukommen suchte. Auch sein Versuch als Schauspieler zu reüssieren, war nicht von Erfolg gekrönt. Aber 1831 landete er mit seinen Erzählungen Abende auf dem Weiler Dikanka einen literarischen Überraschungserfolg. Große Verbreitung fand sein unvollendeter Roman Tote Seelen und die Komödie Der Revisor. Seine Stoffe regten immer wieder Komponisten zu Opern an. Der Revisor wurde von Werner Egk komponiert. In Deutschland steht die Kammeroper fast so soft wie die Vorlage als Sprechstück auf dem Spielplan. Die Oper Die toten Seelen von Rodion Schtschedrin wird demgegenüber hierzulande eher selten aufgeführt.
Die Abende auf dem Weiler Dikanka bestehen aus zwei Mal vier Erzählungen im dörflichen (ukrainischen) Milieu, in das immer wieder das Phantastische hereinbricht. Eine gehörige Portion Aberglauben hält die Personen fest im Griff. Das ist offenbar ein unerschöpflicher Quell für die russische Oper. Die Titel des 1. Teils sind: Der Jahrmarkt von Sorotschynzi (früher wurde meist Schorotschinzy geschrieben); Der Johannisabend; Mainacht oder Die Ertrunkene; Die verschwundene Urkunde. Die Titel des 2. Teils: Die Nacht vor Weihnachten; Furchtbare Rache; Iwan Fjodorowitsch Schpanka und sein Tantchen; Der verhexte Platz. Drei der acht Titel sind von Mussorgsky, Rimsky-Korssakow und Tschaikowsky zu vier Opern umgeformt worden: Der Jahrmarkt von Sorotschinzy, Mainacht und Die Nacht vor Weihnachten bzw. Die Pantöffelchen (Das ist Tschaikowskys Oper nach der ersten Erzählung aus dem 2. Teil, deren erste Fassung den Titel Vakula der Schmied trägt). Gleichzeitig mit Tschaikowskys erster Annäherung an Die Nacht vor Weihnachten 1874 schrieb auch der ukrainische Komponist Mykola Lysenko eine Oper nach dieser Erzählung. Auch Mainacht diente Lysenko zur Grundlage einer Oper (Die Ertrunkene).
Die bekannte Symphonische Dichtung Taras Bulba von Leoš Janáček folgt dem historischen Roman von Nikolai Gogol, der aber auch eine Oper hervorgebracht hat, wiederum von Mykola Lysenko. Werner Egks Oper Der Revisor war übrigens 1957 nicht die erste nach der gleichnamigen Komödie von Gogol – und auch nicht die letzte. Karel Weis (1907) und Amilcare Zanella (1940) waren schneller (aber auch weniger erfolgreich) und Geiselher Klebe legte 2008 mit Chlestakows Wiederkehr nach. Auch die musikalische Komödie Der Analphabet von Ivo Lhotka-Kalinski variiert das Thema wie auch Der Besuch der alten Dame von Dürrenmatt (und als Oper von Gottfried von Einem).
Auch die zweite Komödie von Gogol fand den Weg zur Opernbühne: Die Heirat von Mussorgsky blieb Fragment (nur der erste Akt wurde komponiert), aber Bohuslav Martinů komponierte seine Oper zu Ende. Die Spieler (Gogols Bühnenstück ist nicht zu verwechseln mit Dostojewskijs Roman Der Spieler) hatte sich Dmitri Schostakowitsch vorgenommen, aber im Gegensatz zu Die Nase nach einer Kurzgeschichte von Gogol, nicht vollendet. Weitere Kurzgeschichten, wie Das Porträt, Tagebuch einer Wahnsinnigen und Der Mantel dienten ebenfalls als Vorlagen für Opernlibretti.
Ab 1874 arbeitete Mussorgsky parallel an Der Jahrmarkt von Sorotschinzy (Сорочинская ярмаркаund Chowanschtschina (Хованщина).  Beide Werke blieben unvollendet als Mussorgsky 1881 starb. Rimsky-Korssakow ergänzte Chowanschtschina und erreichte 1886 eine von der Zensur gekürzte Privataufführung. Erst 1911 gab es die erste offizielle Aufführung. Noch länger dauerte es mit dem Jahrmarkt. 1913 kam es in Moskau zu einer fragmentarische Aufführung mit gesprochenem Text, an den Stellen, wo die Originalpartitur Lücken aufwies. Ab 1917 erschienen verschiedene ergänzte Bearbeitungen der Partitur. Zuerst die von César Cui, 1923 die von Nikolai Tscherepnin, 1925 die von Nikolai Golovanov, 1931 die von Vissarion Schebalin und schließlich an der Met 1942 noch eine von Emile Cooper. An der Komischen Oper wird jetzt die vorletzte von den genannten verwendet. Mussorgsky fügte zwei frühere Kompositionen in seine Partitur ein. Für den Anfang der Oper griff er auf Musik zurück, die er für das Gemeinschaftsprojekt Mlada komponiert hatte. Das sollte eine Ballett-Oper werden mit Musik von vier Komponisten des »Mächtigen Häufleins« (Mussorgsky, Rimsky-Korssakow, Cui, Borodin, ohne Balakirew) und des Ballettkomponisten Ludwig Minkus. Die Oper war zwar nahezu fertig gestellt, aber sie wurde nie aufgeführt. Rimsky Korssakow hat das Libretto dann später komplett neu vertont. Die zweite ältere Komposition ist das Orchesterstück Die Nacht auf dem kahlen Berg, das ebenfalls von Gogol inspiriert ist, allerdings entstammt die Szene der zweiten Erzählung aus der Sammlung. Daraus schuf Mussorgsky eine Traumsequenz mit Hinzufügung von Chor.
Die Oper Der Jahrmarkt von Sorotschinzy hat fünf Bilder in drei Akten. Der erste beginnt mit dem bunten Treiben auf dem Markt. Ein Zigeuner erzählt die schauerliche Geschichte vom Teufel, der alljährlich als Wildschwein verkleidet wiederkehrt und nach einem roten Kittel sucht. Der alte Bauer Tscherewik kommt mit seiner hübschen Tochter Parasja. Sogleich bändelt der junge Bauer Gritzko mit dem hübschen Mädchen an. Das ist dem alten erst gar nicht recht, aber als er erfährt, dass es sich um den Sohn eines guten Freundes handelt, hat er nichts mehr einzuwenden. Es ist schon von Heirat die Rede und Tscherewik verschwindet mit Gevatter Zum ins Wirtshaus. Wie es Abend wird kommen die beiden betrunken wieder heraus und treffen auf Chiwrja, die zänkische Frau Tscherewiks. Die will natürlich nichts wissen von der Heirat und Tscherewik muss nachgeben. Der enttäuschte Gritzko schließt mit dem Zigeuner einen Pakt: der bekommt Gritzkos Ochsen für 15 Rubel, wenn er es dafür schafft, dass Tscherewik seine Meinung wieder ändert. Das zweite Bild ist Gritzkos Traum, es beginnt mit einer ukrainischen Volksweise, die später auch Igor Strawinsky im Le Sacre du Printemps verwendet hat. Gritzko wird von Hexen und Teufeln verfolgt, die erst durch die Kirchenglocken verjagt werden. In Kum Haus, wo sie für den Markt untergekommen sind, streiten Tscherewik und Chiwrja. Endlich geht er und sie hat freie Bahn für ihr Rendez-vous mit Afanassi Iwanowitsch, dem Sohn des Popen. der kommt und frisst sich durch die kulinarischen Köstlichkeiten, die ihm Chiwrja bereitet hat. Viel zu früh kehren Tscherewik und Kum zurück. Sie haben Leute mitgebracht, die ganz aufgeregt sind. Afanassi muss sich verstecken. Die Unruhe kommt daher, dass jemand behauptet, den roten Kittel und den Teufel gesehen zu haben. Die Geschichte vom Teufel ist nämlich die: der hatte seinen roten Kittel einst beim Wirt verpfändet und versprochen, nächstes Jahr zurückzukommen, um sie auszulösen. Plötzlich erscheint ein Schweinsrüssel im Fenster. Alle fliehen. Im dritten Akt finden wir sie alle auf der Straße vor Kums Haus. Der Zigeuner ist mit ein paar Burschen hinter Tscherewik und Kum her. Die Burschen beschuldigen die beiden Alten, ein Pferd gestohlen zu haben. Schon sehen sie sich am Baum hängen. Aber es gibt eine Rettung: Tschrerwik verspricht Gritzko nun endgültig Parasja zur Frau. Da werden sie frei gelassen und auch der Ochsenhandel ist perfekt. Wieder schläft Gritzko ein und hat einen Traum. Es ist der Traum von der Nacht auf dem kahlen Berg wo der Oberteufel Tschernobog sein Gefolge tanzen lässt. Das zweite Bild spielt in einer anderen Straße. Parasja sehnt sich nach Gritzko. Sie vertreibt die düsteren Gedanken mit einem lustigen Lied, der hinzukommende Tscherewik tanzt Gopak dazu. Schließlich kommt Gritzko mit Kum und Tscherewik segnet das Paar. Natürlich protestiert Chgiwrja wieder. Aber der Zigeuner lässt sie einfach von den Burschen weg tragen. Zum Schluss tanzen alle Gopak.

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