Dienstag, 28. März 2017

Der fliegende Holländer

1821 erschien in der literarischen Monatsschrift Blackwood's Edinburgh Magazine anonym eine Erzählung mit dem Titel Vanderdecken's Message Home. Or The Tenacity of Natural Affection (Vanderdeckens Brief, oder Die Dauerhaftigkeit Natürlicher Zuneigung). Die Zeitschrift erschien seit April 1817 und wurde Ende 1980 eigestellt. Im Laufe der Jahre kamen einige bedeutende Romane und Erzählungen darin zur Erstveröffentlichung, darunter Werke von Thomas de Quincy, Edward Bulwer Lytton und Joseph Conrad. Schon zwei Monate später erschien im Stuttgarter Morgenblatt für gebildete Stände eine deutsche Übersetzung der Seemannsgeschichte. Berichte von Geisterschiffen, fliegenden Schiffen und auf dem Meer treibenden Schiffen mit lebloser Mannschaft waren indes schon länger im Umlauf und mochten auch auf echten oder vermeintlichen Beobachtungen beruhen. Luftspiegelungen, die ein weit entferntes Schiff sehr nah oder auch durch die Luft fliegend wie eine Fata Morgana erscheinen lassen, können auftreten. Und in Zeiten von Pest und Cholera war es für betroffene Schiffe schwer einen Hafen zu finden, sie blieben auf dem Meer, bis auch der letzte Mann gestorben war. Nicht alles, was über diese Phänomene berichtet wurde, konnte als Seemannsgarn abgetan werden, aber es ist bezeichnend, dass die Geschichte vom verfluchten Kapitän in dieser Zeit Eingang in die Literatur fand. Während in der anonymen Geschichte – als Verfasser wurde inzwischen eine Angehöriger der East India Company, John Howison, identifiziert – schon von einem Holländer die Rede war und vom Kap der Guten Hoffnung, erschienen nun schnell nacheinander eine amerikanische und eine orientalische Variante. The Storm-Ship von Washington Irving (1822) taucht auf dem Hudson River auf und Das Gespenster-Schiff von Wilhelm Hauff gehört in eine Karawanen-Erzählung. Edward Filzball (1793–1873) verfasste das erste Bühnenstück nach diesem Stoff, The Flying Dutchman; or, The Phantom Ship, das 1827 im Adelphi Theatre in London mit Musik von George Rodwell herauskam, einer Bühne, die durchaus in Konkurrenz mit Covent Garden stand, wo wenige Monate vorher Oberon von Planché mit Musik von Carl Maria von Weber Premiere hatte. diese Aufführung hat Heinrich Heine gesehen, und damit kommen wir zu einer der Quellen Wagners. In den Memoiren des Herren von Schnabelewopsky beschreibt Heine die Aufführung, von der er allerdings behauptet, sie habe in Amsterdam stattgefunden.
1840 kam Richard Wagner nach Paris, das sich anschickte, »Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« (Walter Benjamin) zu werden. Vor allem aber verstand sich Paris als Hauptstadt der Oper. An der »Académie Royale de Musique« konnten die Direktoren aus dem Vollen schöpfen. Eine neue Oper wurde so lange probiert, bis alle Beteiligten mit dem Probeergebnis zufrieden waren. Das konnte durchaus ein halbes Jahr oder länger dauern. Mit Aubers Muette de Portici (1828), Rossinis Guillaume Tell (1829) und Meyerbeers Robert le diable (1831) hatte sich ein neues Genre des Musiktheater etabliert, die »Große Oper«, die besser »Große historische Oper« heißen sollte. Weitere Beispiele sind Gustave III, ou Le mal masqué (1833) von Auber und Les huguenots (1836) von Giacomo Meyerbeer. Wagner hatte bereits ein Werk in seinem Gepäck, das ganz diesem Weg folgte, Rienzi der letzte der Tribunen. Sein Wunsch aber war es, einen Kompositionsauftrag von der Opéra zu bekommen. Wenigstens für einen Einakter. Das brauchte dann nicht ein historischer Stoff zu sein, da konnte ein anderes Genre bedient werden, die »Féerie«. Auch dafür war Paris ein Zentrum. Ballette, Pantomimen und auch Opern nach Märchenstoffen erfreuten sich großer Beliebtheit, an der Opéra-Comique schon seit langer Zeit, nun aber auch an der Opéra. Das Ballett La Sylphide in der ursprünglichen Fassung von Taglioni mit Musik von Schneitzhoeffer kam 1832 heraus, die Oper Le Cheval de bronze von Auber hatte 1835 wiederum in der Opéra-Comique Premiere, sein Le lac des fées 1839 aber in der Opéra. Unmittelbar nach der Uraufführung des Balletts Giselle in der Choreografie von Jean Coralli und Jules Perrot mit der Musik von Adolphe Adam an der Opéra begann Wagner mit der Komposition des Fliegenden Holländers. Da hatte er seinen Prosa-Entwurf bereits verkauft, für Paris konnte die Komposition nicht sein. Pierre-Louis Dietsch, der Chordirektor der Opéra, komponierte Le vaisseau fantôme, in Paris am 9. November 1842 uraufgeführt und bis zum Januar 1843, wo Der fliegende Holländer in Dresden uraufgeführt wurde, noch 11 Mal wiederholt, dann aber vergessen.

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