Dienstag, 22. November 2016

Premierenwochenende mit Manon und Cleopatra

Die Staatsoper und die Komische Oper Berlin bringen am ersten Dezemberwochenende eine sehr bekannte Oper und ein sehr unbekannte Operette heraus. Auf den ersten Blick haben die beiden Werke nichts miteinander zu tun, wir müssen also etwas tiefer graben, wenn wir an die feinen Linien kommen wollen, die beide doch miteinander verbinden. Manon Lescaut (1893) von Giacomo Puccini ist die erste tragische Oper nach dem Roman Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (1731) von Abbé Antoine-François Prévost. Die früheren Bühnenfassungen bewegen sich allesamt im Bereich des unterhaltenden Theaters, vorwiegend in dem der »opéra comique«. Nahezu umgekehrt ist es bei der (im Gegensatz zu Manon und des Grieux) historischen Figur der ägyptischen Königin Cleopatra. Unzählige Opern aus dem 18. Jahrhundert machen sie und ihren Tod zur Idealfigur Kinder »opera seria«. Auch noch die Kantate, die Hector Berlioz 1829 für seinen dritten Anlauf zum »Prix de Rome« schrieb, Cléopâtre (oder oder La mort de Cléopâtre), bedient dieses Segment. Erst Une nuit de Cléopâtre von Victor Massé (1885) nach der gleichnamigen Novelle von Théophile Gautier (1838) brachte die Figur in die Opéra-Comique.
Das 18. Jahrhundert hat vor allem in Frankreich und England zahlreiche Abenteuerromane hervorgebracht, die von den Zeitgenossen als »frivol« empfunden wurden, und die sich gerade wegen der dagegen wetternden Kirchenvertreter und Moralisten schnell verbreiteten. Wie sympathisch die »unmoralisch« handelnden Hauptpersonen darin auch geschildert wurden, es fehlte natürlich nie an Belehrungen und an Warnungen, die den Leser zwar nicht berührten, den Autor aber bis zu einem gewissen Grad vor Verfolgung schützten. Die Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut erschien zuerst nicht in Frankreich, sondern in den Niederlanden, als bald darauf ein Pariser Drucker den Nachdruck wagte, wurde der Roman sofort verboten und da und dort auf den Scheiterhaufen geworfen. Abbé Prévost hatte eigenes Erleben in den Roman eingebracht und ist nicht primär ein Moralist, wie etwa Henry Fielding, dessen The History of Tom Jones, a Foundling (1749) durchaus zur Abschreckung dienen sollte. Seit Erfindung des Buchdrucks existierte die Zensur, es durfte nur veröffentlicht werden, was von den (kirchlichen) Autoritäten genehmigt war. Noch gefährlicher als geschriebenes Wort erschien den Zensoren offenbar das Drama und die Oper. Aber hier gab es im 17. und 18. Jahrhundert noch eine Besonderheit: In der Tragödie  (und damit in der »opera seria« bzw. »tragédie lyrique«) durften nur moralisch einwandfreie hochgestellte Persönlichkeiten auftreten. Moralisch Zweifelhaftes gehörte in die Komödie, wo Diener und andere Nicht-Adelige auch Hauptrollen einnehmen konnten. Das legte die allgemein akzeptierte »Ständeklausel« fest. Eine Besonderheit stellt in diesem Zusammenhang die Figur des Don Juan dar. Ein tragischer Held nach unserem heutigen Verständnis. Und ein Adliger, also einer, der auch in die Tragödie passen würde. Aber sein Tun ist ein nicht vorbildhaft und so wird er in die Komödie verbannt. Es ist kein Trick von da Ponte und Mozart den Stoff in ein »dramma giocoso«, also eine »opera buffa« zu verpacken. Anders hätte der Stoff gar nicht behandelt werden dürfen.
Tom Jones ist eine der ersten Romanfiguren aus dieser Epoche, die auf die Bühne kamen. 1764 wurde eine Dramatisierung von Charles Palissot am Hof in Versailles gezeigt, im Jahr darauf folgte die opéra comique Tom Jones von François-André Danican Philidor in der Comédie-Italienne in Paris. Das Libretto allerdings spart die Figur der leichtlebigen Molly aus, geht also allzu kontroversen moralischen Fragen aus dem Weg.
Als Ballett kam Manon Lescaut 1830, knapp 100 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Romans, auf die Pariser Bühne, getanzt von Maria Taglioni in der letzten großen Choreographie von Jean-Louis Aumer, mit der Musik von Jacques Fromental Halévy. 1836 schrieb Michael William Balfe für Maria Malibran The Maid of Artois. Es war die letzte neue Rolle, die sie kreierte; unmittelbar danach hatte sie ihren Reitunfall, von dem sie sich nciht mehr erholte. Das Libretto zu dieser »Grand Serious Opera« basiert auf dem Ballettlibretto von Eugène Scribe. 20 Jahre danach legte Daniel François Esprit Auber seine vorerst letzte opéra comique vor (nach einer Pause von fünf Jahren schrieb er dann noch weitere vier): Manon Lescaut, lange vergessen, aber in letzter Zeit wieder ein paar Mal aufgeführt. Das Libretto stammte wiederum von Eugène Scribe. 1871 starb Auber, 1884 wagte Jules Massenet eine neue Version der Manon, immer noch als opéra comique. Sie war weit erfolgreicher als Auber Werk. Und von Giacomo Puccini war es geradezu tollkühn, den gleichen Stoff 1893 noch einmal zu behandeln. Aber er hatte ein ganz anderes Konzept. Bei ihm wurde Manon zu einer tragischen Heldin, eine absolute Sympathiefigur. Im 20. Jahrhundert wurde Manon selbstverständlich zur Filmfigur. 1925 entstand in den UFA-Studios in Tempelhof ein Stummfilm mit Marlene Dietrich in einer Nebenrolle. 1949 drehte Henri-Georges Clouzot mit Cécile Aubry eine Manon. Kurz danach entstand dann noch einmal eine Oper nach dem Stoff: Boulevard solitude von Hans Werner Henze.
Giulio Cesare in Egitto (1724) von Georg Friedrich Händel und Cesare e Cleopatra (1742) von Carl Heinrich Graun mögen als Beispiele für Opern um die ägyptische Königin für das 18. Jahrhundert genügen. Berlioz und Massé imm 19. Jahrhundert wurden schon oben erwähnt. In einem der frühesten Musicals, einem Riesenerfolg mitten im ersten Weltkrieg sowohl in London wie am Broadway gibt es ein Lied um Cleopatra: »Cleopatra's Nile«. Das Musical heißt Chu Chin Chow und folgt dem Märchen von Ali Baba und die 40 Räuber. Die  Perlen der Cleopatra von Oscar Straus kamen 1923 in Wien heraus, wo sie allerdings nicht so erfolgreich waren wie in Berlin.

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