Montag, 26. September 2016

Fidelio, Beethovens »Rettungsoper«

Um als Komponist die größtmögliche Anerkennung zu erlangen, muss man eine Oper schreiben. So stellte es sich für Beethoven an der Schwelle des 19. Jahrhunderts dar – so ähnlich ist es auch heute noch. Und damals wie heute sind wirtschaftlicher und finanzieller Erfolg zwei verschiedene Paar Schuhe. Für Beethoven allerdings markierte die Uraufführung der endgültigen Fassung des Fidelio am 23. Mai 1814 auch den Beginn einer Zeit mit verlässlichen Einnahmen. Napoleon war besiegt und verbannt und die Herrscher Europas hatten sich darauf verständigt, in Wien einen Kongress abzuhalten, um die Staatsgrenzen neu zu ziehen und die Machtverhältnisse zu regeln. Am 18. September 1814 trafen die Diplomaten in Wien ein und am 26. September wurde ihnen im Theater am Kärntnertor Fidelio präsentiert. Am 29. November kam in einer »Akademie« im großen Redoutensaal der Wiener Hofburg die Kantate Der glorreiche Augenblick, eine Hymne an das geeinte Europa, die Beethoven extra für den Wiener Kongress komponiert hatte, zur Uraufführung. Ergänzt wurde das Programm u. a. durch die 7. Sinfonie und das Schlachtgemälde Wellingtons Sieg bei Vittoria, die beide zwei Jahre zuvor ihrer Uraufführung großes Aufsehen erregt hatten.
Das 1801 eröffnete Theater an der Wien ersetzte das unweit gelegene provisorische Freyhaustheater auf der Wieden, wo 1791 Mozarts Zauberflöte zur Uraufführung gekommen war. Emanuel Schikaneder, der als Theaterunternehmer Pleite gegangen war, wirkte immer noch als Librettist. Für die Eröffnung hatte er eine große heroische Oper Alexander verfasst. Beethoven lehnte die Komposition ab, deswegen wurde das Theater mit einer Oper des heute vollkommen vergessenen Franz Teyber eröffnet. 1803 trat der Intendant der Hoftheater, Peter Braun, erneut an Beethoven heran, wiederum mit einem Libretto von Schikaneder, Vestas Feuer. Ganz anders als in Spontinis La vestale darf die Vestalin hier am Ende ihren Geliebten heiraten, nachdem die Bösewichte als tot sind. Beethoven komponierte die erste Szene, entschied sich dann aber für einen anderen Stoff und einen anderen Librettisten. Gottfried Treitschke, Joseph Sonnleithner und Joseph Breuning nahmen eine französische Oper als Vorlage, Léonore, ou L'amour conjugal von Nicolas Bouilly, 1798 für den Tenor und Komponisten Pierre Gaveaux verfasst.
Die Oper von Gaveaux gehört zum Genre der »Rettungsoper«. Vorläufer dieses Genres gibt seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, Grétrys Richard Cœur de Lion gehört dazu. Als erste »Rettungsoper« gilt Les rigueurs du cloître von Henri-Montan Berton, uraufgeführt 1790. Der erste große Meister dieses Genres wurde Luigi Cherubini, der 1791 Lodoïska herausbrachte, deren Stoff einem Roman entstammt, der viel später Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss zum Rosenkavalier anregte, Les Amours du Chevalier Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvrai. Die meisten dieser »Rettungsopern« (inklusive Léonore) wurden für das Théâtre Feydeau geschrieben, ein Haus mit 2200 Plätzen, das der Opera-Comique eng verbunden war. Es sind also alles Opern mit Dialogen, ungeachtet der heroischen Stoffe. Statt »Rettungsoper« wird gelegentlich auch der Begriff »Schreckensoper« verwendet, das hat weniger mit dem Schrecken zu tun, den die Zuschauer erfahren, als mit dem Umstand, dass diese Form der Oper besonders zur Zeit der »Schreckensherrschaft« Robespierres populär war.
Die Uraufführung der Oper von Beethoven am 20. November 1805 (unter dem Titel Fidelio, der Titel Leonore zur Unterscheidung von der endgültigen Fassung wurde erst später eingeführt) stand unter keinem guten Stern. Eine Woche davor war Napoleon in Wien eingezogen, das Interesse an Oper war begrenzt in der Stadt. Nach drei Vorstellungen zog Beethoven das Werk zurück und überarbeitete es noch einmal. Die zweite, gekürzte, Fassung kam im März 1806 heraus, erlebte aber nur zwei Aufführungen. Warum Beethoven es erneut zurückzog, ist nicht ganz geklärt.
Die dritte Fassung der Oper unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von den früheren. So ist im ersten Akt die Abfolge der Nummern verändert, aber auch in den einzelnen Nummern gibt es kleine Unterschiede. Änderungen in der Melodieführung, Kürzungen etc. Aus den drei Akten der ersten Fassung wurden zwei, d. h. aus dem 3. Akt wurde das zweite Bild des 2. Im Prinzip verkürzt der Verzicht auf eine zweite Pause den Opernabend wohltuend, da jedoch das Bühnenbild auf jeden Fall umgebaut werden muss, vom Kerker müssen wir auf einen öffentlichen Platz kommen, hat sich die Tradition ausgebildet, als Umbaumusik eine der drei Ouvertüren zu verwenden, die Beethoven ursprünglich komponiert hatte.
Der Text sei nicht auf der Höhe der Musik, heißt es. Deswegen wird seit vielen Jahren damit herumexperimentiert. Es gibt Aufführungen ganz ohne Dialoge und Aufführungen mit von einem Sprecher rezitierten Zwischentexten. Und es gibt Aufführungen mit stark veränderten Dialogtexten. So ganz nachzuvollziehen ist die Aversion nicht, denn Beethoven hat sich eben genau von diesem Text inspirieren lassen und hat sein Augenmerk vor allem auf die Übergänge gerichtet. Die Musik beginnt nie unmotiviert, einfach weil jetzt hier eine Arie stehen muss und sie beginnt in der Regel so, dass sie den Dialog nicht zudeckt oder wegwischt. Außerdem verwendet Beethoven auch die Form des Melodrams, also eines Orchesterrezitativs, in dem nicht gesungen, sondern gesprochen wird.

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