Dienstag, 13. September 2016

Così fan tutte

»So machen es alle« ist die durchaus angemessene wörtliche Übersetzung des Titels, doch die deutsche Sprache differenziert hier das Geschlecht nicht so wie die italienische. »Tutte« nämlich ist weiblich und legt nahe, dass nur die beiden Frauen als wankelmütig und ihrer Identität unsicher dargestellt werden sollen, mit »tutti« wiederum (was Götz Friedrich bei seiner Inszenierung auf den Vorhang malen ließ) wären genau genommen nur die Herren gemeint gewesen. Im 18. Jahrhundert sah sich wohl niemand genötigt, das zu hinterfragen, und auch das 19. Jahrhundert befasste sich mit diesem Detail nicht. Im 19. Jahrhundert galt die Oper nämlich – wenn man sich denn überhaupt mit ihr befasste – als unmoralisch und infolgedessen auch nicht ausführbar. Wagner verstieg sich sogar zu der Behauptung, Mozart habe wegen des für minderwertig erachteten Textbuchs auch schlechte Musik geschrieben. Erst an der Schwelle des 20. Jahrhunderts wurde die Oper wieder entdeckt, Hermann Levi dirigierte sie in München 1896 und Gustav Mahler in Wien 1900. Damit war sie aber noch längst nicht Bestandteil des Standard-Repertoires geworden – und das ist sie, wenn man es nüchtern betrachtet auch heute noch nicht. Zwar wird sie an großen und kleinen Opernhäuser immer wieder aufgeführt, aber eine so sichere Bank wie Die Zauberflöte oder Don Giovanni ist sie aus der Perspektive des Kartenverkäufers. Wirklich beim Publikum angekommen ist sie offensichtlich nicht. Das mag mannigfaltige Gründe haben. Einer davon ist, dass sie vom Rezipienten volle Konzentration erfordert, eigenes Nachdenken und auch die ständige Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen. Berieseln lassen kann man sich davon nicht und wohlige Schauer stellen sich nicht ein, wenn man sich nicht auf das Spiel einlässt.
Der Untertitel lautet »La scuola degli amanti« – das ist geschlechtsneutral im Italienischen wie im Deutschen: »Die Schule der Liebenden«. Così fan tutte ist wahrlich ein Schule. Zunächst war sie für den Librettisten eine Schule, denn er musste ein Libretto für ein feststehendes Ensemble aus drei Sängerinnen und drei Sängern schreiben, die alle gleichwertig behandelt sein sollten. Dann war sie für den Komponisten eine Schule, denn er musste sechs musikalische Charaktere entwickeln, von denen mindestens vier in quasi doppelter Gestalt auftreten. Dann ist Così fan tutte eine Schule für junge Sänger. Kein Mezzosopran beendet sein Studium, ohne »Smanie implacabili« mit verschiedenen Lehrern komplett durchgearbeitet zu haben. Das führt dazu, dass diese Arie auch eine bevorzugte Vorsinge-Arie für junge Sängerinnen ist. Man kann beim »Vorsingen« ganz zuverlässig sehen, ob die Einstudierung auf der Hochschule vor allem eine musikalische Einstudierung war, oder ob die Sängerin die Partie schon einmal auf der Bühne und sei es auf der Bühne der Hochschule in einer Studentenaufführung gesungen hat. Eine besondere Herausforderung allerdings ist die Arie beim Vorsingen für den begleitenden Korrepetitor. Die schnellen Läufe sind – anders als die vergleichbaren Läufe in der Begleitung zur Forelle von Schubert – nicht für Klavier sondern für Streicher geschrieben.
Così fan tutte hat wie alle »opere buffe« bzw. »dramme giocosi« zwei Akte. Der erste Akt weist vier Bilder auf, der zweite drei; das allerdings wird nicht in jeder Inszenierung so genau nachgebildet. Die Musik besteht aus der »Ouvertura« (!) und 29 musikalischen Nummern von der Arie bis zum Sextett sowie den beiden Finali und den verbundenen Rezitativen zwischen den musikalischen Nummern. Die Ensembles sind in der Überzahl, es gibt nur 13 Solonummern, 10 Arien, ein Rondo, eine Cavatina und ein Andante. Jede der sechs Figuren hat zwei Solonummern, jeweils eine im ersten und eine im zweiten Akt. An den fünf Duetten (eines davon ein Duettino) sind nur die beiden »Paare« beteiligt zwei Mal singen die beiden Freundinnen aus Ferrara zusammen, einmal die beiden Herren aus Neapel. Eine Zweisamkeit im Duett erhalten die Paare nur in der quasi experimentellen Zusammensetzung. Also die zwei, die am Ende jeweils heiraten, singen niemals in der Oper ein Duett. Allein das könnte schon ein Hinweis darauf sein, dass am Ende die »Falschen« heiraten. Das allerdings ist eine Betrachtungsweise, die so erst im bürgerlichen Zeitalter entstehen konnte. Im 18. Jahrhundert wusste man auf eine sehr feine Weise zwischen Liebe und Ehe zu unterscheiden, zumindest in Adelskreisen – und in Così fan tutte befinden wir uns in einer Adelsgesellschaft.
Terzette gibt es ebenso viele wie Duette (eines ist ein Terzettino), vier davon allerdings gehören den drei Herren und nur eines ist Don Alfonso und den beiden Damen vorbehalten. Das einzige Quartett ist quasi ein um Despina erweitertes Herrenterzett, während im einzigen Quintett genau Despina fehlt. Das Sextett im ersten Akt ist so etwas wie ein Zwischenfinale, in dem die beiden Liebhaber eingeführt werden.


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