Mittwoch, 24. Februar 2016

Romeo und Julia: Prolog und 24 Szenen

Auch wenn Bellinis I Capuleti e i Montecchi nicht direkt auf Shakespeare zurückgeht, lohnt es sich, seine Oper mit anderen Romeo-und-Julia-Opern zu vergleichen, die sich deutlicher auf die Tragödie beziehen. Wir können dabei nicht alle Vertonungen berücksichtigen und konzentrieren uns auf Berlioz, Gounod und Zandonai. Die fünf Akte Shakespeares teilen sich in zwei Prologe und 24 Bilder auf.
Den Prolog hat Charles Gounod in Roméo et Juliette (1867) in die Ouvertüre integriert. Die anderen Komponisten verzichten darauf und verwenden meist das erste Bild des ersten Aktes als Einstieg, die zum wiedrholten Male ausbrechenden Feindseligkeiten der Häuser Capulet und Mantague, entweder mit Einbeziheung des Fürsten von Verona, oder auch nicht. Nur Berlioz verwendet den Prolog auch, aber er dreht Tumult und Prolog in der Reihenfolge um. Die Nebenfiguren allerdings verschwinden in den meisten Opern im Chor. Oder sie werden zusammengezogen: Tybalt (Tebaldo) ist im Libretto von Romani (für Vaccaj und Bellini) nicht der Cousin Julias, sondern deren Verlobter, vertritt also auch Graf Paris. Selbst wenn Graf Paris etwa bei Gounod als Figur vorkommt, so fehlt doch die zweite Szene Shakespeares, in der er bei Capulet um die Hand Julias anhält, in den Opern. Auch die dritte Szene, in der Julia von der Amme von Paris erfährt, und die vierte Szene, in der sich Romeo und seine Freunde verkleiden, um den Ball bei den Capulets zu besuchen, fehlen in den Opern. Nur Berlioz lässt seinen zweiten Teil auf der Straße vor Capulets Haus mit Festklängen im Hintergrund und schließlich auch dem Fest (5. Szene bei Shakespeare) selbst beginnen. Die Soloszene des Romeo allerdings ist eine Mischung aus der Melancholie Romeos in der ersten Szene und dem Herumschleichen vor dem Balkon im zweiten Akt Shakespeares. Vollkommen neu ist bei Romani/Vaccaj/Bellini das Friedensangebot Romeos als unbekannter Abgesanster der Montagues mit einer Cavatine »Ascolta! Se Romeo t'uccise un figlio«.
Die fünfte Szene des ersten Aktes, das Fest bei den Capulets, auf dem sich Romeo in Julia verliebt, bildet bei Gounod den ersten Akt, einbezogen ist dabei die Erzählung von der Fee Mab aus der vierten Szene und ein Auftritt des Grafen Paris. Die Fee Mab, ein Orchester-Scherzo, wird von Berlioz an das Ende seines zweiten Teils, nach die große Liebesszene verschoben. Bei Vaccaj/Bellini und bei Zandonai gibt es kein Fest.
Der Prolog des zweiten Aktes – schon bei Shakespeare eine Besonderheit – kommt in den Opern nicht vor. Die erste und zweite Szene des zweiten Aktes, Garten und Balkon, füllen den ganzen zweiten Akt bei Gounod. Sie stehen im Zentrum des zweiten Teils bei Berlioz und machen den zweiten Teil des ersten Aktes bei Zandonai aus. Nur bei Bellini fehlen sie, er springt sofort in die Situation des dritten Aktes (mit der Lerche). Die dritte und vierte Szene des zweiten Aktes zeigen bei Shakespeare den Tränke brauenden Lorenzo, der von Romeo besucht wird, der ihn zur heimlichen Trauung mit Julia überredet, und eine Straßenszene, bei der Spottlieder auf Julia gesungen werden. Das interssiert die meisten Komponisten weniger, Gounod verschiebt das Spottlied weiter nach hinten. Bellini ist bei der fünften Szene wieder dabei, wo Julia auf Romeo wartet, allerdings ohne Amme; damit beginnt das zweite Bild. Das führt jedoch nicht zur heimlichen Hochzeit, sondern zur Liebesszene aus dem dritten Akt. Die sechste Szene des zweiten Aktes, die heimliche Vermählung, steht bei Gounod am Anfang des dritten Aktes. Sie wird gefolgt vom Spottlied, auf das der erneute Kampf zwischen den Parteien entsteht, in dem Romeo Tybalt tötet.
Das ist die erste Szene des dritten Aktes bei Shakespeare, an deren Ende die Verbannung Romeos aus Verona steht. Diese fehlt bei Berlioz und Bellini komplett, bei Bellini folgt eine direkte Auseinandersetzung zwischen Romeo und Tebaldo später, aber das Duell wird durch den Trauerzug Julias abgebrochen. Bei Zandonai bekommt sie einen ganz anderen, typisch opernhaften Verlauf: Romeo wird von Tebaldo in Julias Zimmer überrascht und angegriffen, der tötet ihn in Abwehr. Die zweite, dritte und vierte Szene fielen wiederum überall den Kürzungsnotwendigkeiten zum Opfer. Das ist der Inhalt: Julia wartet auf die Amme und Nachricht von Romeo, erfährt vom Tod Tybalts und seiner Verbannung und wünscht ihn noch einmal zu sich; Romeo sucht Zuflucht bei Lorenzo; Paris bringt einen erneuten Heiratsantrag. Die fünfte Szene aber, die letzte Begegnung der Liebenden vor der Abreise Romeos in die Verbannung (die mit der Nachtigall und der Lerche) gehört auch in jede Oper – außer bei Berlioz. Bei Bellini ist sie das Finale des ersten Akten, bei Gounod füllt sie den ersten Teil des vierten und bei Zandonai steht sie im zweiten Akt.
Auch der vierte Akt Shakespeares wird von den Komponisten möglichst kurz abgehandelt. Das ist der Inhalt bei Shakespeare: 1. Bei Lorenzo erscheint zuerst Paris, der ihn um die Trauung mit Julia bittet, dann die verzweifelte Julia, der Lorenzo schließlich das Schlafmittel gibt. 2. Capulet lädt zur Hochzeit ein, Julia willigt überaschend ein. 3. Julia zaudert, bevor sie das Mittel Lorenzos einnimmt. 4. Die Nacht vor der Hochzeit. Vorbereitungen. Die Amme soll Julia wecken. 5. Die scheintote Julia wird entdeckt, Vorbereitungen für den Trauerzug. Nur bei Gounod sehen wir, wie Julia das Schlafmittel einnimmt. Im zweiten Teil des vierten Aktes, nachdem Romeo abgegangen ist erscheint Lorenzo und überreicht ihr das Mittel.
Die erste Szene des fünften Aktes spielt bei Shakespeare in Mantua. Romeo in der Verbannung ist ein Verstoß gegen die »Einheit des Ortes« und wird deswegen von den meisten Komponisten ausgelassen bzw. in die Pause verbannt. Zandonai ist da eine Ausnahme, der seinen dritten Akt in Mantua beginnen lässt, wo Romeo durch einen veronesischen Dialekt singenden Straßensänger von Julias Tod erfährt und dann in einem Zwischenspiel durch das Gewitter nach Verona reitet. Auch die zweite Szene, in der wir erfahren, warum der Brief mit der Nachricht vom Schlafmittel Romeo nicht erreichen konnte (wegen der Pest), fehlt in den Opern. Die dritte Szene jedoch ist eigentlich überall das große Finale. Allerdings endet die Oper oft einfach mit dem Tod der Liebenden und wird die Reue Capulets (die Moral von der Geschichte) ausgelassen. So ist es bei Gounod und Zandonai, und so war es lange Zeit auch bei Bellini, als man nämlich auf eine Anregung der Maria Malibran hin, als Finale die vorletzte Szene der Oper von Vaccaj spielte.

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