Dienstag, 23. Februar 2016

Bellini in Verona

Die Hauptpersonen in I Capuleti e i Montecchi heißen Romeo und Giulietta. Es ist also ist eine Oper über eine »gut ausgedachte« (»excellent conceited«) oder auch eine »bedauernswerte« (»most excellent and lamentable«) Geschichte. Es kommt darauf an, ob man den Druck von 1599 oder 1597 der Tragödie von Shakespeare in den Händen hält. Allerdings fehlt bei Bellini eine Szene, von der man denkt, ohne die könne man die Geschichte von Romeo und Julia gar nicht erzählen, die Balkonszene. Den Balkon des Hauses, in dem Julia gelebt haben soll kann man ja in Verona besichtigen. Aber das kann man erst seit etwa 80 Jahren, vorher war dort ein Stall, den niemand beachtete. Und auch die Komödie Es war die Lerche von Ephraim Kishon, die von dieser Szene ausgehend den Shakespeare etwas durch den Kakao zieht, gibt es erst seit gut 40 Jahren. Man muss eben etwas genauer lesen auf dem Titelblatt. Da wird die Vorlage genau genannt. Und das ist nicht Shakespeare. Felice Romani bezeichnet ein heute völlig unbekanntes Drama als Vorbild für sein Libretto. Der Autor Luigi Scevola (1770–1819) war ein Bewunderer des italienischen Klassizisten Vittorio Alfieri (1749–1803), nicht zu verwechseln mit dem heute lebenden Filmschauspieler gleichen Namens) und verfasste Dramen wie Socrate (1803), Annibale in Britannia (1805) und eben Giulietta e Romeo (1818 im Druck erschienen). Man beachte die Reihenfolge, in der die Liebenden aufgeführt sind. Zuerst das Mädchen, dann der Junge. Sonst sind wir es ja umgekehrt gewohnt: Philemon und Baucis, Troilus und Cressida, Abaelard und Heloisa, Tristan und Isolde etc. Im Italienischen ist aber Giulieta e Romeo die übliche Reihenfolge, es gibt unzählige Dramen und auch Opern mit diesem Titel. Die – nach Bellini – vielleicht bedeutendste, wenngleich äußerst selten gespielte, hat Riccardo Zandonai (1883–1944) komponiert. Doch auch diese orientiert sich wesentlich an Shakespeare, wenngleich das Personenverzeichnis sehr ausgedünnt ist. Selbstverständlich enthält sie die Balkonszene und die Szene in der Gruft, letztere so wie es sich für eine Oper gehört, nämlich mit einer vor dem Tod Romeos aufwachenden Julia, was Gelegenheit für ein letztes Duett gibt.
Zurück zu den Quellen: Alles beginnt bei den alten Griechen, oder spätestens bei den Römern, deshalb verweisen Literaturwissenschaftler auf die Gestalten aus der griechischen Mythologie Hero und Leander, erstmals schriftlich festgehalten von Vergil und Ovid. Das hatte natürlich mit Verona noch nichts zu tun und auch die erste Romeo-und-Julia-Erzählung aus dem 15. Jahrhundert ist noch anders lokalisiert. Im posthum erschienenen Novellino von Masuccio Salernitano (1410–1475) steht als 33. Novelle Mariotto e Ganozza (hier noch der junge Mann zuerst). Nachdem Mariotto einen Verwandten seiner heimlichen Geliebten Ganozza getötet hat, flieht er aus Siena nach Alessandria. Als er zurückkehrt, wird er in der Gruft erwischt und enthauptet. die wieder aufgewachte Ganozza geht für immer ins Kloster. Heimliches Treffen, Mord am Verwandten und Gruft sind schon sehr typisch für unsere Geschichte, aber der Schluss ist noch leicht anders. Der wird sich aber im Lauf der Stoffgeschichte immer wieder ändern. Auch ein glücklicher Ausgang mit Versöhnung der verfeindeten Familien ist denkbar. Die wichtigste Quelle für Shakespeares unmittelbares Vorbild ist aber die Novellensammlung von Matteo Bandello (1485–1561), hier steht (zumindest in der deutschen Ausgabe, frei verfügbar hier) die Erzählung von Romeo und Julia gleich am Anfang. Nach Verona geholt hatte die Geschichte jedoch schon Luigi da Porto (1485–1529) in seiner Historia novellamente ritrovata di due nobili amanti (Kürzlich aufgefundene Geschichte von zwei adligen Liebenden). Darin heißen die Liebende zum ersten Mal Romeus und Giulietta. Auch tauchen hier wesentliche Charaktere wie Mercutio, Tebaldo, Lorenzo und Paris auf. The Tragical History of Romeus and Juliet von Arthur Brooke (1562), auf die sich Shakespeare hauptsächlich stützt, ist eine freie epische Übersetzung der Novelle von Bandello.
Felice Romani (1788–1865) schrieb in etwa zwanzig Jahren 90 Libretti. Von seinen Zeitgenossen wurde er als »neuer Metastasio« gefeiert, er hatte auch ein Angebot, wie jener als Hofdichter nach Wien zu kommen, doch er blieb lieber in Italien und gründete in Turin eine Zeitung. Seine Libretti wurden wie einst die von Metastasio mehrfach vertont. Das Libretto für Verdis zweite Oper, Un giorno di regno hatte Romani 22 Jahre früher unter dem Titel Il finto Stanislao für Adalbert Gyrowetz verfasst. Es ist also nicht erstaunlich, dass Giulietta e Romeo, geschrieben 1825 für Nicola Vaccaj (1798–1848) und 1828 von Eugenio Torriani erneut vertont, 1830 noch einmal für Vincenzo Bellini verwendet wurde. Außergewöhnlich ist aber, dass der Librettist selbst den Text noch einmal bearbeitete. Er kannte den jungen Komponisten und hatte für ihn 1827 schon Il pirata geschrieben.
Auf der Opernbühne erschienen die legendären Liebenden Romeo und Julia zuerst in Deutschland. Im Schloss Friedenstein zu Gotha wurde am 26. September 1776 das Singspiel Romeo und Julie uraufgeführt. Das ist keine zehn Jahre nachdem Christian Felix Weiße (1726–1804) in Leipzig seine Übertragung der Tragödie von Shakespeare als »Bürgerliches Trauerspiel« zur Aufführung gebracht und damit eine »Shakespearomanie« in Gang gebracht hatte. Der Text dieses Singspiels stammte von Friedrich Wilhelm Gotter (1746–1797), dem Autor des Wiegenliedes Schlafe, mein Prinz'chen schlaf' ein. Die Musik hatte Georg Anton Benda (auch: Jiří Antonín Benda, 1722–1795), Mitglied einer weit verzweigten Musikerfamilie, komponiert. In dieser Fassung kommen die beiden Liebenden lebend davon. Es ist die Tradition des »lieto fine«, die man in der Zeit den Shakespeare-Stoffen gern hinzufügte.
Von diesem Brauch hatte sich Scevola schon getrennt. Bei ihm haben wir im 5. Akt das vertraute Finale in der Gruft, das mit einem allzuknappen Reuebeknntnis Capellios endet. Romani verdichtet das Geschehen in zwei Akte bzw. vier Teile mit insgesamt sechs Bildern. Der Titel I capuleti e i Montecchi hilft nicht nur zur Unterscheidung von der Oper Vaccajs, sondern ist auch Ausdruck der besonderen Fokussierung auf den Konflikt zwischen den Parteien. Dieser steht schon im ersten Bild im Zentrum, wo sich die Anhänger Capellios zum Kampf gegen die Montecchi und deren Anführer Romeo verschwören. Dieser kommt inkognito mit einem Friedensangebot, was sie ablehnen (Introduktion, Cavatine des Tebaldo, Cavatine des Romeo). Im größten Kontrast dazu steht das zweite Bild, wo Julia in ihren Gemächern wie schon oft auf Romeo wartet, den ihr Pater Lorenzo heimlich zuführt. Romeo versucht sie vergeblich zur Flucht zu bewegen, sie liebt ihren Vater zu sehr (Arie, Duett). Das dritte Bild ist schon wieder vom Kampf geprägt: Romeo stört mit seinen Parteigängern die Hochzeit Tebaldos und Giuliettas und will Giulietta entführen. Er wird erkannt und in die Flucht geschlagen (Chor, Quartett und Finale). Im vierten Bild erhält Giulietta von Lorenzo den berühmten Trank um sich der nun nicht mehr aufzuschiebenden Hochzeit mit Tebaldo zu entziehen (Szene, Arie und Chor). Im fünften Bild treffen die Rivalen Tebaldo und Romeo direkt aufeinander. Doch bevor sie sich duellieren, bemerken sie den Trauerzug und trennen sich erschüttert (Szene und Duett). In der Gruft schließlich das bekannte Geschehen mit Romeo, der sich am Grab Giuliettas vergiftet, der aufwachenden Giulietta und dem entsezten Capellio samt Gefolge (Chor, große Szene, Cavatine und Deutt).

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