Montag, 15. Februar 2016

Die 337Jahre der Elina Makropulos


Opfer eines geglückten medizinischen Experiments zu sein ist so paradox wie das Lebenselbst. Eine Substanz, die das Leben um 300 Jahre verlängert, danach könntenAlchemisten im Umkreis des von Legenden umrankten Habsburger Kaisers Rudolf II.(1552–1612) durchaus geforscht haben. An seinem Hof in Prag wirkten nicht nurauch heute noch hoch angesehene Astronomen und Gelehrte wie Johannes Kepler undTycho Brahe, sondern auch eine ganze Reihe von Wissenschaftlern mitzweifelhaftem Ruf. Da gab es etwa das spiritistische Duo John Dee (1527–1608)und Edward Kelley (1555–1597). Der frühere Mathematiker Dee suchte über das MediumKelley Kontakt zu Engeln. Rudolf II. misstraute allerdings dem AlchimistenKelley und ließ ihn einsperren. Der polnische Adlige Michał Sędziwój (auch Michael Sendivogius, 1566–1636) jedoch arbeitete ganz offiziell im alchemistischen Labor Rudolfs II. und soll 1604 vor den Augen des Kaisers eine Silbermünze in Gold verwandelt haben.
Auf Karel Čapek (1890–1938) geht ein Wort zurück, das wir heute sehr häufig benutzen, ohne uns zu erinnern, dass es auf die slawische Bezeichnung für Arbeit zurückgeht: Roboter. Der Journalist, Schriftsteller, Dramaturg und Regisseur verwendete den Begriff im Titel eines seiner berühmtesten Werke: R. U. R., Abkürzung für Rossumovi Univerzální Roboti (also Rossums Universal-Roboter). Auf diese Bezeichnung soll ihn sein älterer Bruder Josef Čapek, Maler und Schriftsteller, gebracht haben. Karel Čapek schrieb ganz unterschiedliche Prosa, Dramen, Reiseberichte, auch Kinderbücher, aber die größte Wirkung erlangte er mit seinem utopischen Werk, das dem von Aldous Huxley und George Orwell in seiner Hellsichtigkeit nahe kommt. Die Frage nach der Unsterblichkeit, letzte Konsequenz aus dem Wunsch, den Tod immer weiter hinauszuschieben, verarbeitete er 1922 in einer Komödie Věc Makropulos (deutsch 1927: Die Sache Makropulos). Leoš Janáček sah die Inszenierung des Autors im Prager Theater in den Weinbergen noch im gleichen Jahr und entschied sich bald darauf, daraus eine Oper zu machen, nachdem er sich mit seiner letzten Oper Výlety pana Broučka (Die Ausflüge des Herrn Brouček) nach Svatopluk Čech (1846–1908) schon in die Spuren von Jules Verne und Jacques Offenbach geführt hatte. Jetzt aber ging es ihm nicht um Satire, sondern um ein auch für ihn aktuelles Thema. Er fühlte sich durch die Liebe verjüngt und musste sich selbst die Frage nach dem Tod stellen. Er verwandelte die Komödie also in ein Kriminalstück, das besser in eine der Oper angemessene Form passt, als das zwischeh Zeiten und Welten hin- und herspringende Libretto seines vorangegangenen Werks. Nicht nur steht die Hauptperson durch die Konzentration des Textes viel stäker im Zentrum, es gibt auch eine Jagd auf das Rezept, die über viele Ecken führt wie in einem gut gebauten Räuber-und-Gendarm-Stück.
Musikalisch bleibt Janáček seiner Schreibweise mit »Sprachmotiven« treu, weitet sie jedoch zu einer Polyphonie aus, die Sänger und Instrumentalisten bis zum Letzten herausfordert. Die Komplexität der Partitur ist notorisch, es werden permanent verschiedene Ebenen übereinandergeschoben. Aus mindestens drei Ereignissen ist jeder Takt zusammengesetzt. Alles gleichzeitig wahrzunehmen ist für das menschliche Ohr meistens gerade noch möglich. Janáček geht also nicht so weit wie Charles Ives in seiner etwa gleichzeitig entstandenen 4. Symphonie.
Den Besuchern der Uraufführung war die Vorlage noch ganz gegenwärtig, wir kennen Sie heute gar nicht. Wir kommen also auch nicht in die Versuchung, zu vergleichen. Ist die Komödie pessimistischer, weil der Schluss offener bleibt? Ist Emilia Marty in der Oper menschlicher, weil sie sich von dem gefühllosen Monstrum allmählich in eine sterbliche Künstlerin verwandelt?
Auf jeden Fall ist aus Emilia Marty eine wirkliche Diva geworden, in dem Sinne wie Tosca eine Diva ist. Und wie in Les contes d'Hoffmann eine Bühnenaufführung hinter den Kulissen eine Rolle spielt, ist auch hier eine Art von »Theater auf dem Theater« realisiert, die sehr viel über die Bühnenfiguren erzählt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.