Dienstag, 17. März 2015

Mittelalter in Hamburg 1728

Die mittelalterliche Sage von dem Schreiber Karls des Großen Eginhart (auch Eginhard oder Einhard), der von Emma, der Tochter des Frankenkönigs, heimlich geliebt wird und sich – um Fußspuren im Schnee zu vermeiden – von ihr über den Hof tragen lässt, ist bei Ludwig Bechstein im Deutschen Sagenbuch, Leipzig 1853, nachzulesen. Frühere Aufzeichnungen sind in den Antiquitates laurishaimenses zu finden, der lateinischen Chronik des Klosters Lorsch aus dem Jahr 1631, und in den Apophtegmata teutsch des Spruchdichters Julius Wilhelm Zincgref (1591–1635) zu finden. Eine weitere Quelle ist der niederländische Moralist Jacob Cats (1577–1660), der die Geschichte als Mandragende Maeght, ofte Beschrijvinge van het Houwelinge van Emma, Dochter van den Keyser Charlemagne ofte Karel de Groote, met Eginhard, des selfs Secretaris in der Sammlung Trou-ringh, met den Proef-steen van den selven als episches Gedicht behandelte. 1673 taucht sie in den Kuriosen Helden-Briefen des schlesischen Lyrikers Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616–1679) auf.
Die hessische Stadt Seligenstadt verbindet ihren Namen einer Legende nach mit der Geschichte von Karl und seiner Tochter Emma. Dahin nämlich soll Einhard mit Emma geflohen sein und da soll Emma in einem Gasthaus Pfannkuchen kredenzt haben. Kaiser Karl soll auf der Durchreise den unvergleichlichen Geschmack erkannt und darauf folgenden Reim gemacht haben: »Selig sei die Stadt genannt, da ich meine Tochter [Emma] wiederfand«. Einhard, der Verfasser der Vita Karoli imperatoris (besser unter dem Titel Vita Karoli Magni bekannt), der Hauptquelle für das Leben Karls des Großen, starb 840 im dortigen Benediktinerkloster. Da hieß die Stadt noch Obermulinheim oder superior Mulinheim; der Name Seligenstadt ist erst im 10. Jahrhundert bezeugt.
Der Historiker Otto Abel (1824–1854) veröffentlichte eine Übersetzung der Geschichte aus der Lorscher Chronik und führte dabei an, dass Einhard tatsächlich mit einer Imma verheiratet gewesen sei, es sich dabei aber keineswegs um die Kaisertochter handele. Wilhelm Busch machte 1864 eine Bildergeschichte aus der Legende.
1728 feierte die Oper am Gänsemarkt in Hamburg ihr Jubiläum. Das 1678 gegründete Unternehmen stellte einen Sonderfall in der Welt der Barockoper dar: Nach dem 1637 eröffneten Teatro San Cassiano in Venedig war es das zweite Opernhaus, das nicht vom Hochadel, meistens einem regierenden Fürsten, betrieben wurde, sondern von der Bürgerschaft. Und es war das erste Opernhaus, in dem vorwiegend in deutscher Sprache gesungen wurde. Mit 2000 Plätzen war es größer als die heutige Hamburger Oper (und auch größer als alle Berliner Opernhäuser). Der erste Musikalische Direktor war Johann Theile (1646–1724), der bedeutendste seiner Nachfolger war Reinhard Keiser (1674–1739), der ab 1697 an der Gänsemarkt-Oper wirkte. 1722 übernahm Georg Philipp Telemann die Musikalische Leitung.
Eine wichtige Rolle an der Gänsemarkt-Oper spielte in dieser Zeit der englische Gesandte Thomas Lediard (1685–1743), der auch Literat und bildender Künstler war. Er trug zahlreiche Bühnenbilder bei und er übersetzte Terrassons Roman Sethos, die Hauptquelle für die ägyptischen Elemente in der Zauberflöte ins Englische. Christoph Gottlieb Wend, der eine Reihe Libretti für die Gänsemarkt-Oper schrieb, († 1745) übersetzte diesen Roman ins Deutsche.
Johann Mattheson (1681–1764), der schon 1704 mit Georg Friedrich Händel in Streit geraten war und sich der Legende nach mit ihm duellierte, führte als Domkapellmeister (seit 1718) einen Feldzug gegen die Gänsemarkt-Oper, der er Sittenlosigkeit vorwarf. Die Geistlichkeit und ein Teil des Rates waren natürlich auf seiner Seite. Besonders störten ihn die komischen (und oftmals auch wirklich derb-komischen) Szenen auf der Bühne. Ein besonders verwerfliches Beispiel war ihm Reinhard Keisers satirisches Singspiel Die Hamburger Schlachtzeit, in dem gesungen wurde: »Ich bin zwar ehrlich, Fromm und keusch; doch hungert mich nach Jungfern-Fleisch.« Dem Libretto zu Die Last-tragende Liebe, oder Emma und Eginhard stellten Wend und Telemann einen Brief an das Publikum voran, den man nur versteht, wenn man ihn vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzung sieht. Das Publikum wird beschworen, doch der Oper die Treue zu halten und es wird ihm versprochen, dass – wie gewohnt – komische und tragische Szenen sich abwechseln würden. Die drei Akte der Oper enthalten in 10 Bildern 116 Nummern: Rezitative, Arien, vier Duette und nebst der Ouvertüre zwei Orchesterstücke und zwei Chöre. Die Personen sind: Carolus Magnus (Bass), Emma (Sopran), Fastrath (Alto), Eginhard (Baritono), Urban (Tenore), Barbara (Mezzosoprano), Adelbert (Alto), Wolrad (Tenore), Alvo (Basso), Steffen (Tenore), Ein Nachtwächter (Basso), Eine Stimme aus den Wolken (Basso). Die Handlung beginnt operntypisch mit dem Ende eines Krieges, hier der Sachsenkriege, wobei Karl als derjenige gefeiert wird, der den Sachsen das Christentum brachte. Im 1. Akt positionieren einerseits sich die Feinde Eginhards, während andererseits die Liebe Emmas aufkeimt. Im zweiten Akt stehen die Briefe im Mittelpunkt, die sich Emma und Eginhard schreiben, einer ist ein förmliches Liebes-ABC, das vorgelesen wird. Außerdem verkündet Fastrath, die Steifmutter Emmas, in einer Arie: »Heirat muss bei Fürstenkindern ein Staats- und nicht ein Liebesopfer sein.« Im 3. Akt dann geschieht das Unerhörte, die Frau trägt den Mann, was die Verhaftung zur Folge hat und uns an einen beliebten barocken Bühnenort bringt, in den Kerker. Denn »Die Majestät will Straf' und Rache« (Arie des Carolus). Im Angesicht des Schafotts schwören sich Emma und Eginhard »Ich, ich, ich will sterben für dich, / soll eines unter uns verderben.« Alle wollen den Tod Eginhards, doch jetzt regt sich das Gewissen Karls, die »Stimme aus den Wolken« singt: »Widerstrebe nicht der Regung, die dich zum Erbarmen zeucht.« Steffen stellt die verkehrte Welt wieder auf die Füße: er trägt seine Barbara, wie es sich gehört und nicht umgekehrt. Das überzeugt nun Karl und er lässt die Liebesheirat seiner Tochter zu. Es gibt sogar noch ein drittes glückliches Paar, Emmas Freundin Hildegard und der zum Christentum bekehrte Sachse Heswin. Wiewohl der bedeutende Musikwissenschaftler Helmut Christian Wolff schon in seinem Standardwerk Die Barockoper in Hamburg von 1957 Emma und Eginhard als Hohepunkt dieser Epoche bezeichnete, sind Aufführungen rar. 1973 wagte sich Magdeburg im Rahmen der Telemann-Festtage erstmals daran, 1981 gab es eine Aufführung in Hamburg in kleinerem Rahmen und 1998 kam es erneut in Magdeburg zu einer Aufführung. 2008 spielte das Theater in Gießen die Oper. Es gibt bisher keine Gesamtaufnahme dieser Oper, nur einige wenige Einzelnummern, die jedoch kaum das Werk repräsentieren können, schon gar nicht die Aufnahme von zwei Arien des Eginhard von René Jacobs, der hier die Baritonpartie in seine Altus-Lage transponiert.

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