Montag, 9. März 2015

Aufnahmen vergleichen

Wir haben am letzten Mittwoch verschiedene Interpretationen zweier berühmter Opernszenen miteinenader verglichen. Zu erst ging es um »Celeste Aida«, die berühmte und bei den Sängern auch berüchtigte Auftrittsarie des Radames in Giuseppe Verdis Aida. Nur wenige Sänger kommen überhaupt in die Nähe der dynamischen Vorgaben in den letzten Takten. Auch wenn man die für jede Aufnahme notwendige Kompression – also das Anheben der leisen Stellen und das entsprechende Zurücknehmen der lauten – in Rechnung stellt, so ist vom Forte (nicht Fortissimo) auf der Fermate »ergerti (un trono)« zum pppp im folgenden Takt meist nur eine Andeutung zu hören. Die Fermate wird geschmettert und danach wird es etwas leiser, aber nicht allzusehr. Ganz wenig lauter sollte es danach wieder werden, zuerst ppp, dann pp. Von pp, also Pianissimo, sollte der letzte Aufschwung »un trono vicino al sol« auf das hohe B sein, auf dem dann (ausgehend von eben diesem Pianissimo) ein Morendo vorgeschrieben ist. Davon ist selten etwas zu hören. Stattdessen oft ein Applaus heischendes undifferenziertes Herausschreien der Schlusstöne. Und wenn es einer versucht, ist er nicht sicher davor, dass ihm die Fans folgen, denn die flasche Interpretation hat sich schon so weit verbreitet, dass sie als die »richtige« angesehen wird. Es geht aber auch anders, wie wir bei Carl Martin Oehmann (einem Star der Städtischen Oper Berlin in den 20er Jahren) hören konnten. Eine andere Frage in dieser Arie betrifft das »Il tuo bel cielo vorrei ridarti …«, von Verdi ppp und »parlante«, also gesprochen, vorgeschrieben. Gibt es hier einen anderen Ausdruck? Gibt es überhaupt unterschiedliche Farben für die verschiedenen Abschnitte der Arie.
Danach haben wir den Schlussmonolog des Hans Sachs in zwei exemplarischen Aufnahmen angehört. Beide in Bayreuth, zuerst 1951 von Karajan dirigiert und von Otto Edelmann gesungen, dann nur 8 Jahre davor von Jaro Prohaska gesungen und von Furtwängler dirigiert. Zwei vollkommen verschiedene Welten nicht nur wegen der äußeren Umstände – Durchhalte-Spiele 1943 und Wiederaufbau 1951 –, sondern wegen des gänzlich unterschiedlichen Zugriffs auf die Musik. Karajan ganz von der Melodie kommend, Furtwängler vom Wort.
Die »Register-Arie« und andere Ausschnitte aus Don Giovanni von Mozart hatten wir schon früher einmal in verschiedenen Interpretationen verglichen.
Wenden wir uns jetzt Donizetti zu. In dieser Spielzeit an keinem Berliner Opernhaus zu sehen ist La Favorite. Das soll sich ja ändern, dann können wir uns noch einmal etwas ausführlicher damit befassen. Jetzt geht es um »Ange si pur« bzw. »Spirto gentil« des Fernand (Fernando) im vierten Akt. Es ist eine ganz schlichte Arie in C-Dur. Nur wenige Vortragsbezeichnungen, das Piano am Beginn gilt für die ganze Arie, es wird nur durch Akzente und kleine Decrescendi und Crescendi variiert. Das Crescendo und Rallentando vor der Coda mündet ausdrücklich wieder in ein Piano für die Phrase mit dem einzigen hohen C. Das Einfache ist das Schwierige. Die »Sonata facile« von Mozart ist nicht fern von dieser Arie. Nach den oberflächlich zu indentifizierenden technischen Anforderungen »leicht«, ist es umso schwerer, den richtigen künstlerischen Ausdruck zu finden. Nimmt man den Notentext genauer unter die Lupe, soi findet man, dass von Legato-Bögen wenig Gebrauch gemacht wird, dafür einzelne Phrasen durch kleine Pausen voneinander abgetrennt werden. Nimmt man an, Donizetti habe sich vorgestellt, dass der Sänger nur in den Pausen atmet, wird die Arie plötzlich extrem schwer. Erst im letzten Achtel des vierten Taktes, gibt es die erste Pause. Das hält kaum einer durch. Meist ist nach zwei, manchmal schon nach einem Takt Schluss. Dabei gibt es ein ziemlich eindeutiges Indiz, dass Donizetti es schon wörtlich gemeint hat: Bei der Wiederholung gibt es die Achtelpause schon im ersten und auch im zweiten Takt. Dafür gibt es dann um das schon erwähnte hohe C herum für wiederum etwas mehr als vier Takte gar keine Pause.
Carmen von Goerges Bizet ist das nächste Werk, dem wir uns zuwenden. Wir sind es gewohnt, die Titelpartie von einem Mezzosopran oder Alt zu hören. Das war allerdings nicht immer so, schon die Sängerin der Uraufführung, Célestine Galli-Marié, wird zwar normalerweise als Mezzosopran bezeichnet, sie debütierte aber in Pergolesis La serva padrona und hatte ihre ersten großen Erfolge in The Bohemian Girl von Balfe, also in typischen Sopranrollen. Sie war dann die erste Mignon und eben auch die erste Carmen. Beide Partien waren in der nächsten Generation Paraderollen von Geraldine Farrar. Auf der ersten Schallplatten-Gesamteinspielung, 1907 in Berlin aufgenommen, singt ebenfalls eine Sopranistin: Emmy Destinn. Auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Sopranistinnen, die sich auf Carmen einließen, genannt seien Julia Migenes-Johnson (mit ihr gibt es einen berühmten Film und Victoria de los Angeles. Wir wollen uns mit der Arie befassen, die tiefer liegt als die übrige Partie und insofern die Besetzung mit einer tiefen Frauenstimme nahelegt, der »Kartenarie«. Wie die »Blumenarie« des Don José, die Teil seines Duetts mit Carmen im 2. Akt ist, ist sie Teil einer längeren Nummer, des Trios (Terzetts) Nr. 20. Die Orchesterbegleitung (zuerst nur die tiefen Streichinstrumente) beginnt pp, die Singstimme kommt ebenfalls pp (»très également et simplement« – »sehr gleichmäßig und einfach«) dazu.

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