Dienstag, 4. November 2014

Jan van Leiden und die Wiedertäufer in Münster auf der Opernbühne

Als unehelicher Sohn eines Dorfschulzen und einer Dienstmagd machte Jan van Leiden eine für die Zeit außergewöhnliche Karriere. Er lernte erst das Schneiderhandwerk und war dann als Kaufmann in ganz Europa tätig. Schließlich wurde er Gastwirt in Leiden, wo er auf die Bewegung der Wiedertäufer in Münster aufmerksam wurde. Jan Mathys holte ihn als »Apostel« in die Stadt, wo sie beide mit ihren Anhängern schnell die Mehrheit im Rat errangen. Der vertriebene katholische Bischof belagerte die Stadt mit Moritz von Hessen und seinen Landsknechten. Bei einem Ausfall der Täufer kam Jan Mathys ums Leben und Jan van Leiden stieg zum Alleinherrscher auf, ließ sich zum König ausrufen und errichtete einen Gottesstaat, in dem allein nach der Bibel regiert wurde. Ob tatsächlich die Vielweiberei eingeführt wurde und er selbst 17 Frauen ehelichte, ist nicht eindeutig nachzuweisen. Die entsprechenden Dokumente sind alle von seinen siegereichen Gegnern überliefert, die ein Interesse daran hatten, den Besiegten in einem möglichst schlechten Licht darzustellen. Es wird aber schon richtig sein, dass alle Bücher außer der Bibel verbrannt wurden und dass die Täufergemeinde in einer Gütergemeinschaft lebte, die sich am Urchristentum orientierte. Die drei letzten verbliebenen Anführer der Täufer mit Jan an der Spitze wurden am 22. Januar 1536 gefoltert und erdolcht. Anschließend wurde ihre Leichen in eisernen Körben am Turm von St. Lamberti ausgestellt und angeblich sollen noch 1585 Knochenreste zu sehen gewesen sein.
Schon kurz nach der Uraufführung der huguenots 1836 plante Meyerbeer zusammen mit seinem Librettisten zwei neue Opern, das erste Projekt hatte den Arbeitstitel L'africaine, das zweite Les anababtistes. Das erste kam erst nach dem Tod des Komponisten auf die Bühne, allerdings unter dem ursprünglichen Titel, obwohl sich der Inhalt wesentlich geändert hatte und die exotische Titelfigur nicht mehr in Afrika, sondern in Indien residierte. Auch das zweite Projekt veränderte sich im Laufe der Arbeit und wurde schließlich unter dem Titel Le prophète 1849 uraufgeführt.
Das spektakuläre Ende der Widertäufer im explodierenden Rathaus stand von Anfang an fest. Diese Freiheit gegenüber der realen Geschichte ist typisch für die Opéra. Das bürgerliche Publikum erwartete den großen Bühnenspektakel ebenso wie die große Gesangskunst. Zwei der Protagonisten der huguenots sollten wieder dabei sein. In beiden Opern sollte die weibliche Hauptpartie von Marie-Cornélie Falcon verkörpert werden, der Interpretin der Valentine in Les huguenots. Doch während einer Aufführung der Oper Stradella von Louis Niedermeyer verlor sie 1837 unwiederbringlich ihre Stimme. Deswegen legte Meyerbeer L'africaine vorerst zurück und wandte sich zuerst den Anabaptisten zu. Hier war ja ohnehin der Tenor wichtiger und noch glaubte Meyerbeer, Duprez würde die Partie des Jan singen können. Die Idee, die Verlobte Berthe (die der Falcon zugedachte Partie) zugunsten der Mutter des Propheten, Fidès etwas zurückzunehmen, verband Meyerbeer mit dem Direktor der Opéra. Allerdings hatte der Direktor seine Lebensabschnittsgefährtin Rosine Stolz für die Partie der Fidès im Sinn, während Meyerbeer für Pauline Viardot-García komponierte.
Eine erste Fassung der Oper war 1841 fertig komponiert und wurde bei einem Notar in Paris hinterlegt. Meyerbeer ließ keinen Zweifel, dass er einer Aufführung nur zustimmen würde, wenn eine für ihn befriedigende Besetzung gefunden wäre – und davon war man weit entfernt. Andererseits hatte er sich gegenüber dem Librettisten vertraglich verpflichtet, die Oper bis zu einem bestimmten Zeitpunkt fertigzustellen, ansonsten hätte er Vertragsstrafe zahlen müssen. Auch die Partie der Bertha war komplett ausgeführt, obwohl es noch keine Besetzungsidee gab und Meyerbeer die Arien eigentlich erst komponieren wollte, wenn er wusste für wen er sie komponiert.
Leider ist diese Fassung von 1841 nicht zu rekonstruieren, denn Meyerbeer hat die Partitur nach der vereinbarten Sperrfrist wieder ausgelöst und sie dann für die endgültige Fassung mit entsprechenden Änderungen verwendet.
Dennoch kommt seit 1990 nach und nach eine Fassung der Oper zum Vorschein, wie sie Meyerbeer geplant hatte, aber nicht zur Aufführung bringen konnte. Bis dahin war man auf den Erstdruck der Partitur angewiesen, der nach der Uraufführung vom Verlag Brandus herausgegeben wurde. Auch die ausgedehnte Ouvertüre, die verloren galt, ist wiedergefunden worden. Aber auch ein paar bedeutende Varianten bekannter Stücke. Es gibt nun eine alternative Auftrittsarie der Berthe. Die Herausgeber der Meyerbeer-Werkausgabe empfehlen allerdings ganz auf eine Auftrittsarie zu verzichten, weil sie erst eingefügt wurde, als die endlich gefundene Sängerin Jeanne Anaïs Castellan, darauf bestand.
Der gravierendste Unterschied zur gewohnten Fassung ist vielleicht der Anfang des berühmten Krönungsmarsches. Der fängt in der Originalfassung nämlich ganz leise mit zwei Klarinetten an und baut sich allmählich auf, während wir die pompöse Fassung mit dem Fortissimo-Beginn des ganzen Orchesters gewohnt sind, die auch auch gut für den Konzertgebrauch eignet. Aber es gibt weitere Varianten, die durchaus entscheidend sind, so etwa im Walzer der Landleute am Anfang des zweiten Aktes wurde offenbar kurz vor der Uraufführung der Choral der drei Täufer gestrichen, nicht nur ein wichtiges Erinnerungsmotiv, sondern auch ein Hinweis darauf, wie sich die Täufer bei den Bauern einschmeicheln.
Außerdem enthält die Neuedition natürlich eine ganze Reihe von Musik, die vor der Uraufführung aus verschiedenen Gründen gekürzt wurde, entweder so wie die Ouvertüre, um Zeit zu gewinnen, oder um die Partie des Jean zu vereinfachen. Duprez konnte ja schon längst nicht mehr singen, man musste einen neuen Tenor finden, dessen Möglichkeiten aber weit hinter denen von Duprez lagen.

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