Montag, 10. November 2014

Don Giovanni – was Neues?

Eigentlich nicht. Seit wir uns das letzte mal mit diesem Werk befasst haben – es ist ja noch gar nicht so lange her –, hat jedenfalls die Forschung nichts Neues zutage gefördert. Eine neue Bühneninterpretation immerhin gibt es: Benedikt von Peter hat im Mai diesen Jahres in Hannover eine Inszenierung vorgelegt, die radikal neu ist und doch eigentlich nur das beim Wort nimmt, was man immer schon wusste. Don Giovanni ist ein Nachtstück? Bitte sehr: es gibt kein Licht, die Sänger agieren im Dunkeln, verfolgt von Infrarot-Kameras (so viel Licht, dass sie nicht übereinander stolpren gibt es natprlich). Die Figur des Don Giovanni ist nicht zu fassen, jeder hat seine eigene Vorstellung von dieser Kunstfigur? Also: Don Giovanni tritt körperlich nicht auf. Alles was über ihn erzählt wird wird durch die Reaktionen der anderen auf ihn erzählt. So könnte man die Inszenierung Benedikt von Peters in jedem Detail weiter beschreiben. So aber wird es ganz sicher nicht, wenn Herbert Fritsch zum ersten Mal in der Komischen Oper Berlin inszeniert. Hier wird bestimmt nicht das Konstrukt der Bühnenfigur ins Zentrum gestellt, sondern wohl eher der Drang zur Anarchie dieses unbändigen Bühnenstücks aus der Zeit kurz vor der französischen Revolution. Wir werden sehen.
Vorerst befassen wir uns mit Mozart und seinem Librettisten Da Ponte. Sie hatten zusammen bereits eine revolutionäre Oper geschrieben, die sie allerdings an der Oberfläche so glatt polierten, dass jeder Zensor darauf hereinfallen musste. Es geht um Le nozze di Figaro, deren französische Vorlage von Beaumarchais als Sprechstück schon längst verboten war. Auch in Paris durfte es nach wenigen Vorstellungen nicht mehr gespielt werden. In Wien wollte Schikaneder, der Impresario aus der Vorstadt, der später mit Mozart zusammen Die Zauberflöte schrieb, Die Hochzeit des Figaro im Theater auf der Wieden aufführen. Es wurde verboten. Mozart und Da Ponte gingen so geschickt dabei vor, dem Kaiser und seinen Schranzen weiszumachen, sie hätten alles Revolutionäre aus dem Stoff ausgetrieben, dass es heut noch manch einer glaubt.
Es ist nicht verwunderlich, dass in Prag, weit vom Wiener Hof, Die Hochzeit des Figaro ein ncoh weit größerer Erfolg war. Und dass die Prager »Stände« die beiden Autoren beauftragten, eine Neue Oper für ihr Theater zu schreiben. Die Wahl fiel auf einen Stoff, der nicht weniger revolutionär war, als Die Hochzeit des Figaro. Nur man sieht das nicht gleich. Vordergründig hört man die Geschichte eines Wüstlings, der nur seiner eigenen Lust lebt, bis er einen Schritt zu weit geht und in den Abgrund stürzt. Das ist die bereits alte (im 14. Jahrhundert angesiedelte) Legende von dem »bestraften Bösewicht«, die seit dem 16. Jahrhundert neben den Puppenspielen vom Faust auf Jahrmärkten das Volk entzückte und erschauern ließ. Im 17. Jahrhundert wurde der Hidalgo Don Juan aus Sevilla zur Bühnenfigur, zuerst gestaltet von dem spanischen Mönch Gabriel Téllez. Viele weitere Dramatiker folgten noch im gleichen Jahrhundert, darunter Molière. Meist kam die Titelfigur dabei am Ende ums Leben, nur selten wurde ihm eine »Umkehr« zugestanden. Immer aber ist die Form der Komödie gewählt, was mit der »Ständklausel« zu erklären ist. Als Tragödie galt ein Werk nicht wegen des tödlichen Ausgangs für seine Hauptfigur(en), sondern wegen der vorbildlichen Haltung der Adligen Personen, die sich wohl in tragische Schuld verstricken konnten, aber keinesfalls gegen die göttliche Ordnung dergestalt aufbegehren durften, dass sie sich einfach zügellos gaben. Zügellosigkeit konnte ein Merkmal für Personen niedrigem Stand sein. Diese konnten aber als Hauptpersonene nur in Komödien auftreten. Die Autoren der Don-Juan-Stücke waren etwas im Zwiespalt: Don Juan und seine Gegenspieler bis auf wenige Ausnahmen sind von adligem Stand. Eine Spielhandlung um sie könnte sehr wohl Teil einer Tragödie sein. Da sich aber Don Juan zügellos verhält, kann er keinesfalls Vorbild sein, also muss das Ganze eine Komödie werden. Das ist auch der Grund dafür, dass Mozart und Da Ponte die Form des Dramma giocoso, also der opera buffa wählten.

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