Dienstag, 14. Oktober 2014

Lucrezia vor Respighi und Britten

Im Jahre 1715, das ist das Gründungsjahr von Karlsruhe, wurde folgendes Libretto gedurckt: Opera genannt die Romanische Lucretia in einem Singspiel aufgeführt auf dem durlachischen Schauplatz, in die Musik gesetzt von Casimir Schweizelsperg. Auch das Aufführungsmaterial ist in der Baden-Württembergischen Landesbibliothek erhalten und es gibt auch schon eine gedruckte Neuausgabe. Es ist die einzige erhaltene von den fünf, sämtlich in Durlach zwischen 1712 und 1717 aufgeführten, Opern des Komponisten, der 1668 in Rosenheim geboren wurde und dessen letztes Lebenszeichen 1722 die Entlassungsurkunde des Fürstbischofs von Speyer zu seiner letzten Kapellmeisterstelle in Bruchsal ist. Zum Stadtjubiläum nächstes Jahr wollte der Karlsruher OB eine Aufführung der Lucretia organisieren. Das Projekt kam aber nicht zustande. So müssen wir weiter darauf warten, die Musik zu Gehör zu bekommen. Interessant ist, dass auch in dieser Dramatisierung des Lucretia-Stoffes das Komische Element eine Rolle spielt, ja sogar deutlich breiteren Raum einnimmt als in Thomas Heywoods »tragedy« von 1608. Nicht weniger als vier »lustige« Personen bevölkern die Bühne und geben zum Teil sehr zotige Kommentare ab. Als Schweizelsperg einige Jahre später das Werk auch in Nürnberg zur Aufführung bringen wollte, wurde er dazu aufgefordert, die »unschicklichen« Teile wegzulassen oder zu verändern. Der Klagegesang der Lucretia in der dritten Szene des dritten Aktes ist eine Passacaglia. Es ist nicht bekannt, ob Britten das Werk kannte. Möglich wäre es immerhin, Ludwig Schiedermair hatte schon 1913 in den Sammelbänden der Internationalen Musikgesellschaft eine ausführliche Analyse veröffentlicht. Die Anregung zu seinem Trauermarsch in Anlehnung an eine Passacaglia (Marsch und Passacaglia widersprechen sich, der Marsch ist 4/4, die Passacaglia 3/4) hat sich Britten zweifellos von englischen Vorbildern, namentlich bei Henry Purcell und dessen Dido and Aeneas geholt.
Schon vor Schweizelsperg näherte sich dessen jüngerer Zeitgenosse Händel dem Stoff in einer Kantate, die 1706 in Florenz zur Aufführung kam. Ein weiteres Auftreten der römischen Heldin ist  noch im 18. Jahrhundert zu erwähnen: In Die Liebe im Narrenhause (1794) von Carl Ditters von Dittersdorf (1739–1799) tritt in der letzten Szene eine Sängerin auf, die von sich glaubt, die geschändete Lukrezia zu sein.
Eine »große ernsthafte Oper in 2 Akten« Lucretia schrieb Heinrich Marschner 1820 bis 1822. 1823 kam die Ouvertüre in Leipzig zur Uraufführung und wurde zwar von Teilen der Kritik gelobt, vom Publikum aber abgelehnt. Auch Marschner selbst war mit der Aufführung unzufrieden und machte das berühmte »aber kabalistische« Gewandhausorchester für den Misserfolg verantwortlich. 1827 wurde die Oper, die nach Marschners Bekunden noch vor seiner Kenntnis von Carl Maria von Webers Freischütz komponiert worden war, mit seiner Frau in der Titelpartie in Danzig uraufgeführt. Dennoch klingt die Ouvertüre zumindest ein wenig nach Weber. Das Vorbild für die Oper war nach Marschners Bekunden jedoch Gaspare Spontinis La vestale.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.