Dienstag, 23. September 2014

Ariadne

Umzugsbedingt gab es letzte Woche keinen Blogbeitrag. Wir haben uns im Kurs wie geplant nach einem kurzen Nachtrag zu Dinorah mit Ariadne auf Naxos befasst. Und mit Strauss geht es diese Woche weiter. Nachdem wir uns also die mythologischen Hintergründe in Erinnerung gerufen haben (Mitotauros, Daidalos, Theseus, Dionysos) und damit wieder einmal zu den Ursprüngen des Theaters zurück gekommen sind, schauen wir uns diese Woche die Musik von Strauss und anderen etwas genauer an. Wie immer betrachten wir dabei nicht nur das, was in der entsprechenden Oper (oder im Konzert) erklingt, sondern auch das, was zum Umfeld gehört und vom Komponisten mitgedacht oder auch glatt ignoriert wurde.
Max Reinhardt also ging es um Le bourgeois gentilhomme (Der Bürger als Edelmann), eine »comédie-ballet« von Molière und Jean-Baptiste Lully, die am 14. Oktober 1670 auf Schloss Chambord zur Uraufführung gelangte. Die Komödie ist zeitlos, denn immer gibt es Menschen, die »etwas Besseres« sein wollen und sich dabei lächerlich benehmen, und ebenso gibt es immer Menschen, die im Bestreben, sich ja nicht zu blamieren, sich den lächerlichsten Gebräuchen unterordnen. Um dem Sonnenkönig zu gefallen, hat Molière eine »cérémonie turque« aufgenommen, in der die Türken nicht bedonders gut aussehen (auf Youtube gibt es das hier musikalisch zu hören). Frankreich war nämlich in kriegerische Auseinandersetzungen mit dem Osmanischen Reich verwickelt und geau ein Jahr vorher hatte es ein unschöne Szene zwischen einem türkischen Gesandten und Ludwig XIV. gegeben, nach der sich beide zutiefst beleidigt sahen. Ludwig war es also daran gelegen, die Türken lächerlich aussehen zu lassen. Aus den fünf Akten Molières machten Hugo von Hofmannsthal und Max Reinhardt zwei. Das war, wie die Geschichte lehrte, noch immer zu viel, denn die Uraufführung zusammen mit der Erstfassung der Ariadne auf Naxos am 25. Oktober 1912 im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten der Stuttgarter Hoftheater (im »Kleinen Haus«, das nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufgebaut wurde), endete unter anderem deswegen in einem Fiasko, weil der Abend insgesamt viel zu lang war. Im Diner am Ende des zweiten Aktes, das zur anschließenden Oper überleiten sollte, hat Strauss musikalische Elemente der »turqueries« des 17. und 18. Jahrhunderts aufgenommen, insbesondere die extensive Verwendung von Becken und Triangel (auf Youtube hier zu hören).
Die Aufführung im Kleinen Haus bedingte ein wesentlich kleineres Orchester als es Strauss bislang in seinen Opern eingestezt hatte. Wenn man seine Ouvertüre zur Komödie (auf Youtube hier) mit dem Anfang von Elektra (den Film von Götz Friedrich gibt es bei Youtube hier, die Musik beginnt bei 0:50) oder Der Rosenkavalier (bei Youtube dirigiert Carlos Kleiber hier, die Musik beginnt bei 2:32) vergleicht, hört man, dass musikalisch ein neues Zeitalter beginnt. Das Klavier, das in den vorherigen Opern noch keine Rolle gespielt hatte, ist jetzt ganz im Vordergrund. Es vertritt das Cembalo in der Barockmusik, indem es nicht nur die Harmonien füllt, die im ausgedünnten Orchestersatz manchmal unvollständig bleiben, sondern auch rhythmische Akzente setzt. Der Unterschied ist nicht ganz so krass wie bei Strawinsky der im Sacre du printemps auch noch das riesige spätromantische Orchester einsetzt (»Danse sacrale« bei Youtube hier) und wenige Jahre danach – jetzt allerdings auch als Zeichen einer kriegsbedingten Reduzierung – in L'histoire du soldat nur noch sieben Instrumente einsetzt (hier bei Youtube).
Als sich Strauss und Hofmannsthal entschlossen aus Ariadne auf Naxos eine eigenständige Oper ohne Bezug auf Molière zu machen, erdachten sie zunächst einen komplett neuen Text für das Vorspiel. Sie führten – als Ersatz für Jourdain und das ganze Personal aus dem Bürger als Edelmann einige ganz neue Personen ein: den Komponisten, den Musiklehrer, den Haushofmeister und noch einige Nebenfiguren. Der Haushofmeister ist die einzige Sprechrolle. Für die Figur des Komponisten nahmen sie sich Octavian aus dem Rosenkavalier zum Vorbild (der seinerseits einiges von Cherubino in Le nozze di Figaro von Mozart hat). Der Musiklehrer ist ein etwas freundlicherer Faninal. Strauss nahm außerdem in paar Kürzungen vor. Das betrifft vor allem die Arie der Zerbinetta, die in der ersten Fassung (gesungen von der gleichen Sängerin, die im Vorjahr in Dresden die Sophie gersungen hatte) noch virtuoser ist und noch höhere Spitzentöne aufweist. Die allerersten Aufnahmen dieser Arie geben natürlich noch doe erste Fassung wieder (so eine Aufnahme mit Hedwig Francillo-Kaufmann, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts in Berlin an der Hofoper und an der Komischen Oper (an der Weidendammer Brücke) engagiert war und seit 1912 in Hamburg wirkte. Aber auch später stellten sich Sopranistinnen im Konzert gern dieser Herausforderung. So Edita Gruberova 1983 (hier durch Youtube dokumentiert).

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