Mittwoch, 10. September 2014

Nach der Premiere ist vor der Premiere

Gestern Abend: Premiere Oresteia von Iannis Xenakis auf dem Parkdeck der Deutschen Oper Berlin. Das Wetter hat gehalten, es war nicht einmal so sehr kalt. Karten waren begehrt, wer eine übrig hatte, konnte sie ganz schnell am Eingang loswerden. Vier Vorstellungen gibt es noch, Eile ist geboten, aber auch Zuversicht, dass es nicht so schnell kälter und nasser wird. Oresteia ist, davon war ja schon die Rede, keine Oper im gewohnten Sinn. Vielmehr geht die Kunstform an die Wurzeln der Oper zurück, an die Wiederbelebung des antiken Dramas. Hier aber, im Gegensatz zu den Modellen aus der Renaissance, die neue Dichtungen verwandten, am originalen Text von Aischylos. Und dennoch: ein immer noch modernes Werk, obwohl es auf die 60-er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückgeht. Die beiden entscheidenden Einschübe allerdings – die einzigen wirklichen Soloszenen, Kassandra und La Dresse Athéna – wurden erst sehr viel später geschrieben. Sie sind für einen Bariton, der auch falsettiert bzw. einen Countertenor, der auch die Bruststimme einsetzt, geschrieben. Wie in der griechischen Tragödie, soweit ihre Aufführungspraxis überliefert ist, tritt dabei der Solist (es waren in der Antike nur Männer, die als Schauspieler auftraten, auch für die Frauenrollen) aus dem Chor hervor. Den Text des Chores singt er in der natürlichen männlichen Stimme, den Text Kassandras aber in der Frauenstimmlage. Es erinnert an eine Oper, die in Berlin 1991 uraufgeführt wurde, Antigone oder die Stadt von Georg Katzer. Der Komponist hatte die Rolle des Teiresias für den damaligen Star der Komischen Oper, Jochen Kowalski, geschrieben. Konzipiert wurde die Oper in der späten DDR mit unterschwellig widerständigem Potential. Zur Unterscheidung von offiziellen und privaten Äußerungen setzte er die Alt- und die Baritonstimme des Sängers ein. Ob er dabei von Xenakis inspiriert war, ist nicht bekannt. Möglich wäre es, aber ebenso plausibel ist es, dass das Verfahren eben zu der Zeit der 80-er Jahre gehört.
Die nächste Premiere nun ist Le Pardon de Ploërmel von Giacomo Meyerbeer, besser, aber auch nicht wirklich bekannt unter dem Titel Dinorah. Der erste Titel aber wäre der richtige für die Aufführung der Deutschen Oper Berlin in der Philharmonie, denn zum ersten Mal wird hier die kritische Neuausgabe der Originalfassung aufgeführt. Premiere ist übrigens ein Euphemismus, die Oper wird tatsächlich nur ein einziges Mal aufgeführt. Hoffentlich haben schon alle ihre Karten besorgt, es ist schon sehr gut verkauft. Und zur Erinnerung: am 1. Oktober findet deswegen auch kein Volkshochschulkurs "Zehlendorfer Operngespräche" statt. Wir treffend uns alle in der Philharmonie.
Grundlage des Librettos ist eine bretonische Scatzsucher-Legende. Emile Souvestre, dem sir schon vor einigen Jahren begegnet sind, weil er die Bewegung der Chouans beschrieben hat, eine katholisch-bretonische Widerstandsgruppe zur Zeit der Schreckensherrschaft nach der Französischen Revolution, die eine Rolle spielt in Marie-Victoire von Ottorino Respighi, hatte in französischen Zeitschriften mehrere solche bretonischen Geschichten in der Revue des deux Mondes veröffentlicht, auf die sich das Libretto bezieht, darunter Les chercheurs de trésor (Die Schatzsucher) und Le Kacouss de l'Armor (schwer zu übersetzen, Kacouss ist eine Volksgruppe, Armor ist eine bretonische Gegend). Le Pardon de Ploërmel (Die Wallfahrt von Ploërmel ist eine ungenaue Übersetzung, das "Pardon" ist die gemeinsame große Bitte um Vergebung vor der Kirche zum Abschluss der Feierlichkeiten) bezieht sich auf einen Ort etwa 40 Kilometer von der Küste entfernt. Etwas näher an der Küste ist Auray, hier gibt es bis heute (wie auch in vielen anderen bretonischen Orten) eine solche Tradition, hier die Homepage der Kathedrale von Auray. Die Wallfahrt ist nur die Folie für die Geschichte, weil sie alljährlich stattfindet, ergibt sich daraus genau der Zeitraum der (natürlich vergeblichen) Schatzsuche. Die Schatzsuche selbst erinnert ein wenig an den Freischütz, dort wird zwar nicht nach einem Schatz gesucht, aber es taucht auch ein geheimnisvoller Abgesandter des "Bösen" auf, der Bedingungen stellt. Und auch eine Jahresfrist spielt eine Rolle, allerdings erst im Nachgang als Probejahr. In Dinorah stellt der Unbekannte dem Hoël den Schatz in Aussicht, wenn er sich ein ganzes Jahr als Einsiedler von den Menschen zurückzieht. Das Teuflische daran ist, dass derjenige, der den Schatz als erster berührt, binnen eines Jahres sterben muss. Deswegen sucht Hoël nach einem dummen Jungen, der mit ihm den Schatz hebt und ihn dann als Erster berührt. Doch der arglose Ziegenhirt Corentin wird von der verrückten Dinorah gewarnt und zieht sich aus dem Geschäft zurück. Dann stellt sich auch noch heraus, dass Hoël der Bräutigam Dinorahs ist, der vor einem Jahr verschwand (und damit zu Dinorahs Wahnsinn wesentlich beitrug). Das gute Ende folgt bald, das ganze Jahr wird einfach vergessen und Dinorah und Hoël können heiraten wie sie es vor einem Jahr bei der Wallfahrt vorhatten.
Meyerbeer komponierte die Oper 1859 für die Sängerschauspieler der Opéra-Comique, die wesentliche Teile der Handlung im gesprochenen Dialog vorzutragen gewohnt waren, aber noch im gleichen Jahr ergänzte der Komponist die Partitur selbst um Rezitative für eine Aufführung in London in italienischer Sprache. In dieser Form wurde das Werk in der Vergangenheit gelegentlich aufgeführt (manchmal auch zurückübersetzt ins Französische). Eine Aufführung in Triest vor mehr als 30 Jahren ist hier bei Youtube akustisch dokumentiert.

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