Am Samstag kam im Konzerthaus die »dramatische Sinfonie« Roméo et Juliette zur Aufführung, die Deutsche Oper Berlin bereitet die »dramatische Legende« (ursprünglich »Konzertoper«) La damnation de Faust zur Premiere am 23. Februar vor und ab 30. März steht hier wieder die große Oper Die Trojaner auf dem Spielplan. Grund genug, sich dem Komponisten etwas eingehender zu widmen.
Im September 1827 kam auf Einladung des Direktors der Théâtre de la Porte Saint-Martin eine englische Truppe um Charles Kemble mit Hamlet, Romeo and Juliet und Othello nach Paris. Politisch und ästhetisch hatte sich in der Stadt in den vergangenen fünf Jahren viel getan. 1822 führte ein ähnliches Gastspiel noch zu einem Skandal. Das Publikum lehnte Shakespeare als Engländer und als »rohen« Dichter ab. Nun aber setzte sich Gedankengut der Romantik durch, die berühmte Vorrede zum Cromwell von Victor Hugo war bereits erschienen, die auf Shakespeare als Vorbild verweist. Den allergrößten Einfluss übte das Gastspiel auf einen 24 Jahre jungen Komponisten aus, der noch bei Anton Reicha am Conservatoire studierte, aber noch nicht viel mehr als eine Große Messe komponiert hatte. Er verliebte sich unsterblich in Harriet Smithson, die auf der Bühne als Juliet, Ophelia und Desemona erschien. Sechs Jahre später heiratete er sie sogar, es ist natürlich Hector Berlioz. Die Begegnung mit Shakespeare beeinflusst den Komponisten nachhaltig. Fast jedes seiner Werke enthält einen offenen oder versteckten Hinweis darauf. In die Zeit der Begegnung mit Smithson und Shakespeare fällt auch Berlioz' erste Beschäftigung mit Goethes Faust. Madame de Staël hatte in De l'Allemagne (Über Deutschland) – die erste Auflage wurde 1810 von Napoleons Zensur eingezogen und vernichtet – große Teile aus dem ersten Teil der Tragödie übersetzt und Goethe damit einer breiten Öffentlichkeit in Frankreich und England bekannt gemacht. 1827 übersetzte der junge Dichter Gérard de Nerval die ganze Tragödie (den bis dahin von Goethe zwar in Buchform publizierten, aber noch nie aufgeführten ersten Teil) ins Französische. Dieses Buch faszinierte Berlioz so sehr, dass er sich sofort an die Komposition verschiedener »Stellen« machte, die er 1829, im Jahr der ersten szenischen Aufführungen der Tragödie in Braunschweig und in Weimar, als Huit Scènes de Faust veröffentlichte. Er schickte ein Exemplar der gedruckten Partitur nach Weimar, Goethe traute sich kein eigenes Urteil zu und sandte sie weiter an Zelter in Berlin, der mit dieser Musik natürlich nichts anfangen konnte. Er hatte die Kompositionen der Fürsten Radziwill unterstützt, die ab 1819 im privaten Kreis in Berlin und später auch in der Sing-Akademie aufgeführt wurden. Zu Berlioz schrieb er an Goethe: »Gewisse Leute können ihre Geistesgegenwart und ihren Anteil nur durch lautes Husten, Schnauben, Krächzen und Ausspeien zu verstehn geben; von diesen Einer schein Herr Hector Berlioz zu sein. Der Schwefelgeruch des Mephisto zieht ihn an, nun muss er niesen und prusten, dass sich alle Instrumente im Orchester regen und spuken – nur am Faust rührt sich kein Haar.« Das ist korrekt, von den acht Szenen gehören zwei Marguerite, zwei Méphistophélès, eine Brander, weitere Soldaten und unsichtbaren Chören, nur Faust hat keine eigene Stimme. Als Figur ist er zwar präsent, etwa in der Osterszene am Anfang. Nur das Sylphenkonzert wurde im Conservatoire aufgeführt. Noch bevor es zu einer Gesamtaufführung kommen konnte, zog Berlioz das Werk zurück, um es Jahre später umgearbeitet in La damnation de Faust aufgehen zu lassen. Über jede der acht Szenen setzt Berlioz in der Partitur ein Shakespeare-Zitat im englischen Original. So fand er zum Rattenlied passend im Hamlet eine Stelle: »How now? a rat? dead, for a ducat, dead.«
Bis heute bleibt umstritten, ob La damnation de Faust überhaupt ein szenisches Werk sei. Immerhin bemühte er sich 1845, als er sich dem Faust-Stoff erneut zuwandte, um Eugène Scribe als Librettisten. Da er Scribe nicht gewinnen konnte, schrieb er sich das Libretto selbst unter Verwendung der Prosa-Übersetzung von Nerval und mit Hilfe des Co-Librettisten Almire de Gandonnière. Die Komposition entstand während einer großen Europa-Tournee als Dirigent, die ihn u. a. nach Ungarn brachte, wo er den Rákoczi-Marsch kennen, der ihn so faszinierte, dass er Faust bextra einen Umweg durch Ungarn machen ließ, damit er ihn in die Partitur einbauen konnte. Zu Berlioz' Lebzeiten gab es jedenfalls nur konzertante Aufführungen der Damnation. Nach der Uraufführung in der Opéra-Comique auch in Moskau, St. Petersburg und Berlin unter Leitung des Komponisten, später auch in Wien. Erst 1893 brachte der große Impresario und Operndirektor Raoul Gunsbourg in Montecarlo eine szenische Fassung heraus. Seit Maurice Béjart 1964 La damnation de Faust an der Pariser Opéra herausbrachte, haben sich immer wieder Choreographen mit dem Werk auseinandergesetzt, sei es in Zusammenarbeit mit Regisseuren, wie Hans Kresnik mit Götz Friedrich 1983 an der Deutschen Oper Berlin, sei es allein wie jetzt Christian Spuck.
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