Eine Woche nach Falstaff in der Deutschen Oper Berlin am 17. November folgt in der Komischen Oper Berlin West Side Story. Grund genug, (wieder einmal) nach Shakespeare zu forschen. Es geht nicht darum, die Autorschaft der Stücke, die unter seinem Namen bekannt sind, anzuzweifeln. Es geht vielmehr darum, zu untersuchen, was über die Jahrhunderte so faszinierend an ihnen ist, dass sie immer wieder zur Grundlage für Opern und Ballette genommen werden. Verdi zog ihn allen anderen Dramatikern vor, selbst den klassischen griechischen Autoren. Über zwanzig Jahre arbeitete er (mit Unterbrechungen) an einem Re Lear, ohne ihn zu vollenden. Zwar ist King Lear einer der von Shakespeare bearbeiteten Stoffe, die erst relativ spät auf die Opernbühne kamen, aber es ist keineswegs so, dass Aribert Reimanns Lear 1978 die erste Vertonung war, sie ist nur bisher diejenige, die am meisten Inszenierungen weltweit hatte. Aber noch zu Verdis Lebzeiten kamen mehrere Lear- Opern heraus, allerdings keine von einem namhaften Komponisten. Doch auch nach Reimann haben mindestens vier Komponisten ihre eigene Version vorgestellt, darunter Aulis Sallinen.
Romeo und Julia hingegen kam schon viel früher mit Musik zusammen, etwa zu Mozarts Zeit, 1776, in Gotha. Die Musik ist von Georg Benda. Und Leonard Bernsteins West Side Story ist noch längst nicht die letzte Vertonung. Dazwischen liegen I Capuleti e i Montecchi von Vincenzo Bellini, Roméo et Juliette von Charles Gounod und Giulietta e Romeo von Riccardo Zandonai. Und auch hier können wir davon ausgehen, dass sich noch viele Komponisten von diesem Stoff inspirieren lassen werden.
Die älteste Shakespeare-Oper ist The Fairy Queen von Henry Purcell, wir haben anlässlich A Midsummer Night's Dream von Benjamin Britten vor den Sommerferien darüber gesprochen.
Allerdings muss man eine Einschränkung machen: nicht überall wo Shakespeare drauf steht, ist auch Shakespeare drin. Die Shakespeare-Überlieferung ging über die Jahrhunderte sehr verschlungene Wege. Zwar gehörte er zusammen mit Ben Johnson zu den ersten Dramatikern, deren Werk in einer Gesamtausgabe gedruckt wurde – allerdings im Gegensatz zu Johnson nicht zu seinen Lebzeiten, sondern erst sieben Jahre nach seinem Tod –, aber schon die Zeitgenossen hatten an seinen Stücken so einiges auszusetzen. Zum Beispiel folgten sie generell nicht den »klassischen drei Einheiten«, die auf Aristoteles zurückgehen sollen. Wenn man genau sein will, muss man dazu allerdings sagen, dass Aristoteles nur zwei Einheiten postuliert hat und dass auch die klassischen griechischen Tragödien, insbesondere diejenigen, die vor der Zeit des Aristoteles geschrieben wurden, etwa die von Aischylos, diese Einheiten auch nicht kennen. In dieser rigorosen Form, wie sie dann die französische Klassik bestimmten, wurden sie erstmals kurz vor Shakespeare erwähnt. Je mehr aber die Dramentheorie in ganz Europa unter den Einfluss der französischen Klassiker kam, desto geringer wurde Shakespeare geschätzt. Allerdings erfreuten sich seine Sujets großer Beliebtheit und deswegen machten sich zahlreiche Bearbeiter daran, Shakespeare zu »korrigieren«. Was im 18. und zum Teil auch noch im 19. Jahrhundert als Shakespeare auf die Bühne kam, hatte also oft nicht mehr viel mit seinen Tragödien und Komödien zu tun, sondern waren Bühnenstücke nach Stoffen, die ach Shakespeare bearbeitet hatte. Eine besondere Stellung haben darin noch die Stücke, mit denen berühmte Schauspieler wie David Garrick und Edmund Kean durch ganz Europa tourten. Sie waren ganz auf diese Schauspieler zugeschnitten und verzichteten weitgehend auf die Nebenfiguren.
Auch einige sehr berühmte Shakespeare-Opern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben eigentlich nur die Hauptfiguren mit den entsprechenden Stücken gemeinsam. Dazu gehören Otello von Rossini und I Capuleti e i Montecchi von Bellini. Verdi war derjenige Komponist, der sich als einer der ersten wieder mit dem originalen Shakespeare, d. h. mit Übersetzungen, die dem Original wieder näher kamen, befasste. Dieser Spur gehen wir morgen noch ein wenig nach.
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