Mit Die Herzogin von Chicago setzt die Komische Oper ihre Auseinandersetzung mit der Operette der 20er und 30er Jahre fort. Wenden wir uns zuerst kurz dem Ball im Savoy zu, obwohl die historische Reihenfolge eine andere wäre. Paul Abraham komponierte diese seine dritte deutschsprachige Operette (vorangegangen waren drei ungarische) 1932. Wenige Wochen nach der Uraufführung musste er Deutschland verlassen. 1935 wurde in Wien in einer österreichisch-ungarischen Koproduktion noch ein Film mit einigen der Sänger der Uraufführung gedreht, allen voran Gitta Alpar, die Deutschland ebenfalls hatte verlassen müssen. Für den Film wurde eine vollkommen neue Handlung konstruiert, nur die Songs wurden übernommen. Auf Youtube sind einige Ausschnitte sowohl aus dem Film als auch von Schellackplatten mit der Originalbesetzung zu finden.
Volker Klotz, der unbestrittene Experte für die Operette stuft Ball im Savoy nicht besonders hoch ein. Sie ist für ihn ein typisches Beispiel für den Niedergang des Genres in diesen Jahren. Die Handlung, von den erfahrenen Librettisten Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda konstruiert, dient vor allem der Schaffung von Anlässen für zeitgemäße Operettenlieder. Und das heißt: eine möglichste Vielfalt vom Walzer über den Tango zum Charleston. Sprechend sind die Namen. Die südamerikanische Sängerin (tiefe Stimme), die uns mit ihrem Wunsch, vom Marquis Aristide zum Galadiner ausgeführt zu werden, im zweiten Akt zum Ball im Savoy in Nizza führt, heißt ausgerechnet Tangolita. Und die amerikanische Jazzkomponistin Daisy Darlington gibt sich für die Komposition, die ebendort aufgeführt werden soll, das Pseudonym Pasodoble.
Emmerich Kálmán war einer der ersten europäischen Komponisten, die amerikanische Tänze für die Operette adaptierten. Schon 1921 fragt er in der Bajadere: »Fräulein, woll'n Sie Shimmy tanzen?« Zwei Jahre bevor überhaupt der Charleston erfunden wurde, der in der Herzogin von Chicago (und auch im Ball im Savoy) so eine große Rolle spielt. Den berühmtesten Shimmy hat Kálmán wenig später für die Gräfin Mariza komponiert: »Komm mit nach Varashdin.« (Ausgerechnet! Man würde doch einen ungarischen Rhythmus erwarten.)
Wie der Shimmy geht der Charleston auf den Foxtrott zurück, der seinerseits um 1910 aus musikalischen Einflüssen des Ragtime und von »One-Step« und »Two-Step« hervorgegangen ist. Der erste Charleston wurde 1923 von James P. Johnson für das Broadway-Musical Running Wild komponiert. Es war ein Foxtrott mit dem Titel »Charleston«, gemeint war damit die Stadt in South-Carolina. Populär gemacht hat ihn in Europa ab 1925 Josephine Baker.
Europäische Komponisten waren früh von der amerikanischen Populärmusik fasziniert. Nicht nur in der Operette tauchte der Shimmy auf, auch Hindemith komponierte einen für seine Suite 1922. Diese Klavierkomposition enthielt auch noch einen Ragtime und einen Boston, das ist die langsame amerikanische Form des Walzers. Den Ragtime hatte Strawinsky schon viel früher in seiner Geschichte vom Soldaten eingeführt. Der Charleston kam ebenfalls nur mit kurzer Verzögerung in die europäische Musik. Bohuslav Martinu verwendete 1927 einen Charleston in seiner Revue de Cuisine und Emmerich Kálmán brachte mit seiner Herzogin von Chicago die endgültige Etablierung dieses Tanzes auf der Operettenbühne.
Die Herzogin von Chicago thematisiert das Aufeinandertreffen der amerikanischen und europäischen Kultur. Es kommt zur musikalischen Auseinandersetzung zwischen Charleston und Csardas bzw. Walzer. Und die Handlung braucht das bewährte Schema »Armes bürgerliches Mädchen angelt sich einen Prinzen« nur leicht zu variieren. Das Mädchen Miss Mary Lloyd ist keineswegs arm, sondern stinkreich. Und sie wettet, dass man mit Geld alles kaufen kann, auch einen Mann. In Budapest trifft sie auf den Prinzen Sandor von Sylvarien, dem die Jazzmusiker aus ihrer Begleitung erst gar nicht passen, weil er das Wiener Lied so liebt. doch am Ende fügt sich alles.
Ernst Krenek hatte ein Jahr zuvor, 1927, eine Oper geschrieben, in der ebenfalls Jazz und europäische Musik aufeinanderprallen, Jonny spielt auf. In Extempores in der Uraufführung nahmen die Darsteller auf diese Oper direkten Bezug.
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