Auch wenn es kaum genug Karten gibt, vor allem nicht genug günstige Karten für das Großereignis in der Staatsoper im Schillertheater – es lohnt sich allemal, sich mit dem Troubadour zu befassen. Das Libretto gilt den einen als ein Paradebeispiel eines absurden Operntextes, den anderen als ein Lehrstück für die hohe Kunst des Libretto Schreibens. Die Oper ist jedoch seit 160 Jahren unverändert erfolgreich, was sich nicht allein mit den virtuosen Gesangspartien erklären lässt, die zu Recht bei den großen internationalen Stars beliebt sind.
Die Entstehung des Librettos ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Ungewöhnlich ist schon, dass Verdis Entschluss, das Schauspiel von Antonio García Gutiérrez zur Grundlage einer Oper zu machen, wohl nicht auf einen Kompositionsauftrag zurückging, sondern auf Verdis eigene Initiative, nachdem er es gelesen hatte. Dass er sich als Librettisten Salvatore Cammarano aussuchte, lässt darauf schließen, dass er hoffte, das Werk in Neapel unterzubringen. Der gehörte zu einer alten Theaterfamilie und war nicht nur ein brillanter und zu großer stilistischer Vielfalt fähiger Dichter, sondern auch ein geerdeter Praktiker, der auch wusste, wie man mit der Zensur umgehen muss. Es wurde trotzdem nichts mit einer Uraufführung in Neapel und die Arbeit zog sich über eine längere Zeit hin, während der Verdi auch Rigoletto und La Traviata komponierte. Der plötzliche Tod Cammaranos im Sommer 1852, von dem Verdi durch Zeitungsberichte erfuhr, unterbrach nicht nur die Arbeit am Troubadour, sondern auch die Arbeit am König Lear, den Verdi ebenfalls ohne Auftrag mit Cammarano geplant hatte. Für den Troubadour gab es da jedoch schon einen Vertrag mit dem Teatro Apollo in Rom und es fand sich schnell ein jüngerer Dichter, der das noch Fehlende ergänzen konnte, Leone Emanuele Bardare. Am Libretto für den König Lear arbeitete später Antonio Summa weiter, mit dem Verdi schließlich den Maskenball schrieb, der ebenfalls nicht in Neapel (wo Verdi diesmal aber einen Vertrag hatte, aus dem er ausstehen musste), sondern in Rom zur Uraufführung kam.
Dass die Handlung des Troubadour in all ihren Verwicklungen leicht verständlich sei, wird niemand behaupten wollen. Dass sie deswegen aber unsinnig sein und das Libretto von mindere Qualität, über die lediglich die geniale Musik hinwegtäusche, ist nicht die richtige Schlussfolgerung. Verdi hat sich das Drama gerade deswegen ausgesucht, weil es der klassischen Dramaturgie widerspricht. Das hatte ihn auch an Shakespeare so fasziniert, dass er keine Rücksicht nimmt auf die klassischen Forderungen nach Einheit des Zeit, des Orts und der Handlung. Für seine Musik, die von Kontrasten lebt, war dies eine ideale Vorlage. Und das hat Cammarano verstanden und Verdi einen nahezu perfekten Text geliefert, der – wenn man ihn einmal aufmerksam liest und in Zusammenhang mit der Musik setzt – keineswegs so absurd ist, wie gern behauptet wird. Allerdings muss man sich auf die zum Teil grellen Zeichnungen der Charaktere einlassen und auch auf die Lücken in der Erzählung. Wer die gleichen dramaturgischen Anforderungen stellt wie an den Tatort, der wird selbstverständlich enttäuscht sein.
Das Libretto führt jeweils auf dem kürzesten Weg zu den Stationen, in denen die Emotionen der Protagonisten auf den Siedepunkt gelangen. Die anfangs von Verdi geäußerte Idee, bei diesem Sujet vielleicht auf die konventionellen Formen der Arien und Cabaletten, Duette, Terzette etc. zu verzichten, überging Cammarano nonchalant und setzte im Gegenteil auf die perfekte dramaturgische Platzierung ebendieser Elemente der Oper. Eine besondere Bedeutung kommt der »Erzählung« zu, die bester Shakespearescher (und auch klassisch-griechischer) Tradition entspringt. Gleich zu Beginn (Verdi hatte angemerkt, vielleicht müsse die Oper nicht unbedingt mit einem Chor beginnen) haben wir die Kavatine des Ferrando, der den Soldaten – und uns – die Geschichte von der Zigeunerin erzählt. Das ist nicht weit entfernt von der Introduktion eines der ersten Opernlibretti, die Cammarano geschrieben hat, Lucia di Lammermoor. Und immer wieder begegnen wir einer Art Nachhall auf dieses ebenfalls einzigartige Libretto.
Wie Dietrich Steinbeck in einem Artikel für die »Beiträge zum Musiktheater« der Deutschen Oper Berlin vor fast dreißig Jahren dargelegt hat, kann man den Troubadour historisch ebenso präzise einordnen wie Simón Boccanegra, den Verdi ebenfalls bei García Gutiérrez fand. Diesen Spuren wollen wir ein wenig nachgehen und dabei aber auch die Geschichte der Interpretation dieses Werks, die akustisch über hundert Jahre dokumentiert ist, streifen.
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