Montag, 14. Oktober 2013

So machen es alle?

Innerhalb von 10 Tagen vier verschiedene Inszenierungen der Oper Così fan tutte. So machen es wirklich nicht alle, sondern nur die Berliner. Grund genug, dass wir uns mit diesem vieldeutigen Werk schon ein wenig auseinandersetzen. Die Uraufführung gehörte zu den größten Erfolgen Mozarts in Wien. Die Aufführungsserie wurde jedoch unterbrochen durch den Tod des Reformkaisers Joseph II. Erst 1815 kam es zu einer erneuten Aufführung, allerdings in einer Bearbeitung, die vor allem am Libretto sehr starke Veränderungen vornahm. In das bürgerliche Zeitalter passte die materialistische Versuchanordnung da Pontes nicht mehr. Sie wurde als eine »Frivolität« des »ancien régime«, als der Zeit vor der französischen Revolution betrachtet, obwohl die Uraufführung erst ein halbes Jahr nach deren Beginn mit dem »Sturm auf die Bastille« stattfand.
Der Streit, ob das Libretto genial oder banal sei, ist somit fast so alt wie die Oper selbst. Von Epoche zu Epoche schlägt das Pendel in entgegenesetzte Richtungen aus. Richard Strauss und Gustav Mahler haben um 1900 eine Lanze für Così fan tutte in einer mehr oder weniger originalen Fassung gebrochen. Carl Ebert und Fritz Busch haben in Glyndebourne damit angefangen, wieder den originalen Text von Lorenzo da Ponte zu verwenden (statt verschiedener Übersetzungen ins Deutsche, Englische, Französische). Nach dem zweiten Weltkrieg sezte eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Werk ein, die ihrem Höhepunkt in Götz Friedrichs Inszenierung fand (seine allererste Inszenierung 1958 in Weimar, sodann Drottningholm 1972, Hamburg 1975, Stuttgart 1979 – diese auch an der Deutschen Oper Berlin 1985). Götz Friedrich stellte erst einmal klar, dass es nicht nur um die »Weibertreue« (so ein historischer Untertitel) geht, sondern dass gerade auch die Männer auf dem Prüfstand stehen. Das Publikum wurde beim Hereinkommen Zeige, wie ein Bühnenmaler das »e« in dem wunderschön auf den Prospekt gemalten »Così fan tutte« durchstreicht und durch ein »i« ersetzt. Also nicht alle Frauen machen es so, sondern alle Männer machen es so. Auch stellte Götz Friedrich das Finale mit der Restitution der ursprünglichen Verlobungen als eigentlich tragisch heraus. eine Auffassung, die seitdem Allgemeingültigkeit erlangt hat. Wenn jetzt Così fan tutte der Gegenstand eine Forschungsprojekts ist, in dem das Regietheater durch einen performativen Ansatz überwunden wird, sind wir möglicherweise wieder an dem Punkt angelangt, wo der Text ziemlich egal ist und einzig die Musik zählt.
Es ist in der Tat keine Frage, dass die Paare so besser zusammen passen, wie sie in Alfonsos Versuchsanordnung aufgestellt werden. Schon die Stimmtypologie verlangt: Tenor zu Sopran, Bariton zu Mezzosopran. Es ist also »falsch«, dass Ferrando zu Dorabella und Guglielmo zu Fiordiligi zurückkehren. Sie müssten eigentlich die Konsequenz ziehen und sich neu orientieren. Dass sie das nicht tun, ist zuallererst den bürgerlichen Moralaposteln sauer aufgestoßen. Nach bürgerlicher Auffassung wäre nämlich gar nichts anderes möglich. Denn am Beginn waren sie ja nur verlobt und eine Verlobung kann aufgelöst werden (im Kapitalismus kostet es vielleicht eine Kleinigkeit, aber es ist möglich). Was aber dann im 2. Akt passiert, ist unumkehrbar. »Das Öffnen der Ware verpflichtet zum Kauf« heißt es im Supermarkt dazu.
Gern wird gesagt, eine Begebenheit aus der obersten Wiener Gesellschaft habe da Ponte und Mozart zu dem Stoff angeregt. Gern wird auch behauptet, dass da Ponte das Libretto ursprünglich für Salieri oder gar für Cimarosa geschrieben habe. Die Cimarosa-Theorie ist wohlziemlich aus der Luft gegriffen, Salieri wäre durchaus möglich, aber warum sollte er 1789 noch einmal ein ganz ähnliches Libretto von da Ponte vertonen, nachdem er schon 1785 La grotta di Trofonio von Casti komponiert hatte?
Damit sind wir bei der Zusammenstellung von Literatur und Opern, von denen Così fan tutte inspiriert ist. Das Motiv der Liebesprobe ist in der antiken Sage von Kephalos und Prokris enthalten. Ovid gibt sie zwei mal wieder, im VII. Buch der Metamorphosen und im dritten Buch der Ars amatoria. Nun gibt es einige Barockopern mit dem Titel Cefalo e Procri oder so ähnlich. Die konzentrieren sich allerdings meist auf eine andere Episode der Sage. Kephalos tötet nämlich Prokris aus Versehen mit einem immer treffenden Speer, den ihm Prokris zur Versöhnung geschenkt hat. Ganz am Schluss werden beide natürlich zu einem Sternenbild »erlöst«. Allerdings Cefalo e Procride von Giovannni Bononcini, 1702 in der Lietzenburg (so hieß das Schloss Charlottenburg zu Lebzeiten von Sophie Charlotte noch) uraufgeführt, macht da eine Ausnahme. Auch Cefalo e Procri von Ernst Krenek, 1934 für das Festival Neuer Musik in Venedig komponiert, spielt mit der Liebesprobe. Das Libretto wurde durch eine Aufführung von Così fan tutte in Venedig inspiriert.
Das 18. Jahrhundert hat auch sonst noch einige literarische Vorlagen zu bieten. Ganz zuerst ist natürlich der Roman Liaisons dangereuses (»Gefährliche Liebschaften«) von Choderlos de Laclos zu nennen (eine Oper nach diesem Stoff schrieb Friedrich Schenker auf ein Libretto von Karl Mickel, sie wurde 1997 in Ulm uraufgeführt, aber vor allem der Film von Milos Forman mit Michelle Pfeiffer und Glenn Close bleibt uns in Erinnerung). Le jeu de l'amour et de l'hasard (»Das Spiel von Liebe und Zufall«) von Marivaux wurde 1730 von den Comédiens italiens in Paris herausgebracht. (Auch danach gibt es eine Oper, der Komponist ist Helge Jörns, die Uraufführung war 1993 in Schwetzingen.) Und schließlich noch zu nennen wäre Les fausses infidélités ("Die falschen Treulosigkeiten«) von Nicolas-Thomas Barthe, in denen 1768 angeblich Marie-Antoinette selbst aufgetreten ist.
Was La grotta di Trofonio (»Die Höhle des Trofonio«), eine in Wien 1785 äußerst erfolgreiche Oper, betrifft, so geht es hier genau anders aus. Die Liebenden werden vom Magier Trofonio durch die doppelte Verwandlung ihrer Charaktere dazu gebracht, den Richtigen zu finden.
Zurück zu Mozart: 1789/90, in sieben Wochen komponierte und produzierte er die Oper, den kaiserlichen Auftrag hatte er aufgrund der großen Erfolge mit Le nozze di Figaro und Don Giovanni erhalten. doch eine feste Anstellung als Hofkapellmeister wurde doch nicht daraus und nach dem Tod Josephs war schon gar nicht mehr daran zu denken. Er befand sich auf der Höhe seiner Kunst. Jede der 30 Nummern (12 Arien und 18 Ensemblesätze) ist ein Lehrstück der Textbehandlung und der Umsetzung von Empfindungen in Musik.

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