Der Name Esclarmonde kommt zuerst im mittelalterlichen französischen Romans Huon de Bordeaux vor (dem wir unlängst im Zusammenhang mit dem Sommernachtstraum begegnet sind). Dort heißt die Tochter eines Emirs so, die sich in Hüon verliebt und ihn aus dem Kerker rettet. Hüon kehrt mit ihr nach Europa zurück, und eine der Fortsetzungen des Romans trägt ihren Namen als Titel. Darin wird sie dann ihrerseits von Kaiser Karl dem Großen in Mainz in den Kerker geworfen. Später gibt es eine historische Figur dieses Namens, Esclarmonde de Foix. Sie ist eine Vordenkerin der Katharer, wurde von diesen aber zurückgepfiffen, weil »es sich nicht geziemt«, dass eine Frau über Religionsdinge disputiert. Wer weiß, vielleicht wäre es ihr gelungen, den Albigenserkreuzzug des Papstes Innozenz III. abzuwenden, mit dem am Anfang des 13. Jahrhunderts die Vernichtung der Katharer eingeleitet wurde.
Mit diesen beiden Esclarmondes hat Massenets Oper Esclarmonde nichts zu tun. Der Stoff stammt vielmehr aus einem anderen mittelalterlichen Roman, Partonopeu de Blois. Der Autor dieses Romans, der vor 1188 geschrieben wurde, ist ebenso unbekannt wie der Autor des Huon de Bordeaux. Hauptpersonen dieser fantastischen Erzählung sind Partenopeus (der Name ist aus der antiken Tragödie Sieben gegen Theben entlehnt), der Neffe des Königs von Frankreich, und Melior, eine byzantinische Kaiserin und Zauberin. Partonopeu de Blois nimmt Motive aus der Antike (Amor und Psyche) und dem Kreis der Artussagen (Fee Morgane) auf. Eine deutsche Fassung des Romans schrieb Konrad von Würzburg, der sie aber nicht vollendete. Hier ist eine sehr schöne, kurze Zusammenfassung des Romans von Konrad von Würzburg zu finden.
Alfred Blau war der Cousin von Édouard Blau, der für Massenet die Libretti zu Le Cid und Werther schrieb. Er flüchtete 1871 vor den Wirren der Pariser Commune in die Stadt Blois an der Loire zwischen Orléans und Tours. Dort fand er in einem Archiv den Roman Partonopeu de Blois. Er tat sich mit dem Dramatiker Louis de Gramont zusammen, der vor alem die Versifizierung seines Entwurf vornahm, und bot das fertige Libretto mit dem Titel Pertinax dem 1882 beglischen Komponisten François-Auguste Gevaert an.Der Name Partonopeu wurde da offenbar schon mit dem eines römischen Kaisers getauscht; Pertinax war im Vierkaiserjahr 193 der erste, der nach kurzer Regierungszeit ermordet wurde. Als Römischer Offizier war er weit herumgekommen, nach Britannien ebenso wie in den Orient, doch zu Byzanz gibt es keinen Bezug. Gevaert lehnte das Libretto ab und es gelangte in die Hände von Massenet, der er schließlich umsetzt, nachdem er mit Sybil Sanderson bekannt geworden war und einen Auftrag erhielt für eine Oper zur Weltausstellung 1889. Nun wurden die Namen noch einmal geändert, für Melior wurde der geläufigere (und irgendwie orientalisch oder wenigstens okzitanisch klingende) Name Esclarmonde und der Neffe des französischen Königs erhielt den Namen des Knappen Karls des Großen, Roland. Der Name Esclarmonde kann indessen auch französisch etymologisiert werden: celle qui éclaire le monde / die die Welt erhellt bzw. aufklärt.
1883 sah Massenet in Brüssel eine Aufführung von Richard Wagners Ring des Nibelungen, 1886 fuhr er nach Bayreuth zum Parsifal. Er war ein großer Bewunderer von Richard Wagner und ließ sich in seinem Kompositionsstil von ihm beeinflussen. Esclarmonde ist das erste Werk, das stark davon zeugt. Manon (1884) war noch konzipiert, bevor er den Ring gesehen hatte und ist eine Opéra comique wie Carmen. Le Cid (1885) folgt noch ganz dem Schema der Großen (historischen) Oper Meyerbeers und dessen Nachfolger. Mit Esclarmonde aber betritt er die Welt der Mythen. Wagnerisch ist das Grundkonzept und an manchen Stellen das Orchester. Gar nicht wagnerisch ist allerdings die Behandlung der Singstimme. Eine solche Gesangsvirtuosität, wie sie Sibyl Sanderson besaß, kannte Wagner wohl nicht und er hätte auch nichts damit anfangen können. Die einzige Koloraturpartie – abgesehen von Lora und Zemina in Die Feen und Dorella im Liebesverbot – hat Wagner für die Stimme des Waldvogels geschrieben.
Die hohen stimmlichen Ansprüche an die Titelpartie sind vermutlich der Grund dafür, dass das Werk bis heute so selten gespielt wird. Auch auf dem CD-Markt gibt es neben der klassischen Aufnahme mit Joan Sutherland aus den 70er-Jahren so gut wie nichts.
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