R. Hot bzw. Die Hitze ist die nächste Opernpremiere in Berlin (am 22. September in der Staatsoper im Schillertheater – Werkstatt). Ein wenig bekannter Text von Jakob M. R. Lenz liegt der Opernphantasie von Friedrich Goldmann zugrunde, die 1977 im Apollosaal der Staatsoper in der Regie von Peter Konwitschny uraufgeführt wurde. Das nehmen wir zum Anlass, uns mit dem theoretischen und dem dramatischen Werk von Lenz zu befassen. Wer Lenz sagt, muss auch Goethe sagen, denn ein Teil der Sesenheimer Lieder stammt von Lenz und ein Teil von Goethe. Die Literaturwissenschaft ist bis heute uneins, welche Lieder original von Goethe sind, und welche von Lenz nachgeahmt. Die Künstlerfreundschaft und -partnerschaft zwischen den beiden dauerte allerdings nicht allzu lang. 1771 trafen sie sich in Straßburg, in Sessenheim (mit zwei »s«) verliebten sich beide nacheinander in die Pfarrerstochter Friederike Brion, und in Weimar endete die Beziehung 1776 abrupt mit einem Geschehen, das gemäß einer Tagebucheintragung Goethes als »Lenzens Eseley« bezeichnet wird, von dem aber niemand weiß, was es überhaupt war. Jedefalls wurde Lenz mit Goethes Billigung vom Weimarer Hof verjagt. Nach Aufenthalten im Elsaß und in der Schweiz, wo er in Winterthur den ersten Ausbruch einer psychischen Krankheit erleidet, kehrte in seine russische Heimat zurück und starb 1792 in Moskau als Privatgelehrter.
1751 wurde Lenz in Sesswegen im damals zum russischen Reich gehörenden »Livland« (heute ist der Ort Cesvaine lettisches Gebiet) als sohn eines pietistischen Pfarrers geboren. Er studierte in Dorpat (heute Tartu in Estland) und Königsberg (Kaliningrad) Theologie. Doch in Königsberg hörte er lieber die Vorlesungen von Kant und gab das Studium schon 1771 auf, reiste mit russischen Adligen als Hofmeister (so bezeichnete man einen Hauslehrer) durch Europa. Dabei kam er, wie erwähnt, nach Straßburg, von wo aus er über Goethe auch Kontakt zu Herder und Lavater bekommt.
Das erste literarische Werk ist ein Versepos, mit 18 Jahren geschrieben, Die Landplagen. 1774 erscheinen – vermittelt durch Goethe – die beiden Komödien Der Hofmeister und Der neue Menoza. Sie gehören zum »Sturm und Drang« in der deutschen Literaturgeschichte, und sie begegnen viel Widerspruch und Unverständnis. Aus zeitgenössischer Sicht ist ihre Dramaturgie das reine Chaos, sie springt von Station zu Station und missachtet die »Einheiten« der klassischen Dramentheorie. Mit Anmerkungen über das Theater reagiert Lenz im gleichen Jahr auf der theoretischen Ebene. Dieser Text wird vor allem im 20. Jahrhundert Dramatiker und Komponisten wie Bertolt Brecht und Bernd Alois Zimmermann beeinflussen. Brecht gab den Hofmeister neu heraus und B. A. Zimmermann komponierte Lenzens dritt Komödie von 1776, Die Soldaten, und entwickelte dafür seine eigene Theorie von der Zeit in Kugelgestalt. Zimemrmanns Soldaten sind jedoch nicht die erste Vertonung des vierten Dramas von Lenz, das dieser 1776 schrieb. Manfred Gurlitt (1890–1972, Wikipedia-Artikel hier) komponierte bereits 1930 für Düsseldorf eine Oper nach diesem Stoff. Als das Werk 1931 an die Städtische Oper Berlin (Vorgängerin dern Deutschen Oper Berlin) kam, arbeitete er es noch einmal um und setzte dabei bereits die Technik der Simultanszene ein, die bei Zimmermann so eine große Rolle spielt. Zimmermann hat sich dabei wohl nicht von Gurlitt inspirieren lassen, denn das Werk verschwand im Dritten Reich von den Spielplänen und wurde nie wieder hervorgeholt (außer für eine CD-Produktion vor 2000 in Berlin).
Georg Büchner schrieb eine Erzählung über die Zeit Lenz' in Waldersbach im Elsaß bei Pastor Oberlin, wo er 1778 Heilung von seiner psychischen Krankheit suchte. Dieser Text wurde zur Grundlage einer weiteren Kammeroper, die für uns von Interesse ist, Jakob Lenz von Wolfgang Rihm, im gleichen Jahrzehnt geschrieben wie R. Hot bzw. Die Hitze. Viele Anregungen gewann Büchner auch aus den Soldaten für sein Dramenfragment Woyzeck. Zusammen mit den Soldaten von Bernd Alois Zimmermann gilt Wozzeck von Alban Berg als Schlüsselwerk der Oper im 20. Jahrhundert. Auch dafür gibt es eine Parallele von Manfred Gurlitt, die sogar seit den 80er-Jahren gelegentlich aufgeführt wird. Interessant an dieser Vertoniung ist der Chor im Orchestergraben, dem das Leitmotiv »Wir arme Leut« anvertraut ist.
Eine weitere Oper nach Lenz ist Le précepteur nach Der Hofmeister der Komponistin Michèle Reverdy, 1990 bei der Münchner Biennale uraufgeführt. Also: es gibt viel Stoff zu Lenz in der Operngeschichte auch über Friedrich Goldmann hinaus.
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