Jenůfa oder, da das Werk an der Deutschen Oper Berlin nun zum ersten Mal in der tschechischen Originalsprache gespielt wird, besser Její pastorkyňa ist das Thema, mit dem wir uns die nächsten Male beschäftigen. Es lohnt sich, dabei ein wenig auszuholen. Nach dem Schlauen Füchslein und dem Totenhaus beschäftigen wir uns in diesem Kurs jetzt – nach meiner Erinnerung – zum ersten Mal mit dem bekanntesten Werk des mährischen Komponisten, Musikpädagogen und Musikforschers. Lange zehn Jahre hat er auf die Uraufführung warten müssen und dann blieb es auch noch weitere 12 Jahre ein provinzielles Phänomen. Der Uraufführung in Brno (das damals noch Brünn hieß, obwohl die Bevölkerungsmehrheit Tschechisch sprach) am 21. Januar 1904 folgten mehrere Umarbeitungen, die Partiturrevision von 1908 liegt der Aufführung in der Deutschen Oper Berlin zugrunde, denen erst 1916 eine Aufführung in einer anderen Stadt folgte: in Prag. Noch einmal zwei Jahre dauerte es, bis das Werk wenigstens im deutschsprachigen Raum bekannt wurde durch Aufführungen in Wien und Köln. Die eigentliche Weltkarriere stieß Erich Kleiber 1924 in Berlin an. Der Aufführung in der Staatsoper Unter den Linden mit der unglücklichen Sinaida Jurjewskaja in der Titelpartie (davon später, einen Ausschnitt mit ihr gibt es hier bei Amazon zu kaufen) folgte noch im gleichen Jahr die Erstaufführung an der Metropolitan Opera – in deutscher Sprache, mit der Wiener Jenůfa Maria Jeritza und zwei Tenören vom Deutschen Opernhaus in Berlin-Charlottenburg, Carl Martin Oehmann und Rudolf Laubenthal.
Neun Opern hat Janáček insgesamt geschrieben, aber von Anfang an begegnete er großen Schwierigkeiten. Das Libretto für seine erste Oper erhielt er von seinem Komponistenkollegen Antonín Dvořák – ohne das Wissen des Librettisten. Der war beleidigt, dass Dvořák das Libretto weiter gegeben hatte und verhinderte die Aufführung von Janáčeks Šárka bis 1925. Das nächste Projekt gehört Janáčeks bereits in die Entstehungsgeschichte zu Její pastorkyňa. Gabriela Preissova, die Autorin des gleichnamigen Bühnenstücks hielt 1890 anlässlich der Erstaufführung in Brno einen Vortrag in Janáčeks Mädchengesangverein. So kam er in Kontakt mit der berühmten Schriftstellerin und wählte eine Novelle von ihr als Vorlage für einen Einakter Počátek románu (meist übersetzt als Anfang eine Romans oder Beginn eines Romans aber auch Beginn einer Romanze). Die Uraufführung in Brünn 1894 war ein Erfolg, weil Janáček dennoch nicht zufrieden war, zog er das Stück zurück und begann zur gleichen Zeit mit der Komposition von Její pastorkyňa. Die Arbeit an der nächsten Oper begann er unmittelbar Abschluss der Komposition, noch vor der Uraufführung, aber Osud (Schicksal) wurde zu Lebzeiten des Komponisten überhaupt nie aufgeführt. Danach wandte er sich anderen Projekten zu, lediglich die ersten Skizzen zu Výlety páně Broučkovy (Die Ausflüge des Herrn Brouček) entstanden noch vor der Prager Aufführung von Její pastorkyňa, alle anderen Projekte nahm er erst in Angriff, als sich diese Oper zum Welterfolg entwickelte.
Musikforscher war Janáček nebenbei und sein unermüdlicher Forschersinn brachte ihm die wichtigsten Anregungen für seinen Kompositionsstil. Schon die frühen Werke verraten eine stark national gefärbte Inspiration. Böhmische und mährische Tänze werden, wenn nicht direkt zitiert, so doch nachgeahmt. Das gesungene Wort passt sich den sprachlichen Besonderheiten vielleicht noch mehr an, als es bei dem ersten tschechischen Nationalkomponisten, Bedřich Smetana der Fall war. Doch um die Jahrhundertwende fing Janáček an, systematisch nach musikalischen Motiven hinter der gesprochenen Rede, oder auch hinter Naturgeräuschen wie dem Rieseln eines Baches zu forschen. Zahlreiche solcher heute »Sprach-« oder »Sprechmotive« genannten Aufzeichnungen veröffentlichte er in seinen Feuilletons der Lokalzeitung. Interessant ist, dass diese »Sprachmotive« nicht wie ein phonographisches Abbild funktionieren, sondern über den reinen Tonhöhen- und Rhythmusgehalt hinaus die Emotionen transportieren. Die Emotionen des Objektes wie des Subjektes, also des Zuhörenden, wie sich etwa bei dem Bächlein zeigt. Solche Motive wurden nach und nach zum bestimmenden musikalischen Material, das Janáček verarbeitete – nicht nur in der Oper, sondern auch in der Instrumentalmusik, wie etwa die Sinfonietta plastisch dokumentiert.
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