Montag, 27. Februar 2012

Georg Philipp Telemann: Miriways

Drei der bedeutendsten Barockkomponisten wurden 1685 geboren, zwei davon im März, Bach und Händel, einer im Oktober, Domenico Scarlatti. Leipzig, Rom, London waren die Hauptwirkungsstätten dieser drei herausragenden Musiker, die alle ihrerseits Virtuosen auf den Tasteninstrumenten, Orgel und Cembalo, waren. Aber auch 1681 ist das Geburtsjahr von zwei großen Komponisten, Johann Mattheson und Georg Philipp Telemann, beide mit der Bürgeroper am Hamburger Gänsemarkt verbunden. Von Matthesons 8 Opern sind aber nur vier erhalten, darunter der 1710 geschriebene, aber erst 2005 aufgeführte Boris Goudenow. Mattheson ist außerdem als Theoretiker bedeutend, er schrieb zwei Generalbass-Schulen. Mit Händel zusammen bewarb er sich 1703 (Händel war also erst 18jährig) um die Nachfolge von Dietrich Buxtehude als Organist an der berühmten Lübecker Marienkirche. Dabei kam es allerdings nicht nur darauf an, besonders gut Orgel spielen zu können, der Bewerber musste sich auch verpflichten, die Tochter Buxtehudes zu ehelichen. Keiner der beiden wurde es, Mattheson verdiente sein Geld fortan im diplomatischen Dienst und wurde später Musikdirektor am Hamburger Dom, Händel kehrte zuerst noch einmal als Komponist nach Hamburg zurück, wo er vier Opern an der Gänsemarktoper herausbrachte, und ging dann über Florenz, Venedig und Rom nach London.
Zwanzig Jahre vor Johann Sebastian Bach war Telemann schon in Leipzig tätig. 1701 kam er in die Universitätsstadt, angeblich um Jura zu studieren, doch schon schnell wurde er als Komponist aktiv, komponierte Kantaten für die Thomaskirche und gründete das "collegium musicum", das später auch von Bach dirigiert wurde, und trat auch an der Oper auf. Über Sorau, Eisenach und Frankfurt am Main kam Telemann 1721 nach Hamburg, wo schon früher Opern von ihm aufgeführt worden waren. Als »Director musices« war er vernatwortlich für die fünf großen evangelisch-lutherischen Stadtkirchen außer dem Dom (wo ja Mattheson sein Amt hatte). Doch er war unzufrieden und bewarb sich wie Johann Sebastian Bach in Leipzig um die Nachfolge Kuhnaus als Thomaskantor. Er wure auch einstimmig gewählt, aber der Hamburger Rat machte ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: er erhöhte sein Gehalt um mehr als 10 Prozent. so kehrte er 1722 zurück nach Hamburg und übernahm bald auch die Leitung der Oper.
Miriways schrieb er in seiner 6. Spielzeit Miriways auf ein Libretto des Gelehrten und späteren Rektors des Johanneums, Johann Samuel Müller. Eine Oper, die in Persien spielt, ist zunächst nichts ungewöhnliches. Doch hier handelt es sich nicht um die Perserkriege der Antike, in denen das Geschehen angesiedelt ist, sondern um das damals »moderne« Persien. Zeitungsberichte und schließlich eine anonyme Broschüre mit dem Titel Der persianische Cromwell hatten 1723 die Öffentlichkeit auf eine seltsame Thronfolge in Isfahan aufmerksam gemacht. Ein paschtunischer Stammesfürst hatte sich gegen den Schah von Persien aufgelehnt und ihn 1722 vom Thron verstoßen. Die Berichte nannten ihn Miriways, in Wahrheit aber handelte es sich um den Sohn von Mirwais Hotak, Mahmud Hotaki, der 1715 verstorben war. 1717 ließ er seinen Onkel, der die Stammesführerschaft von Mirwais übernommen hatte, ermorden und setzte sich selbst auf den paschtunischen Thron. Als der Schah von Persien, Sultan Hussein aus dem schon im Niedergang befindlichen Geschlecht der schiitischen Safawiden, erneut Druck auf die Sunniten ausübte, setzte er sich an die Spitze des Aufstandes und belagerte Isfahan ein halbes Jahr, bis Hussein weichen musste. Als Schah zeigte sich Mahmut zunächst tatsächlich mild und versöhnlich, als der Sohn Husseins sich jedoch zum Gegenschah erklärte, war die Milde vorbei. Er lud die persischen Adligen und Minister zu einem Terffen, wo er sie alle ermorden ließ, ebenso wie die 3000 Palastwachen. Lange währte seine Herrschaft indes nicht. Sein Misstrauen wurde krankhaft und er verlor die Unterstützung seines eigenen Stammes. Drei Tage nachdem sein Cousin, Ashraf Khan, durch eine Palastrevolution an die Macht gekommen war, starb er. Dabei ist nicht ganz klar, ob Ashraf ihn umgebracht hat oder ob er im Wahnsinn verdämmerte.
Nichts von dem allem findet sich natürlich in der Oper von Telemann. Müller hat sich lediglich bei der Ausgestaltung von Details von den erwähnten Berichten inspirieren lassen. Ansonsten ist es ein typisches Libretto der Zeit nach dem Muster der »opera seria«. Die Handlung beginnt nach der Schlacht (es könnte die Schlacht von Gulnabad, 1722, sein): Der Sieger zeigt sich mildtätig und verzeihend, verfällt aber in einen unausweichlichen Pflicht-Neigungs-Konflikt, der erst im letzten Moment aufgelöst wird, als sich die verloren geglaubte Tochter zu erkennen gibt.
Sieben Haupt- und vier Nebencharaktere sorgen für ein abwechslungsreiches Beziehungsgeflecht. Alle Hauptdarsteller haben in mehreren Arien Gelegenheit, wenn auch nicht unbedingt einen Charakter zu entwickeln, sich doch in verschiedenen Gefühlssituationen zu präsentieren und damit zu einer Figur zu finden. Der titelgebende Miriways wird als Fürst von Candahar und Protector von Persien ist Bariton – anders als in Italien und England sowie auch an den Hofopern in Dresden, München, Wien, Innsbruck etc. gibt es hier keine Kastraten. Zwar werden durchaus auch Männerrollen mit Sopranstimmen besetzt, meist sind das aber Hosenrollen, wie hier Prinz Sophi, der Sohn des alten persischen Schahs, der von Miriways nicht nur die Herrschaft über Persien sondern auch die Tochter zur Heirat bekommen soll. Er singt Sopran. Ein Mezzosopran hingegen ist Samischa, die heimliche Geliebte Miriways' mit der er sogar eine Tochter hatte, ehe er sich aus Staatsräson anders verheiraten musste. Bemira (Sopran), eine persische Dame, ist die Verlobte Sophis, auf die er nun verzichten soll, aber nicht will, während sie ihm zuredet und das Opfer auf sich nehmen will. Ein weiterer Sopran ist Nisibis, ebenfalls persische Dame, Freundin von Bemira, Witwe und verliebt in den zweiten Bariton, den tatarischen Fürsten Murzah. Doch der hat einen Nebenbuhler, Zemir (Mezzosopran), der sich ordentlich ins Zeug legt. Er gibt vor, Nisibis aus dem Feuer gerettet zu haben und fordert den gerechten Lohn: Nisibis zur Frau. Doch seine Intrige wird entlarvt, Nisibis und Murzah finden zueinander, und auch das andere Paar erhält durch glückliche Fügung ein Happy-End. Bemira ist nämlich niemand anderes als die verloren geglaubte Tochter von Miriways und Samischa, die Sophi ja aus politischen Gründen heiraten soll.

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