Mittwoch, 18. Januar 2012

Voltaire in der Oper

François Marie Arouet, genannt Voltaire, war auch schon im letzten Semester Thema. Fast hätte ich ein Kapitel aus seinem Candide in einer frühen Übersetzungbeim Weihnachtstreffen vorgelesen, aber die Zeit reichte nicht mehr aus. Voltaire ist vielfach mit der Berliner Geschichte verbunden. Seit 1736 stand er in Briefkontakt mit dem damaligen Kronprinzen, dem späteren Friedrich II. 1743 sandte ihn der französische Kriegsminister, ein Schulfreund, nach Potsdam, um mit dem König nach dem habsburgischen Erbfolgekrieg ein neues Bündnis mit Frankreich zu verhandelt. Das schlug zwar fehl, aber die beiden werden andere Sachen zu besprechen gehabt haben. Zum Beispiel die Oper in Berlin Unter den Linden, die bereits im Vorjahr eröffnet worden war. 1750 bis 1753 weilte Voltaire dann auf Einladung des Königs in Potsdam, mit ungutem Ausgang, der Orden »Pour le mérite« wurde ihm wieder entzogen. Doch das aufklärerische und antiklerikale Gedankengut blieb am König haften und fand seinen Niederschlag in der Libretto zu Monmtezuma, das deutliche Parallelen zu Voltaires Tragödie Alzire (1736) trägt. Davon bald. Jetzt geht es immer noch um die viel späteren Tragödie Tancrède und ihre Verwendung auf der Opernbühne. 1760 kam sie in Paris heraus und bereits 1766 gab es in Turin die erste danach geformte Oper. Der heute kaum noch bekannte Ferdinando Bertoni, ein Zeitgenosse Glucks, schrieb einen Tancredi für Turin. Eine Arie daraus wurde gelegentlich als Einlage in Glucks Orfeo verwendet. Bertonis eigene Fassung des Orfeo kam 1776 in Venedig heraus und ist auf CD verfügbar, z. B. hier. Das Libretto von Silvio Saverio Balbi(s) hatte auch schon im Sinne der opera seria den Schluss ins »Positive« abgeändert. Tancredi geht siegreich aus der Schlacht hervor und heiratet seine Amenaide. Dieses Libretto verwendet auch die von Ignaz Holzbauer komponierte gleichnamige Oper, die 1783 in München zur Aufführung kam. Einzig die 1795 und 1799 in Venedig aufgeführte Oper Tancredi von Francesco Gardi (1765–1810) zeigte vor Rossini den von Voltaire vorgesehenen tragischen Schluss.
Die Lösung, die Rossini in seiner zweiten Fassung für den Schluss fand, sprengt den Rahmen der »opera seria« vollends. Ist das Finale, die Nr. 17 der ersten Fassung noch ganz einem »coro« etwa bei Händels Giulio Cesare nachgebildet, so ersetzt er jetzt die Nr. 17 durch einen kurzen Chor und ein Rezitativ. Darauf folgt eine neue Nr. 18, ein Rezitativ und die »Cavatina finale« des Tancredi. Das ist 1813 mehr als ungewöhnlich und nimmt die (beim Publikum ohne Erfolg gebliebene) Opernreform Saverio Mercadantes aus den 1830-er Jahren und Verdis Pianissimo-Finali von La forza del destino und Aida voraus. Die »Cavatina« ist überhaupt kein virtuoses Gesangsstück, sondern ein 30-taktiges, stockendes Arioso des sterbenden Tancredi. Der einzige Kommentar kommt aus dem Orchestergraben (Klarinette und Streicher), minimalistisch zwischen die ersterbenden Töne der Sängerin gesetzt.

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