Montag, 26. September 2011

Vom Duett zum Dialog

Als wir uns das letzte Mal im VHS-Kurs mit Don Carlo(s) befassten, habe ich unter anderem die Auseinandersetzung zwischen Filippo und dem Großinquisitor etwas genauer vorgestellt. Diese Szene bleibt der Höhepunkt des Konfliktes Staat–Kirche, wie er durch die beiden Protagonisten repräsentiert wird. Verdi hat hier konsequent fortgesetzt, was er am Anfang des zweiten Bildes von Rigoletto begonnen hat mit einem Dialog anstelle eines Duetts. Rigoletto und Sparafucile singen niemals zusammen und doch ist es eine typische Duett-Situation ähnlich der Szene zwischen Banco und Macbeth am Beginn von Macbeth, wo dann beide, obwohl sie sich eigentlich ncihts zu sagen haben, sich zum Duett verbinden, am Ende mit dem einstimmigen Männerchor sogar eine Art Terzett bilden.
Jetzt wollen wir uns mit dem anderen großen Dialog im Don Carlos befassen. Filippo ist ebenfalls beteiligt, aber nicht, oder besser gesagt zuerst nicht als Staatsmann, sondern als Vater. Den Kontakt zu seinem Sohn hat er längst verloren, er versteht ihn nicht. Er versucht deshalb den Freund seines Sohnes auszuhorchen, Rodrigo. Es handelt sich um die klassische Auseinandersetzung zwischen den Generationen, wie Verdi sie bis dahin in zahlreichen Duetten, sei es für Sopran und Bariton, sei es Tenor und Bass oder Bariton, gestaltet hat. Es fängt mit Oberto und Leonora an, dann kommt »Donna, chi sei« im Nabucco und es endet erst im Nilakt der Aida in der Szene zwischen Aida und Amonasro. Dazwischen gibt es zahlreiche Varianten, die zum Vergleich mit der »Szene und Duett« Filippo–Posa herangezogen werden können. Auch in Les vêpres siciliennes, der ersten Oper, die Verdi für die Pariser Opéra geschrieben hat, gibt es eine solche Szene. Sie kulminiert in einem schwungvollen Duett, das von einer kurzen dialogischen Episode vor den mächtigen Schlusstönen gefolgt wird. Ganz ähnlich das »Duett« zwischen Filippo und Posa, so wie wir es kennen. Es ist interessant, dass dieser Schluss in der Pariser Fassung von Don Carlos gar nicht vorkommt. Dort ist es ein konventionelles Duett, vergleichbar dem Duett von Faust und Méphistophélès am Ende des 1. Aktes von Faust. Damit war Verdi allerdings schon bald nicht mehr zufrieden und bereits für die Erstaufführung der noch 5-aktigen Oper in Neapel hat er den Schluss des Duetts neu komponiert, eben so, wie wir ihn kennen. Eine gewisse Pointe ist dabei, dass viele Aufführungen, auch auf CD, die vorgeben »original french version in 5 acts« zu sein, das Duett in einer Rückübersetzung der Komposition von Neapel bringen. Man hat sogar einen Weg gefunden, beides zu verbinden. Posa singt dann die Wiederholung »Ah! sia benedetto Iddio.« als Sequenz, nicht mehr auf dem gleichen Ton und es geht die originale Pariser Version weiter bis kurz vor dem Schluss, der dann ab Filippos »Osò lo sguardo tuo penetrar il mio soglio« in französischer Übersetzung die bekannte Musik bringt, so dass wir wie gewohnt das leise, fast nur gesprochene »Ti guarda!« – »Prends garde!« vor den ohne Gesang knallenden Schlussakkorden hören. So in den Aufnahmen mit Abbado und mit Pappano. Nur die Aufnahme aus Wien und eine Rundfunkaufnahme aus Paris enthalten wie schon die ganz frühe der BBC das wirklich originale Duett.
Damit wollen wir uns jetzt aber gar nicht vordringlich befassen, sondern mit dem Duett in der endgültigen Form. Es umfasst vier Hauptabschnitte – so viele hatte übrigens schon das Duett Nabucco-Abigaille –, die durch rezitativische Episoden eingefasst werden.
Der erste Dialog ist ziemlich lang, die beiden tasten sich aneinander heran, tauschen Höflichkeiten aus, bis Filippo Posa auffordert zu reden. Da beginnt der erste Hauptabschnitt mit einer leeren Oktave der Fagotte und dann allerhand Synkopen. Posa steigert sich immer mehr in die Erzählung von seiner (angeblichen?) Reise nach Flandern, bis er etwas zu laut Gott dankt, das er jetzt den Mut gefunden hat, dem König von dem Morden zu erzählen. An dieser Stelle greift dann die Neukomposition. Filippo antwortet, versucht die Erregung zurückzufahren und sich selbst als Friedensfürst zu inszenieren. Das führt zum Ausbruch Posas »Orrenda, orrenda pace! la pace dei sepolcri!« mit dem illustrierenden Fortissimo-Ausbruch des Orchesters. Posa Vergleicht Filippo mit Nero und hebt zum zweiten Hauptteil an, einer völlig neue Musik zur Anklage gegen den Großinquisitor als der eigentlich Mächtige und endend in dem – einmaligen – »Date la libertà«. In der französischen Fassung singt er das zwei Mal, was die Forderung im Vergleich aber eher zurücknimmt als sie bekräftigt. Filippo antwortet weitgehend verständnislos, fängt beinahe an zu jammern und bricht dann dan Dialog ab, um endlich auf den Punkt zu kommen. Er will wissen, ob Don Carlo wirklich etwas mit der Königin hat. Dafür hebt er zu einem sehr kurzen dritten Hauptteil an, der wieder in Dialog ausfließt und unmittelbar übergeht in den vierten Hauptteil, der mit den gleichen Tönen wie der dritte beginnt, jetzt aber vom Orchester allein, staccato und in schnellerer Bewegung beginnt. In diesem langen letzten Hauptteil gibt es ein paar Phasen, wo Filippo und Rodrigo ähnlich wie einst Banco und Macbeth nebeneinanderher quasi im Duett singen. Der Schluss dann wie oben gesagt: der Dialog endet im Stillstand.

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