Dienstag, 27. September 2011

Erster Akt, erster Teil und eine Reminiszenz

Fangen wir doch einfach einmal ganz vorne an. Titel und Personenverzeichnis überblättern wir, aber bei der Orchesterbesetzung halten wir kurz inne. Verdi hält sich, auch in der vieraktigen italienischen Fassung, an die Vorgaben der Opéra. Ein großes, aber nicht überdimensioniertes Orchester, also deutlich kleiner als etwa in Wagners Tristan und Isolde (zwei Jahre von Don Carlos in München uraufgeführt). Aber zwei Besonderheiten des französischen Orchesters sind bei den Bläsern zu verzeichnen: vier (statt zwei) Fagotte und zusätzlich zu den zwei Trompeten zwei Cornets à piston.
Die vier Fagotte sind ein Überbleibsel der Barockoper, gehen sozusagen bis auf Ludwig XIV. zurück. Allerdings sind die französischen Fagotte anders konstruiert als die deutschen, sie klingen wesentlich weicher, sind insgesamt auch etwas leiser. In der Barockoper spielten immer zwei und zwei zusammen die gleiche Stimme und an den lauten Stellen hält Verdi es ganz genau so. (Den ganz besonderen Klang des französischen Fagotts hört man übrigens am deutlichsten am Anfang von Le sacre du Printemps von Igor Strawinsky, wenn denn ein französisches Orchester spielt.) Wenn die vier Fagotte tatsächlich als Fagottquartett eingesetzt werden, mischen sie einen ganz besonderen Klang in das Orchester. Im Don Carlos fällt mir im Moment keine charakteristische Stelle ein, aber im »Libera me« im Requiem gibt es gleich nach dem »Dum veneris judicare saeculum per ignem« als Überleitung zum »Tremens factus« eine kurze Sequenz für das Fagottquartett, die sehr prägnant ist, aber eigentlich auch nur von einem französischen Orchester klanggerecht gespielt werden kann. Mit deutschen Fagotten kommt leicht eine fast karikaturhafte, jedenfalls steife Note herein. Französische Fagotte klingen demgegenüber viel weicher, fast wie Saxophone. Das »Libera me« hat Verdi übrigens unmittelbar nach dem Don Carlos komponiert, der Rest des Requiems kam später, nachdem eine Aufführung des Gemeinschaftswerks (siehe hier) nicht zustande gekommen war.
Das Cornet à pistons ist im Grunde ein Posthorn mit Ventilen. Genau wie jenes (etwa in der berühmten »Posthorn-Serenade«) wird es von Trompetern gespielt, der berühmteste Kornettspieler (so die deutsche Bezeichnung) war sicher Louis Armstrong. Das Cornet à Pistons wurde um 1828 entwickelt und war das erste Blechblasinstrument mit Ventilen, also das erste, mit dem man bequem chromatische Linien spielen konnte. Dafür wurde es in zahlreichen französischen Werken eingesetzt, und zwar eben zusätzlich zu den Trompeten. Auch im Don Carlos spielt diese Flexibilität im chromatischen Ausdruck eine große Rolle, darauf kommen wir noch.
»Preludio, Introduzione, Scena del frate e duetto Don Carlo - Rodrigo«, dies ist die Überschrift für das komplette erste Bild der vieraktigen Fassung. Die vier Einheiten gehen unmittelbar ineinander über. Das Vorspiel beginnt mit einer einstimmigen Melodie der vier Hörner, von der man zuerst die Tonart nicht errät: D-Dur oder A-Dur könnte es sein, eventuell auch fis-Moll. Im 9. Takt erklingt der erste Akkord, der nun mehr oder weniger eindeutig auf die Moll-Tonart verweist. Erst im 21. Takt treten weitere Instrumente dazu, Posaunen, Ophikleide und Fagotte, im 22. auch ein Paukenwirbel auf fis, der in den Mönchschor überleitet. Dieser kombiniert das fis-Moll mit Fis-Dur und landet in es-Moll, der Tonart des Mönchs, von dem wir nicht wissen, ob es Karl V. ist oder nicht. In Fis-Dur endet der Chor, ein Orchester-Nachspiel führt das noch weiter aus, ehe Don Carlo auftritt und in seiner Auftrittsarie den Verlust Elisabettas betrauert. Die Tonart ist B-Dur, dominantisch zur Tonart des Mönchs, der am Ende noch einmal eingreift und den Infanten vollends verwirrt, ehe er sich vorläufig zurückzieht. Als Besonderheiten wären noch die Glocke auf der Bühne zu erwähnen und der komponierte Abgang des Mönchs.
Nun kommt die Hauptsache, der Auftritt Rodrigos, der in das große Duett mündet, das wichtiges thematisches Material ausbreitet, aber zwischendurch auch eher konventionelle Rezitativ-Passagen enthält. Der erste lyrische Aufschwung des Don Carlos »Mio salvator« beginnt in cis-Moll. Nach dem Geständnis, dass er seine Mutter liebe, verfällt er in Depression und glaubt, auch Rodrigo ziehe sich von ihm zurück – »Tristo me« geht nun in die Tonart des Mönchs, nach es-Moll. Dann, wieder rezitativisch, die Idee, nach Flandern zu gehen, und schließlich: »Dio, che nell'alma infondere«, das berühmte terzenselige Duett der Freunde, leicht marzialisch in C-Dur. Als Erinnerungsmotiv hören wir das dann wieder in der Sterbeszene Posas. Das geht über in den »spectacle« des (stummen) Auftritts von Filippo und Elisabetta und führt zurück zum Mönchschor wie am Anfang der Szene. Die Pantomimische Episode ist andererseits auch die in der italienischen Oper übliche Unterbrechung des Duetts vor dessen Stretta. Diese gerät sehr knapp und sie wird abgeschlossen vom Orchester allein, das das Freundschaftsmotiv, nun wirklich marzialisch, fortissimo herausschreit.
Dritter Akt: Posas Tod. Schuss. Erschrecken. Generalpause. Und jetzt die große Szene der Cornets à pistons. Aber auch eine Lehrstunde der Komposition. Nicht von ungefähr hat sich in der Mehrstimmigkeit der vierstimmige Satz durchgesetzt. Vier voneinander unabhängige Informationen kann das Gehirn gerade so gleichzeitig verarbeiten. Drei Ereignisse im Orchester, eines auf der Bühne. Das findet man von Wagner bis Janaček allentalben in der Oper. Hier haben wir: 1. die Terzen einer Variante der Freundschaftsmelodie in den Cornets à pistons, die prädestiniert sind dafür durch ihre Fähigkeit alle Tönde der chromatischen Tonleiter zu erreichen und son eine Alternative zu den Holzbläsern bieten; 2. das gegensteuernde Fagott; 3. zuerst die Paukenschläge mit dem Pizzicato, später dazu auch die chromatisch absteigende Linie der Violoncelli; 4. die abgerissenen Worte des tödlich Verwundeten.
Darauf die dreiteilige Sterbearie: der Mittelteil ist eine wörtliche Wiederholung des Freundschaftsduetts, jetzt in A-Dur – und nur vom Orchester gespielt, die Holzbläser übernehmen die Singstimmen. 1. Oboe und Piccoloflöte sind Carlo, 2. Oboe und beide Flöten Posa, natürlich eine Oktave höher als das Original. An die Arie schließt sich das Finale an, das wir letztes Mal in der Pariser Originalfassung gehört haben.

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