Franz Karl Friedrich Mülller (1806–1876) gab zur Premiere von Wagners Tristan und Isolde ein Buch zur Einführung in die Oper heraus, das näher auf die Quellen eingeht. Dabei bekommen als Vorlagen für Gottfrieds Epos der französische und der deutsche Prosaroman je eigene Kapitel. In der Einleitung geht er zunächst auf die englische Tradition ein, die 1819 durch Sir Walter Scotts Ausgabe des Sir Tristrem von Thomas von Erceldoune bekannt gemacht wurde. Dort ist Tristans Heimat in Cornwall während fast alle anderen Bearbeitungen ihn als väterlicherseits aus der Bretagne stammend darstellen.
Wie schon gesagt weichen einzelne Details in den unterschiedlichen Fassungen erheblich von einander ab. So ist bei Thomas d'Angleterre etwa keine Rede von einer heimlichen Liebschaft zwischen Riwalin und Blanscheflur, dort bekommt Riwalin Markes Schwester aus Dankbarkeit für geleistete Dienste. Die Jugendzeit als Adoptivsohn Ruals und die Bedrohung Parmeniens (der Bretagne) durch Morgan ist dann in beiden Versionen ähnlich. Von dem Ganzen bleibt in Wagners Oper jedoch lediglich übrig, dass Tristan als Waise aufwuchs und später an den Hof Markes, seines Onkels kam. Nichts von der Entführung durch norwegische Seefahrer, nichts von seiner Aussetzung in Cornwall und der Begegnung zunächst mit den Pilgern und dann mit den Jägern.
Nun Morold. Gemeinsam ist allen Fassungen, dass er im Auftrag des irischen Königs von Marke den Zins fordert. Der Zins, das sind junge Männer, die Marke regelmäßig zur Verfügung stellen muss, damit ihm die Herrschaft über Cornwall nicht streitig gemacht wird. Da er dies verweigert, muss die Geschichte in einem Zweikampf ausgetragen werden. Tristan ist der einzige, der sich traut gegen den "Riesen" anzutreten. Er tötet Morold, wird aber lebensgefährlich verletzt. Bei Wagner ist Morold, von dem wir nur in der 5. Szene des 1. Aktes hören, der Verlobte Isoldes, in den Vorlagen ist er ein Verwandter, in der Regel der Onkel. Damit verschiebt sich ihre Interessenlage natürlich.
Wie der durch das Schwert Morolds vergiftete Tristan unter dem falschen namen Tantris nach Irland kommt, wird bei Wagner auch nur kurz abgehandelt. In den Vorlagen ist es entweder ein ganz normales Schiff mit entsprechender Begleitung oder ein Kahn ohne Segel und Ruder, der ihn wunderbarer Weise zu Isolde bringt. Die Isolde, die ihn heilt allerdings ist in den Vorlagen die Mutter, die zauberische Kräfte hat (was wir bei Wagner auch erfahren). Isolde die Blonde entdeckt, dass er der Mörder Morolds ist und entweder muss er fliehen, bevor sie Rache nehmen kann oder die Mutter hindert die Tochter im letzten Moment. Bei Wagner lässt Isolde selbst das Schwert sinken – sie kann Tantris-Tristan nicht töten, denn sie ist offenbar schon da verliebt.
Noch immer sind wir nicht in der Handlung des 1. Aktes angelangt. Tristan kommt also wieder zurück an den Hof Markes, hat dort unter dem Neid der Barone zu leiden und wird schließlich erneut nach Irland geschickt, um für den König eine Braut zu werben. Die Barone sind sich fast sicher, dass sie den lästigen Günstling des Königs so loswerden können. Denn noch einmal wird der Mörder Morolds nicht gnädig aufgenommen werden. Und dann gibt es außerdem da, wir sind ja schließlich in einem Märchen, den Drachen.
Tristan gibt sich am Hof des irischen Königs listig als Normanne aus und macht sich auf, den Drachen zu töten, denn wer den Drachen tötet, bekommt des Königs Tochter. So einfach ist es aber nicht, denn ein betrügerischer Truchsess macht ihm den Ruhm streitig, doch der wird schließlich überführt und Tristan kann nun endlich Isolde als Braut für König Marke mitnehmen. Und wir befinden uns schon fast auf dem Schiff, wo das mit dem Liebestrank passiert.
Die Mutter Isoldes, die Zauberin, möchte Isolde etwas Gutes tun. Sie weiß ja, dass ihre Tochter den alten König von Cornwall nicht gleich auf den ersten Blick lieben wird, also gibt sie Brangäne einen Liebestrank mit, den Isolde und Marke in der Hochzeitsnacht einnehmen sollen, auf dass sie beide eine glückliche Ehe führen. Wagners Zutat ist es nun, dass Isolde noch einen zweiten Trank, den Todestrank einpackt.
Brangäne hat in den Vorlagen nichts mit der Verwechslung des Tranks zu tun. Das Ganze passiert bei einem Zwischenhalt, wo alle außer Tristan, Isolde und ein paar Mägden von Bord gehen. Die Sonne brennt und Tristan und Isolde sind durstig, ein Mädchen findet die Flasche an Brangänes Lager und glaubt, es sei Wein.
Ab hier folgt die Handlung Wagners der Vorlage ziemlich getreu, allerdings wiederum mit vielen Auslassungen und Zusammenfassungen von Personen, wie es für ein Dramatiwierung notwendig ist. Ein Detail, um das sich die Dichter des Minnesangs kümmerten und das bei Wagner schon keine Rolle mehr spielt: Isolde ist ja nun nicht mehr Jungfrau, wenn sie in Tintagel ankommt. Also schlüpft Brangäne in der Hochzeitsnacht in ihre Rolle. Damit beginnt der Betrug an Marke.
Auch der zweite Akt ist natürlich ein Zusammenfassung mehrerer Episoden aus dem Roman. Mehrere Male gelingt es in der Vorlage Tristan und Isolde, jeden Verdacht von sich abzuwenden. U. a. mit der berühmten Szene, wo Marke sich im Baum versteckt, Tristan das aber sieht und sich deswegen zurückhält und die Szene, wo Tristan ein Schwert zwischen sich und Isolde legt – auch jetzt wusste er, dass Marke sie belauscht. Und das schon erwähnte Gottesurteil. Auf dem Weg zu dem Ort, wo das Verfahren stattfinden soll, taucht ein Pilger auf, der Isolde auf seinen Schultern über einen Fluss trägt. Das ist natürlich niemand anderer als Tristan. So kann Isolde schwören, dass sie niemals jemanden außer dem König und dem unbekannten Pilger zischen ihren Beinen gehabt habe. Sie sagt die Wahrheit und ihre Hand wird von dem glühenden Eisen nicht verletzt.
Der Schluss des zweiten Aktes und der dritte Akt sind dann wieder extrem verkürzt. Tristan wird bei Gottfried vom Hof gejagt und zieht in die Ferne, wo er eine neue Isolde, Isolde Weißhand, heiratet, die er aber nicht liebt, sich deswegen in neue Abenteuer stürzt, wobei er dann schwer verletzt wird. Die blonde Isolde wird verständigt und er wartet auf das Schiff. Dann der Betrug durch Isolde Weißhand, beide sterben, und nun der poetische Schluss. Auf ihrem Grab verschlingen sich ein Rose und eine Rebe als Zeichen dafür, dass wahre Liebe mit dem Tod nicht stirbt.
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