Dienstag, 8. März 2011

Richard Wagners "Tristan und Isolde"

Kein anderes Werk von Richard Wagner ist so mit seiner Biographie verwoben wie Tristan und Isolde. Aber auch kein anderes Werk ist so der Zukunft zugewandt wie dieses. Tristan und Isolde hat die Musikgeschichte nachhaltiger beeinflusst als jedes andere Werk der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Ring des Nibelungen ist vielleicht mehr bewundert worden, schon die schiere Länge muss jeden beeindrucken, dessen Handwerk das Notenschreiben ist. Auch die Größe des Orchesters, für das erst noch der "Mystische Abgrund" Festspielhaus gebaut werden musste, ist (vorerst) einmalig. Aber die Ausweitung der Tonalität und die formale Geschlossenheit der Form von Tristan und Isolde findet sich nirgendwo sonst bei Wagner.
Zunächst zur Form. Die drei Akte verhalten sich wie die (ursprünglichen) drei Sätze einer Sinfonie. (Das Menuett bzw. das Scherzo kam erst später dazu und wurde im späten 18. und 19. Jahrhundert als dritter Satz zur Norm.) Dem Schnell-Langsam-Schnell in der frühklassischen Sinfonie etc. entspricht Wagners Tag-Nacht-Tag. Also ein Verhältnis A-B-A, das nennt man auch Bogenform und es ist eine sehr verbreitete Form vom Lied bis zur Arie. Auch die "Da-capo-Arie" lässt sich auf dieses Schema zurückführen.
Der zweite Akt ist das Zentrum, und wenn man die Partitur in der Mitte aufschlägt, landet man mitten im Liebesduett: "...da erdämmerte mild erhabner Macht im Busen mir die Nacht." singt Tristan, und die Melodie, die er anschlägt ist das Kernmotiv der Oper. Er singt wie später die Worte "O sink hernieder, Nacht der Liebe..." auf die vier Töne des "Tristanakkords". Die Vertikale (der Akkord) ist in die Horizintale gedreht (die Melodie), ein Verfahren, das in älterer Musik lediglich bei den sogenannten "Dreiklangsmotiven" (z. B. die Anfänge der "Kleinen Nachtmusik" oder der 3. Sinfonie von Beethoven) vorkommt. Für die Zukunft aber ist das bestimmend, das ganze System Schönberg mit "12 nur aufeinander bezogenen Tönen" zu komponieren baut darauf auf, dass Horizontale und Vertikale gleichwertig sind.
Der "Tristanakkord" durchzieht die gesamte Partitur, nur wenige Elemente sind nicht irgendwie auf ihn zurückzuführen. Dazu gehören natürlich die Fanfaren des Königs Marke, die eine Bühnenmusik sind und die Matrosenlieder, auch das Spottlied Kurwenals. Auch zwei der Fünf Gedichte für Frauenstimme und Klavier auf Texte von Mathilde Wesendonck, die gelegentlich als "Vorstudien zu Tristan" bezeichnet werden, sind insofern auszuklammern, als sie quasi vor der Findung des "Tristanakkords" stehen. Die Einleitung zu Im Treibhaus ist in der Einleitung des 3. Aktes zu finden, Elemnte von Träume finden sich jeweils nach den Wachgesängen Brangänes im Liebesduett.
Der "Tristanakord" hat einen eigenen Eintrag in Wikipedia. Die Zeitgenossen hielten ihn für rätselhaft und er hat sich so eingeprägt, dass er vielerorts später zitiert wurde, zuerst ehrfürchtig, später aber auch, etwa in Debussys Children's Corner (hier vom Komponisten selbst gespielt, bei ca. 1'30" ist die Stelle), mit ironischem Unterton.
Vieles ist einfach anders bei Tristan und Isolde. Es ist nach dem Willen des Komponisten keine Oper (wie noch Tannhäuser und Lohengrin waren und wie auch Die Meistersinger von Nürnberg wieder sein werden), sondern eine "Handlung". Sie beginnt weder mit einer Ouvertüre (wie Tannhäuser), noch mit einem Vorspiel (wie Lohengrin), sondern mit einer "Einleitung" (hier von Thielemann dirigiert). Diese Einleitung dann aber ist eine einsätzige Sinfonie mit nur einem einzigen Thema. Als Erstes wird der "Tristanakkord" eingeführt. Und zwar als Teil einer Melodie, die schon davor mit den Violoncelli beginnt und mit dem Akkord auf die 1. Oboe überspringt. Bei der Wiederholung eine kleine Terz höher geht die Fortsetzung auf die 1. Klarinette über. Noch einmal zurück zur Oboe, dann Stocken. Jetzt nur die Fortsetzung in der Flöte ganz hoch. Noch einmal Stocken. Die letzte zwei Töne als Nachklang in den Violinen. Noch einmal als Crescendo in den Holzbläsern und dann der erste bassgestütze Akkord sforzato und bis zum Fortissimo, aus dem dann das Thema der Sinfonie sich, wiederum in den Violoncelli, löst. So gäbe es zu jedem Takt etwas zu sagen. Und so wollen wir uns morgen an einigen Stellen in die Partitur versenken.

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