Sonntag, 20. Februar 2011

Operngeschichte 1840-er Jahre

Am Mittwoch geht es weiter in der Alten Feuerwache. Wir haben den Terminplan um eine Woche verschoben, also sind jetzt die beiden Raritäten auf dem Plan, die von Chemnitz und Cottbus angeboten werden: Die Heimkehr des Verbannten von Otto Nicolai und Genoveva von Robert Schumann. Beides sind Werke der 1840-er Jahre, wenn auch unter ganz unterschiedlichen Bedingungen entstanden. Otto Nicolai hatte mit seiner zweiten Oper Il templario (die haben die misten von uns in Chemnitz auch scho gesehen) als 30-Jähriger in Turin seinen ersten großen Erfolg, was ihm die Chance einbrachte, eine Oper für die berühmte Mailänder Scala komponieren zu dürfen. Mit dem Libretto, das ihm der Impresario Bartolomeo Merelli zur Verfühgung stellte, war er nicht zufrieden. Die Geschichte kennen wir aus der Beschäftigung mit Verdis Nabucco. Von Verdi selbst wurde sie etwas einseitig erzählt. Fakt ist, dass Nicolai, der nur wenig älter als Verdi war und ebenfalls noch am Anfang seiner Karriere stand, schließlich Il proscritto von Gaetano Rossi vertonte und Verdi Nabucodonosor von Temistocle Solera.

Il proscritto – "Der Verbannte". Das Motiv des Exils war sehr beliebt auf der romantischen Operbühne. In Adelson e Salvini (1825), der ersten Oper von Vincenzo Bellini (das Libretto von Andrea Leone Tottola war von Valentino Fioravanti allerdings schon 1816 erstmals vertont worden) spielt ein Verbannter eine etwas zwielichtige Rolle in einer Geschichte, die in Irland im 17. Jahrhundert spielt. 1828 hatte in Neapel eine Oper von Gaetano Donizetti (es war schon seine 23., trotzdem muss man sie noch als ein Frühwerk betrachten) unter dem Titel L'esule di Roma ossia Il proscritto Premiere. Das ist eine römische Geschichte um einen Tribun, der in die Verbannung geschickt wurde, im Kaukasus mit einem Löwen in einer Höhle lebte, den die Sehnsucht jedoch nach Rom zurücktrieb wo er natürlich dem Löwen zum Fraß vorgeworfen wird. Doch unter den Löwen, die ihn zwerreißen sollten, ist auch jener aus der Höhle, dem er einst einen Dorn aus der Pranke zog und der ihn jetzt gegen die anderen Tiere verteidigt. Der Kaiser Tiberius sieht darin ein Zeichen des Himmels und begnadigt ihn. (Hier das Schlussterzett.)

1830 schrieb Carlo Varese einen Roman Il proscritto, in dem er ausdrücklich Walter Scott nacheiferte, dessen Begeisterung für die schottische Geschichte er auf Sardinien zu übertragen suchte. Dem folgte 1839 ein Roman von Frédéric Soulié (nur im französischen Wikipedia zu finden) mit dem gleichen Titel (Le proscrit). Im selben Jahr schrieb Saverio Mercadante die Oper Il bravo auf ein Libretto von Gaetano Rossi. Diese Geschichte spielt im Venedig des 18. Jahrhunderts mit seinen berühmt-berüchtigten Bleikammern. Ein Verbannter tauscht mit dem "Bravo", der im Auftrag der Regierung Morde ausüben muss, um seinen Vater zu retten, die Kleider, und nimmt nun selbst an Entführungen teil. Er bekommt schließlich seine Angebetete, auf die acuh der Doge ein Auge geworfen hatte und der Vater des Bravo stirbt in den Bleikammern, so wird er von seinem Schwur entbunden und muss nicht mehr morden. (Hier das Duett des Verbannten mit dem Bravo.) Kurz nach Nicolais Proscritto kam in Neapel eine Oper mit dem gleichen Titel (aber völlig anderer Handlung) von Mercadante auf ein Libretto von Salvatore Cammarano nach dem Roman von Soulié heraus. Und auch in der Oper Il vascello di Gama von Mercadante (1845) kam wieder ein Verbannter vor.

Die Heimkehr des Verbannten ist die Neufassung des melodramma tragico Il proscritto. Die Uraufführung in Mailand war ein vollkommenes Fiasko für den Komponisten wie für den Menschen Nicolai. Die Oper fiel beim Publikum so durch, dass sie nur ein einziges Mal gespielt wurde. Daran hatte die Sängerin Erminia Frezzolini einen nicht unbedeutenden Anteil. Sie war kurze Zeit Nicolais Geliebte war, Nicolai wähnte sich offenbar verlobt mit ihr, aber inzwischen hatte sie den Tenor Antonio Poggi kennen gelernt, den sie bald heiratete. Sie boykottierte offensichtilich die Proben zum Proscritto und entsprechend war dann auch das Ergebnis.

Nicolai kehrte nach Wien zurück, wo er schon 1837/38 als Kapellmeister am Theater am Kärntnertor war. Jetzt bekam er eine Anstellung an der Hofoper. Er richtete die Philharmonischen Konzerte ein und gilt damit als Gründer der Wiener Philharmoniker. Dirigieren war jedoch nicht alles, er wollte seine Karriere als Komponist fortsetzen und ließ eine Übersetzung des Librettos von Il proscritto anfertigen, das er dann an die Musik anzupassen gedachte. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass das eine größere Arbeit wurde. Schließlich komponierte er ungefähr die Hälfte der Oper neu. Als Die Heimkehr des Verbannten kam sie am 3. Februar 1844 in Wien auf die Bühne und geriet zu einem großen Erfolg. Als Nicolai 1847 nach Berlin kam als Leiter des Königlichen Domchores und als Kapellmeister der Hofoper, nahm er sich das Werk erneut vor und schuf eine dritte Fassung, Der Verbannte, die aber erst nach seinem Tod zur Uraufführung kam. In Chemnitz wird die Wiener Fassung aufgeführt.

Seit der Übertragung durch Deutschlandradio steht die Musik Nicolais nun endlich auch zur Verfügung (hier ein Ausschnitt, den jemand bei Youtube veröffentlicht hat, eine CD ist geplant). Festzustellen ist, dass Nicolai hier einen bedeutenden Schritt weiter gekommen ist auf seinem Weg als Komponist, der dann bedauerlicherweise 1849 mit den Lustigen Weibern von Windsor endete. Selbst wenn man die Komposition mit ebenfalls in den 1840-er Jahren entstandenen Werken vergleicht, die als besonders innovativ gelten, empfindet man es als absolut zeitgenössisch und keineswegs rückwärtsgewandt.

Robert Schumann komponierte 1847/48 Genoveva. Wie Lohengrin von Richard Wagner wurde sie erst im letzten Jahr des 4. Jahrzehnts im 19. Jahrhundert heraus, 1850: Genoveva unter der Leitung des Komponisten in Leipzig, Lohengrin in Abwesenheit des Komponisten, der steckbrieflich gesucht wurde, in Weimar. Beide Werke haben – anders als Die Heimkehr des Verbannten, die sich an der zeitgenössischen (italienischen) Opernproduktion orientiert (und eine deutsche Variante intendiert) – ein über 20 Jahre altes Vorbild: Euryanthe von Carl Maria von Weber. Mittelalterliche Legenden liegen allen drei Werken zugrunde. Im Falle von Genoveva ist das die Legende der Genoveva von Brabant (in Brabant siedelt Wagner auch Lohengrin an), in die auch Charakterzüge aus der Heiligenlegende der Genoveva von Paris eingeflossen sind.

Im Gegensatz zu Lohengrin war Genoveva bei der Premiere ein vollkommener Misserfolg. Dies mag ein Grund dafür gewesen sein, dass Schumann fortan keine Oper mehr komponierte. Leider hat sich die Missachtung dieses Werks perpetuiert. Bis heute wird sie nur selten inszeniert, und wenn, dann eigentlich immer mit einer Art Entschuldigung im Gepäck der Art, dass die Musik schon sehr wertvoll sei, aber nicht dramatisch genug, und dass man deswegen andere Wege suchen müsse. Nikolaus Harnoncourt hat 1996 in Wien eine konzertante Aufführung dirigiert, die auch auf CD veröffentlicht wurde (kann man bei jpc bestellen, oder bei L&P kaufen;-)). Eine Spätfolge dieser Aufführung war (wie dreißig Jahre vorher beim Monteverdi-Zyklus) eine Inszenierung von Martin Kusej am Zürcher Opernhaus, die es auf DVD gibt und von der auch Aussschnitte bei Youtube zu finden sind: hier.

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