Die Proben für die Neuinszenierung von LES TROYENS an der Deutschen Oper Berlin haben heute begonnen. Also höchste Zeit uns dem Stoff und der Musik zu nähern. Publius Vergilius Maro, kurz Vergil genannt breitet im 1., 2. und 4. Buch seiner Aeneis den Stoff aus, der wie Ilias und Odyssee des Homer auf den Sagen um den Trojanischen Krieg aufbaut. Im Gegensatz zu Homer allerdings steht er als Erzähler nicht auf der Seite der Griechen, sondern auf der Seite der Trojaner. Sein Held ist Aeneas, der sich mit seinen Gefährten aus dem brennenden Troja befreit und über viele Umwege nach Italien gelangt, wo er "ein neues Troja" aufbaut, aus dem dann später das römische Weltreich entstehen sollte. Das ist der kleine Makel des (im übrigen unvollendeten) Gedichts, es geht vermutlich auf einen Auftrag Octavians zurück, dem Erben Caesars, der aus der Republik dauerhaft eine Monarchie machte und als erster den Titel "Augustus" ("Der Erhabene") erhielt, der mit vielen anderen Bezeichnungen seine Kaiserwürde beschrieb. Er natürlich war in erster Linie an einer Verherrlichung des römischen Reiches interessiert. Die erhält er natürlich und auch in der Oper von Berlioz erscheint (nicht im Text und nicht musikalisch, aber als im Libretto beschriebener Bühneneffekt) das Kapitol.
Aus dem Jahr 1641 stammt die erste Oper, die nach der Aeneis gestaltet ist, LA DIDONE von Francesco Cavalli, einem Meister des venezianischen Stils. Man schreibt ihm die Einführung von Arien in die Oper zu, was nicht ganz richtig ist. Aber auf jeden Fall haben bei ihm geschlossene Gesangsnummern schon ein wesentlich größeres Gewicht im Verhältnis zum rein rezitativisch gestalteten Handlungsverlauf. Auch die Ausstattung gewinnt mehr an Bedeutung, denn sein Schaffen steht am Beginn der Oper als Unterhaltungskunst für jeden, der dafür Eintrittsgeld aufbringen kann und nicht nur für geladene Gäste eines fürstlichen Hofes, der sich selbst darin feiert.
Auch wenn der Titel etwas anderes suggeriert, Cavallis Werk hat genau so zwei völlig verschiedene Schauplätze und behandelt zwei verschiedene Abschnitte im Leben des Aeneas, wie die Oper von Berlioz. Es beginnt also auch mit den vergeblichen Warnungen der Cassandra und dem Untergang Trojas. Der Unterschied zu Vergil ist, dass die Rollen der Frauen (Cassandra und Dido, auch Creusa, die trojanische Ehefrau von Aeneas hat einen Auftritt) wesentlich gestärkt sind.
Keine 50 Jahre nach Cavalli widmet sich Henry Purcell dem Stoff, jetzt allerdings trotz des Titels DIDO AND AENEAS ganz auf die karthagische Königin konzentriert. Troja kommt nicht mehr vor und die Oper, mit der die englische Operntradition überhaupt erst beginnt, ist sehr kurz. Berühmt ist Didos Passacaglia, ihr klagender Entschluss zu Verzicht und Tod über einer sich wiederholenden Basslinie.
DIDONE ABBANDONATA ist ein Libretto von Pietro Metastasio, das zwischen 1724 und 1823 mehr als 60 Mal vertont wurde. Es ist das erste vollständige Opernlibretto Metastasios und es hat doch schon alle Merkmale seiner Opernreform. Drei Akte, Konzentration auf sechs Personen, keine komischen Einlagen, Einhaltung der drei "aristotelischen Einheiten", typisches Intrigengeflecht: A und B lieben sich gegenseitig. C jedoch liebt A auch und macht Ansprüche geltend. D liebt B insgeheim und lässt keine Möglichkeit aus, zu intrigieren, wird aber auch aufopfernd von E geliebt, F ist sozusagen der Joker, hat in jedem Libretto eine andere Funktion. Soweit das bekannte Schema der "opera seria", und hier die Auflösung: A ist Dido, B Aeneas, C Iarba (äthiopischer Prinz), D Selene (die Schwester Didos) und E Araspe (ein Gefolgsmann von Iarba) und F ist Osmida, eine Vertraute der Dido. Doch jetzt kommt der großeUnterschied: DIDONE ABBANDONATA ist das einzige Libretto von Metastasio, das in einer absoluten Katastrophe endet, Karthago brennt und Dido bringt sich um. In seinen späteren Libretti findet er (und wenn es dem historischen Hintergrund noch so widerspricht) in der Regel einen Ausweg, der aus dem Verzicht eines Herrschenden oder sonst einer einvernehmlichen Nachfolgeregelung besteht.
Der erste Komponist der DIDONE ABBANDONATA war Domenico Sarro. Weitere bedeutende Vertonungen sind von Leonardo Vinci (mit dem Metastasio selbst eine Umarbeitung des Librettos vornahm, die er jedoch nciht in die Gesamtausgabe übernahm), Johann Adolph Hasse, Nicolò Jommelli und Tommaso Traetta, mit dem wir uns ja in unserem Kurs auch noch beschäftigen werden. Die letzte Oper auf diese Libretto ist 1823 uraufgeführt worden, die Musik stammt von Saverio Mercadante.
Fortsetzung folgt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.