Morgen also ein etwas intensiveres Eintauchen in die Struktur von Mozarts "dramma giocoso". Der Untertitel, dem man gerne eine Absicht unterstellen möchte – nämlich, dass es sich um eine Mischform von "opera seria" und "opera buffa" handele –, ist in Tat und Wahrheit ein Synonym für "opera buffa". Dennoch ist die für Mozart typische Vermischung der Genres hier deutlicher als in Le nozze di Figaro. In jener überwiegen die Ensembles, während hier die Solo-Nummern noch knapp in der Überzahl sind. Das ist es dann aber auch schon, insbesondere der Titelheld hat nicht eine einzige Arie, die dem Typus der Arien entspräche, die seinem Stand in der "opera seria" angemessen wäre. "Fin ch'han dal vino" ist ein Lied, auch wenn "Aria" drüber steht. Die Canzonetta ebenso, zudem singt er sie als Diener, nicht als Herr. Das gilt auch für die darauf folgende "Handlungs"-Arie, in der er seine Verfolger an der Nase herumführt und sie auf die falsche Spur setzt.
Vor dem Hintergrund der Diskussion aus dem 16. und 17. Jahrhundert (Tragödie oder Komödie) bedeutet dies andererseits, dass Mozart in an Verspottung grenzender Moraltreue Don Giovanni asl Komödien-Subjekt und nicht als hochgestellte und vorbildhafte Persönlichkeit darstellt. Es ist evident, dass er genau das Gegenteil meinte und mit Don Giovanni in seiner vorrevolutionären Gesellschaftskritik noch einen Schritt weiter geht als im Figaro. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dies in Wien, der Hauptstadt des k. u. k. Reiches bemerkt worden ist und dass deshalb der Erfolg nicht so durchschlagend war wie zuvor in Prag.
Don Giovanni ist – auch dies entspricht dem Schem ader "opera buffa" – in zwei Akte aufgeteilt. Der erste Akt enthält 20 Szenen auf vier Schauplätzen, der zweite 16 Szenen auf fünf Schauplätzen. Theoretisch könnte das 2. Bild des 1. Aktes mit dem 1. des 2. Aktes identisch sein. Auf jeden Fall verbindet die beiden Schauplätze mehr als bloß das Wort "strada". Im ersten Akt wird es langsam hell (diese Anweisung steht allerdings nur im gedruckten Libretto, nicht in der handschriftlichen Partitur), während es im 2. Akt auf der Straße immer dunkler wird. Und die beiden Bilder enthalten jeweils die meisten Szenen: Szene 4–15 in 1., Szene 1–6 im 2. Akt. 9 bzw. 10 (wenn man die Tenorarie, die erst in Wien komponiert wurde, dazuzählt) musikalische Nummern im 1., 5 im 2. Akt.
Damit ist auch schon die Spiegelbildlichkeit der beiden Akte angedeutet: der erste beginnt spät in der Nacht und es wird langsam hell bis zum großen Maskenfest in der Mittagszeit. Der zweite schließt sich daran an und dauert bis über die Geisterstunde hinaus. Bei Mozart sind nämlich – im Gegensatz zu Tirso di Molina, aber wie seit Molière üblich – die drei "aristotelischen Einheiten" gewahrt.
24 musikalische Nummern hat Mozart für Prag komponiert, dazu kommen seit jeher zwei Arien, die er für Wien nachkomponiert hat (das Duett für Zerlina und Leporello, eine Reminiszenz an Osmin–Blonde in der Entführung aus dem Serail, erwies sich in jeder Hinsicht als untauglich). Während die Aufführungstradition der letzten 20 Jahre durchaus ein ganze Reihe von Interpretationen der (einzig gesicherten) Prager Version aufweist, wo also gänzlich auf die Wiener Zusätze ("Dalla sua pace", "Mi tradì quell'alma ingrata") verzichtet wird, kommt es selten vor, dass die Tenorarie des zweiten Aktes ("Il mio tesoro") gestrichen wird – wie es zweifellos 1788 in Wien von Anfang an der Fall war, denn Francesco Morella konnte die definitiv nicht singen. Auch hat sich spätestens seit der durch Fritz Busch und Carl Ebert 1934 in Glyndebourne begründeten originalsprachlichen Tradition die Ansicht durchgesetzt, dass die "Scena ultima" (also die "Moral von der Geschicht'", die so niederschmetternd aufklärerisch ist, dass sie zur Rebellion geradezu auffordert) unverzichtbarer Bestandteil des Werkes sei, auf den man auf keinen Fall verzichten könne. In diesen zwei Punkten wird sich die Aufführung der Deutschen Oper Berlin nun von allen anderen, und vor allem von den beiden vorangegangenen Inszenierungen (1961: Carl Ebert; 1973: Rudolf Noelte) unterscheiden.
D-Dur ist die häufigste Tonart im Don Giovanni. Nicht weniger als 6 Musikalische Nummern bzw. großere Abschnitte innerhalb von musikalischen Nummern folgen ihr. Unterstrichen wird sie durch die bedeutungsvolle Verwendung der gleichnamigen Molltonart: die Ouvertüre wie der Höllensturz (also Anfang und Ende unserer Version, die – nota bene – im gesamten 19. Jahrhundert die einzig denkbare waer) stehen in d-Moll, wie auch das Duett Donna Anna / Don Ottavio unmittelbar nach dem Mord und ein Teil des 1. Finales. Besonders deutlich wird die Janusköpfigkeit der D-Tonart in der Arie Elviras "Ah, fuggi, traditor", die von der Rhythmik und dem gesamten Habitus einem stürmischen Moll entspricht, jedoch ebenso in D-Dur steht wie Donna Annas "Or sai chi l'onore".
Die seltenste Tonart ist E-Dur, sie ist ausschließlich dem makabren Duett auf dem Friedhof vorbehalten. Immerhin zwei Mal kommt A-Dur vor, die bei Mozart immer etwas ganz Besonderes ist (s. Sinfonie Nr. 29, Klarinettenkonzert etc.): "La ci darem la mano", das Duett Don Giovanni – Zerlina, und das Terzett Don Giovanni – Donna Elvira – Leporello im 2. Akt.
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