Dienstag, 19. März 2024

Abschluss des Frühjahrskurses

Mit Le nozze di Figaro beenden wir den Frühjahrskurs in den »Zehlendorfer Operngesprächen.« Die Partitur von Wolfgang Amadeus Mozart ist so etwas wie eine Bibel für die Opernschaffenden. Sie kommt hier nicht zum ersten mal vor, zuletzt sprachen wir in der Corona-Zeit über die drei Operrn, die Mozart mit Lorenzo da Ponte geschrieben hat, davor – und das ist jetzt mehr als acht Jahre her – anlässlich der letzten Neuinszenierung Le nozze di Figaro an der Berliner Staatsoper.

Es ist das Werk, mit dem Daniel Barenboim sich 1978 in Berlin als Operndirigent eingeführt hat. Von Siegfried Palm wurde er an die Deutsche Oper Berlin verpflichtet, als Regisseur kam Götz Friedrich dazu, der bis 1972 an der Komischen Oper gewirkt hatte und seit 1977 an der Deutschen Oper. Beide hatten danach leitende Funktionen in der Berliner Kultur, Götz Friedrich 1981 bis zu seinem Tod 2001 als Generalintendant und Chefregisseur der Deutschen Oper, Daniel Barenboim seit 1992 als Chefdirigent der Staatsoper. Götz Friedrich hat die Inszenierung zeit seines Lebens mit regelmäßigen Auffrischungsproben lebendig erhalten und sie ist auch heute noch zu sehen, allerdings mit großen Einschränkungen im Bühnenbild. Einige Erfindungen von Götz Friedrich sind noch da, so der Sprung des Cherubino in den Orchestergraben, aber ansonsten wird es schwierig, da die ersten Spielleiter ebenfalls schon verstorben sind und die einzige Spielleiterin, die noch mit Götz Friedrich gearbeitet hat, demnächst in Rente geht.

Daniel Barenboim seinerseits suchte ständig die Auseinandersetzung mit dem Werk und hat es in mehreren Inszenierungen an der Staatsoper herausgebracht, die letzte allerdings im November 2015 dirigierte er nicht selbst. Er überließ den Taktstock Gustavo Dudamel, das Ergebnis (Inszenierung vom ehemaligen Intendanten Jürgen Flimm) ist nach wie vor hier zu sehen. Das Schillertheater übrigens, wo die Staatsoper damals spielte, ist der ideale Ort für diese Oper.

Am Anfang der Auseinandersetzung mit Le nozze di Figaro steht die Frage, ob denn die Oper von Mozart genauso »revolutionär« sei wie die Vorlage von Beaumarchais, La folle journée ou Le mariage de Figaro. Leicht kann man dabei auf Äußerungen des Librettisten Lorenzo da Ponte hereinfallen. Er nämlich musste gegenüber dem Kaiser rechtfertigen, wieso ein Stück, das von der Zensur verboten worden war, als Oper aufgeführt werden soll. Also musste er alles Revolutionäre herunterspielen, sonst hätte er das Ziel niemals erreichen können. Und ja: so explizit wie Figaro im 5. Akt des Tollen Tages seinen Dienstherrn als Nichtsnutz beschimpft, tut das der Bassbariton in seiner Arie des 4. Aktes nicht. Er bleibt im Persönlichen der Eifersucht stecken und fordert die Welt auf, die Augen aufzumachen (»Aprite un po' quegl' occhi«) und er gibt keine konkreten Empfehlungen für die Konsequenzen. Aber das ist in einer Oper ohnehin nicht notwendig, denn in der Oper kommt zu den Worten noch etwas Entscheidendes hinzu: die Musik. Und wer möchte behaupten, dass Mozarts Musik nicht revolutionär sei?

Also lassen wir den Streit und wenden wir uns der Musik zu, die zum Bedeutendsten gehört, was je für die Bühne geschrieben wurde. Die Trennung zwischen klavierbegleiteten Rezitativen für den Fortgang der Bühnenhandlung und Arien als kontemplative Ruhepunkte oder auch emotionale Ausbrüche ist genretypisch gewahrt. Doch dazwischen liegen die Ensembles: Duette, Terzette und ein Sextett. Und dazu kommen drei ausgedehnte Finali, in denen alle rezitativischen Abschnitte vom ganzen Orchester begleitet sind, kleine Dramen für sich. Auf das Finale des zweiten Aktes, das über 20 Minuten dauert (in einer üblichen Opera buffa der Zeit sind die Finali meist sehr kurz) war Mozart besonders stolz. Aber auch das letzte Finale, in dem sich eine in der Zeit beliebte Komödien-Situation wiederholt, wurde zum Vorbild für Finali im 19. Jahrhundert, bis Verdi mit seinem verlöschenden Ausklingen in Aida einen neuen Standard setzte.

Verwechslung gehört zur Grundausstattung aller Komödien. Im ersten Finale ist das Überraschungmoment – nicht für den Zuschauer, der weiß es schon vorher, sondern für das Grafenpaar – dass tatsächlich, wie von der Gräfin behauptet, Susanna aus dem Kabinett kommt und nicht Cherubino, den der Graf erwartet und den auch die Gräfin annehmen muss. Am Schluss tauschen Susanna und die Gräfin ihre Kleider, um ihre Männer in den Senkel zu stellen. Figaro merkt schnell, dass die »Gräfin« in Wirklichkeit Susanna ist. Und so kann er – ohne irgend etwas Unmoralisches zu tun – den Grafen eifersüchtig machen. Und ihn blamieren, wenn sich »Susanna«, mit der dieser sein Rendezvous genießen wollte, als Gräfin entpuppt. Ganz ähnliche Situationen bietet etwa L'amant jaloux von Grétry an, eine opéra comique von 1778.

Jede der 29 musikalischen Nummern in Le nozze di Figaro ist ein Lehrstück ganz eigener Prägung, und fast jede dieser Nummern ist Unterrichtsstoff an den Musikhochschulen. Wer ein Bariton werden will, muss »Hai gia vinta la causa –Vedrò mentre io sospiro«, Retzitativ und Arie des Figaro aus dem 3. Akt im Schlaf beherrschen. Wer eine Karriere als Bassbuffo anstrebt, muss »La vendetta«, die Arie des Bartolo aus dem ersten Akt, herausbringen, ohne sich die Zunge zu brechen. Und die Duette gehören in den szenischen Unterricht. »Vi resti servita«, Susanna und Marcellina im ersten Akt müssen zeigen, dass sie einander die Augen auskratzen und trotzdem im Takt singen können. »Cosa sento«, das Terzett Susanna, Basilio und Conte, ebenfalls aus dem ersten Akt, ist ein Stück mit vier handelnden Personen, denn Cherubino ist von Anfang an mit dabei, doch wird er erst in der Mitte des Stücks entdeckt, und wenn nun noch einmal die gleiche Musik erklingt, erklingt sie anders.

Am Mittwoch mehr davon,

Ihr Curt A. Roesler

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