Montag, 16. Oktober 2023

Albert Lortzing

An dieser Stelle gibt es schon einen ausführlichen Beitrag mit vielen Verweisen auf Ton- und Videoaufnahmen zum Wildschütz, auf den ich hier verweise. Daher jetzt nur noch ein paar Anmerkungen zu den anderen Opern von Lortzing. Sein populärstes Werk ist Zar und Zimmermann, das war 1837 auch sein erster großer Erfolg in Leipzig, wir kommen gleich darauf. Hier soll (was am Mittwoch nicht geschehen kann, weil wir so viel Zeit nicht haben) ein Überblick über alle Bühnenwerke Lortzings folgen. Von vielen existieren auch Aufnahmen, auf die verwiesen wird, am ausführlichsten sind die Ouvertüren mit Tondokumenten vertreten. 

Aufgewachsen als Theaterkind, fand Lortzing früh den Weg auf die Bühne – als Schauspieler und Sänger. Musikunterricht hatte er bei Friedrich Rungenhagen, dem Direktor der Berliner Singakademie, genossen. Und dichterische Begabung zeigte er auch schon früh, etwa mit den Eltern gewidmeten Neujahrsgedichten. Aber für die Bühne zu komponieren begann er erst mit 21. Zuerst waren das Lieder als Einlagen zu Schauspielen oder alternative Vertonungen von Liedern und Arien in Singspielen und Opern.

1823 fasste er den Entschluss, selbst für die Bühne zu schreiben, eigene Texte, selbst vertont. Ali Pascha von Janina oder Die Franzosen in Albanien war das erste Ergebnis, doch zu einer Aufführung kam es vorerst nicht, denn die Direktoren schätzten Lortzing zwar als Sänger und Schauspieler (und jugendlicher Publikumsmagnet), aber als Komponist trauten sie ihm nicht allzuviel zu. Erst als er zusammen mit seiner Frau 1826 in Detmold ein Engagement fand, wendeten sich die Dinge zum Besseren. 1828 kam es zur Uraufführung des Ali Pascha – allerdings nicht im Hoftheater selber, das Detmolder Theater bespielte nämlich auch die Bühnen in Münster und Osnabrück. In Münster also erblickte das Werk die Welt, hier die Ouvertüre, gespielt vom Kölner Rundfunkorchester unter Jan Stulen. Wenn Sie bei YouTube suchen, finden Sie auch noch ein Duett und eine Arie aus einer Aufführung in Tirana 2013. In Detmold selber kam 1830 Lortzings Bearbeitung des damals sehr beliebten Singspiels Die Jagd zur Aufführung. Die originale Ouvertüre von Johann Adam Hiller können Sie auch bei YouTube finden, aber von Lortzings Bearbeitung ist da nichts zu sehen. 

1832 war ein sehr produktives Jahr, Szenen aus Mozarts Leben (es gibt Ausschnitte aus einer niederländischen Aufführung bei YouTube) und Der Weihnachtsabend (Ouvertüre mit dem Malmö Orchester unter Jun Märkl hier) kamen in Münster heraus, Der Pole und sein Kind oder Der Feldwebel vom IV. Regiment in Osnabrück (hier die Ouvertüre, gespielt vom Concerto Köln auf historischen Instrumenten). Das ebenfalls 1832 entstandene Singspiel Andreas Hofer kam erst 2014 in Annaberg-Buchholz zur Uraufführung. Die Ouvertüre ist jedoch auch schon früher aufgenommen worden, auch von Jun Märkl und dem Malmö Orchester, hier die Alternative mit dem Rundfunk Sinfonieorchester Berlin unter Rolf Ott.

Durch Vermittlung der Eltern Lortzings, die da schon seit 1832 wirkten, kam das nicht mehr ganz junge Schauspielerpaar 1833 nach Leipzig. Hier dauerte es wieder einige Jahre, bis Lortzing auch als Komponist ernst genommen wurde. Die Schatzkammer des Ynka, 1836 entstanden als einziges Werk, für das Lortzing den Text nicht selber schrieb, kam gar nicht zur Aufführung und gilt heute als verschollen. Der Librettist Robert Blum, ein enger Freund Lortzings wurde im Zuge der gescheiterten 1848-Revolution in der Nähe von Wien standrechtlich erschossen.

1837 war es endlich soweit: am 20. Februar wurde Die beiden Schützen in Leipzig uraufgeführt. 1950 hat der Bayerische Rundfunk das Werk ohne Dialoge in einem Konzert aufgeführt, Jan Kotsier Dirigierte, es wirkten Max Proebstl, Peter Russ, Käthe Nentwig, Benno Kusche, Richard Holm, Ruth Michaelis, Paul Kuén, Elisabeth Lindermeier, Karl Schmitt-Walter und Georg Wieter mit. Ich rate Ihnen, sich das auf Spotify, Deezer, Tidal oder in der Naxos Music Library anzuhören, denn bei YouTube muss man sich die einzelnen Nummern mühsam zusammensuchen. Und die Tonqualität ist hier Rundfunk 1950, ursprünglich Mittelwelle, später übertragen per UKW mit entsprechenden atmosphärischen Störungen. Hermann Prey hat jedoch die Arie des Wilhelm aus dem 1. Akt »Da, wo schöne Mädchen wohnen« aufgenommen, hier zu hören. Ob die üppige Instrumentation (mit Glockenspiel) original Lortzing ist, weiß ich allerdings nicht zu sagen.

Noch im gleichen Jahr 1837, am 22. Dezember, kam ebenfalls in Leipzig das Werk heraus, das Lortzing bekannt und beliebt machen sollte – bis vor etwa vierzig Jahren seine Strahlkraft zu sinken begann. Zar und Zimmermann kam 1985 an der Deutschen Oper Berlin in einer Neuinsenierung von Winfried Bauernfeind mit u. a. Wolfgang Brendel und Peter Seiffert heraus und blieb für ein Jahrzehnt eine der beliebtesten Produktionen des Hauses. Czaar und Zimmermann oder Die zwei Peter war der Originaltitel, hier eine NDR-Fernsehaufzeichnung des Zar und Zimmermann der Hamburgischen Staatsoper von 1969 mit Raymond Wolanski, Peter Haage, Hans Sotin und Lucia Popp (Playlist). Und hier noch eine Alternative vom ZDF aus dem Studio mit etwas prominenterer Besetzung, bei Lucia Popp als Marie bleibt es allerdings, aber Raymond Wolansky wurde als Zar durch Hermann Prey ersetzt, Hans Sotin als Bürgermeister durch Karl Ridderbusch und Peter Haage als Peter Iwanow durch Adalbert Kraus. »O sancta justitia« ist eine Arie, die früher jeder Bass drauf haben musste, hören wir hier Gottlob Frick in einer Aufnahme von 1959. Alles hat Lortzing allerdings nicht allein erfunden, einen aufgeblasenen Kerl vom Schlage van Betts finden wir schon bei Rossini; und hier singt ebenfalls Gottlob Frick (in deutscher Sprache) die Arie des Dottor Bartolo aus Der Barbier von Sevilla zum Vergleich.

Caramo oder Das Fischerstechen, 1839 in Leipzig uraufgeführt, war längst nicht so erfolgreich und hat es nicht einmal in die Wikipedia geschafft. Hans Sachs (1840) hingegen mit Libretto-Anteilen von Philipp Reger, einem Schauspielkollegen in Leipzig, war zunächst recht erfolgreich, doch schon vor Wagners Die Meistersinger von Nürnberg verschwand die Oper wieder von den Spielplänen. Wiederbelebungsversuche in der Zeit des Nationalsozialismus mit entsprechenden Bearbeitungen (auch das Deutsche Opernhaus in Berlin beteiligte sich daran) schlugen fehl und auch danach gab es nur vereinzelte Aufführungen, so 1950 konzertant mit dem Fränkischen Landesorchester und der Nürnberger Singgemeinschaft unter Leitung von Max Loy mit Karl Schmitt-Walter, Friederike Sailer, Richard Wölker, Karl Mikorey und Albert Vogler, hier die um Dialoge ergänzte Tonaufnahme (Playlist). 1983 wurde die Oper im Rahmen des Jugendfestpieltreffens in Bayreuth (heute »Das Festival junger Künstler«) aufgeführt, im gleichen Jahr brachte sie auch der rührige Fritz Weiße in der Berliner Philharmonie zur Aufführung, 1986 Flensburg. Und jetzt nimmt sich die Leipziger Oper in der Musikalischen Komödie am 13. April 2024 ihrer an.

Ähnliches ist von der heute noch unbekannteren Oper Casanova (1841) zu berichten, die Bearbeitung von Mark Lothar 1944 kam schon zu spät, als dass sie im »Dritten Reich« noch hätte Wirkung entfalten können, aber auch der Wiederbelebungsversuch von Hans R. Scheibe in der DDR war nicht nachhaltig. Immerhin hat Otto Ackermann das Original 1958 in Bern für den Schweizer Rundfunk dirigiert; die Aufnahme ist natürlich auf meiner Ferstplatte gespeichert, aber sie ist offenbar nie auf Schallplatte oder CD gepresst worden und somit auch nicht als Stream verfügbar. Aber immerhin, eine Arie gibt es von Rudolf Schock gesungen: »Frei sein ist erst wahres Leben«. Genau das ist es, in der Oper es geht um die Flucht aus den Bleikammern und nicht um die zahlreichen amourösen Abenteuer des Venezianers. Der Wildschütz ist die nächste Oper, auf die wir hier jetzt nicht eingehen, denn es gibt ja schon einen Post dazu.

Zwei Jahre dauerte es bis zur nächsten Oper, die sich einem durch und durch romantischen Stoff widmet, Undine, 1844 in Magdeburg zur Uraufführung gebracht. Sie gehört mit Zar und Zimmermann, Der Wildschütz und Der Waffenschmied zu den vier Opern Lortzings, die noch in den sechziger Jahren zum Grundrepertoire eines deutschen Theaters oder Opernhauses gehörten. Sie steht zwischen E. T. A. Hoffmanns Undine und Antonín Dvořáks Rusalka, die entweder ganz auf das wesentliche Gestaltungsmittel der Romantik, Ironie, verzichten (Hoffmann), oder sie nur sehr dezent einsetzen (Dvořák). Wie vom Wildschütz gibt es geau zwei kommerzielle Tonaufnahen, eine von EMI aus den Sechzigern und eine von Capriccio aus 1990. In der ersten singt Anneliese Rothenberger die Titelpartie und es sind Nicolai Gedda, Hermann Prey, Peter Schreier, Gottlob Frick, Ruth-Margret Pütz und der RIAS-Kammerchior dabei unter der Leitung von Robert Heger, hier der Link. Die zweite dirigiert Kurt Eichhorn mit u. a. Christine Hampe, Monika Krause, Josef Protschka, Heinz Kruse und Andreas Schmidt, hier der Link zur Playlist. Aber eine historische Aufnahme einer einzelnen Arie sei noch erwähnt: Heinrich Schlusnuns singt das Finale des 3. Aktes, »Nun ist's vollbracht« Kühleborn holt Undine in sein Reich zurück, es begleitet die Staatskapelle Berlin und es singt den Staatsopernchor. Außerdem können Sie bei Naxos Music Library noch eine Gesamtaufnahme des italienischen Rundfunks aus den 50ern unter der Leitung ebenfalls von Robert Heger finden.

Weitere zwei Jahre später kommt in Wien, wo Lortzings, in Leipzig gekündigt, inzwischen gelandet sind, Der Waffenschmied heraus. Davon gibt es drei kommerzielle Aufnahmen, eine aus den Sechzigern, eine von 1992 und eine ganz aktuelle aus Wien, die allerdings ganz ohne die für das Verständnis wichtigen Dialoge bleibt. Die erste von EMI dirigiert einmal nicht Robert Heger, sondern Fritz Lehan, es singen Kurt Böhme, Lotte Schädle, Hermann Prey, Gerhard Unger, Gisela Litz und Fritz Ollendorff, die können Sie genauso wie die neueste bei Spotify & Co. finden. Die mittlere vom Münchner Rundfunk 1992 dirigiert Leopold Hager, es singen John Tomlinson, Ruth Ziesack, Bo Skovhus, Kjell Magnus Sandvé und Ursula Kunz, hier der Link zur Playlist. Die Oper wurde oft missverstanden, was sowohl zu ihrer Popularität, wie auch zur Sendepause betrug, die sie nun seit drei Jahrzehnten hatte. Der Titel schreckt manchen Pazifisten vielleicht ab, sie ist aber keineswegs kriegstreibend, einige Strophen von einzelnen Arien waren sogar das genaue Gegenteil davon, was zur Folge hatte, dass sie bei der Uraufführung zensiert wurden. Es lohnt sich, sich erneut mit der Oper zu befassen.

Zum Großadmiral, 1847 wieder in Leipzig zur Uraufführung gekommen, verschwand sehr schnell von den Spielplänen, um erst vor wenigen Jahren wieder aufzutauchen: 2018 kam es in Annaberg-Buchholz zu einer Bühnenaufführung und 2019 dirigierte Ulf Schirmer eine konzertante Aufführung in München, die bei cpo veröffentlicht wurde, hier der Link.

Regina, oder Die Marodeure, entstanden im Wien des Aufstandes 1848 kam zu Lortzings Lebzeiten überhaupt nicht zur Aufführung, nachdem die Revolution niedergeschlagen war, konnte davon überhaupt keine Rede sein. »Arbeiteraufstand auf der Bühne, wo kämen wir denn da hin?« befanden die Oberen. Erst 1899 gab es in Berlin eine (folgenlose) Aufführung in der Bearbeitung von Adolphe L'Arronge, auch die DDR-konforme Beaurbeitung von Wilhelm Neef brachte 1951 keinen durchschlagenden Erfolg. Immerhin ist sie von Walhall auf CD veröffentlich und sie können sie bei Spotify & Co. hören. Die originale Regina hat wiederum Ulf Schirmer vor wenigen Jahren zur Aufführung gebracht, auch die finden Sie bei Spotify & Co. (ich bevorzuge Deezer, aber es gibt natürlich auch die Möglichkeit der Naxos Music Library, an die Sie umsonst kommen, wenn Sie einen Bibliotheksausweis der Berliner Öffentlichen Bibliotheken besitzen).

Auch Rolands Knappen, nach dem Märchen von Musäus, steckt voller Anspielungen auf die revolutionäre Gegenwart Lortzings. Nur mit starken Eingriffen der Zensur konnte die Oper 1849 in Leipzig zur Aufführung kommen. 2005 kam die Oper in Freiberg heraus, aber ansonsten ist sie bis heute ziemlich vergessen, außer der Ouvertüre, die wir hier vom WDR-Orchester hören, dirigiert von Helmut Froschauer.

Die letzte vollendete Oper Lortzings ist der Einakter Die Opernprobe, in der EMI-Serie der Sechziger von Otmar Suitner mit Regina Marheineke, Bicolai Gedda, Klaus Hirte und Walter Berry dirigiert, hier der Link zur Playlist. Und hier eine Aufführung mit Dialogen in französischer Sprache aus der Bretagne.

Das alles wird am Mittwoch nicht zur Sprache kommen. Nach dem 18. Oktober gibt es eine Woche Pause in den »Zehlendorfer Operngesprächen«, wir treffen uns erst wieder am 1. November zu Médée von Marc-Antoine Charpentier, dem Komponisten der Eurovisions-Melodie.

Bis dann,
Ihr Curt A. Roesler


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