Am Samstag war in Osnabrück die Premiere dieser Oper, die damit nach fast dreißig Jahren wieder einmal gespielt wird – 1992 hatte John Dew sie in die Reihe seiner »Wiederentdeckungen« in Bielefeld aufgenommen. Der Besuch hat sich auf jeden Fall gelohnt. Fremde Erde gehört dem Genre der »Zeitoper« an, dessen bekanntestes (aber auch eher selten gespieltes) Beispiel Jonny spielt auf von Ernst Krenek ist. Neues vom Tage, die von Hitlers Horden als »kulturbolschewistisch« verfemte Oper von Paul Hindemith und Maschinist Hopkins von Max Brand, beide damals auch in Bielefeld gespielt, gehören ebenso dazu wie Transatlantic von George Antheil und Von Heute auf Morgen von Arnold Schönberg, alles Werke, die ebenso wie Lindberghflug und Der Zar lässt sich photographieren von Kurt Weill, die dem Genre nahestehen, in Nazideutschland verboten waren. Aber es gibt auch eine Zeitoper von einem damals hochgeehrten Komponisten, von Richard Strauss: Intermezzo. Alle diese Opern, inklusive der von Strauss, sieht man äußerst selten ud deswegen: auf nach Osnabrück. Dort hat eine neue Intendanz ihre Arbeit begonnen. Der ehemalige Berliner Dramaturg Ralf Waldschmidt hat die Leitung des Theaters nach zehn Jahren abegeben und ist als Chefdramaturg an die Hamburgische Staatsoper gegangen. Als Intendant folgte ihm jetzt in Osnabrück, aus Bremerhaven kommend, Ulrich Mokrusch. Zu seinem Leitungsteam gehört als Ballettdirektorin eine ehemalige Berliner Tänzerin und Choreografin, Marguerite Donlon. Sie hat ihre erste Premiere, Zeit, am 30. Oktober.
Auf der Homepage des Theaters Osnabrück findet man hier ein Interview mit dem Regisseur Jakob Peters-Messer (er hat vor einiger Zeit auch in Berlin einige Inszenierungen herausgebracht), Szenenfotos und ein paar Tonbeispiele. Eine kurze, freundliche Kritik hat die nmz schon am Sonntag veröffentlicht.
Das Thema der »Zeitoper« von 1930 ist heute ebenso aktuell wie damals. Es geht um eine Gruppe von litauischen Auswanderern, denen wir zuerst im Zwischendeck eines Ozeandampfers begegnen, als Hauptfiguren schälen sich von litauischer Seite der kräftige junge Bauer Semjin und seine Verlobte Anschutka sowie ihr Vater heraus. Schon hat sie ein wenig die Sehnsucht nach der Heimat gepackt, da hören wir Tanz und Musik aus dem Oberdeck. Der Werber Rosenberg erscheint und will Semjin vom Fleck weg für die Salpeterminen engagieren, der will jedoch nirgendwo hin ohne die Geliebte und deren Vater. Das Blatt wendet sich, als die Minenbesitzerin Lean Branchista selbst erscheint (und singt); sie hat einen Blick auf Semjin geworfen und der ist auch von ihr fasziniert. Sie gibt auch Anschutka und deren Vater Arbeit. Im zweiten Akt sehen wir Anschutka schon schwer krank im Haus Leans schuften und nach Regen schmachten. Von der Zofe Leans und den Hausarbeiterinnen wird sie ausgelacht. Sennor Esteban, der Aufseher der Minen bringt die Nachricht, dass ein Aufstand im Gange ist. Anführer ist Semjin, der aber von Lean mit dem Geschenk einer Koppel Pferde und der Aussicht darauf, Estebans Stelle einzunehmen, gekauft wird. Nun ist er ein Verräter. Der dritte Akt spielt in der Nähe der Minen. Einige Auswanderer haben den Plan, mit gestohlenen Edelsteinen nach Litauen zurückzukehren. Semjin und Lean kommen im Streit, weil Semjin erfahren hat, dass wieder Minenarbeiter ums Leben gekommen sind. Als Esteban dazukommt, entscheidet sie sich für ihn. Als aber die Arbeiter Semjin töten wollen, wirft sie sich dazwischen und rettet ihn indem sie ihn des Landes verweist. Der vierte Akt spielt in New York, wo sich Semjin vor Verzweiflung von einem Wolkenkratzer in die Tiefe stürzen will, dann aber aufgrund einer Leuchtreklame entscheidet, nach Litauen zurückzukehren, wo er Anschutka zu finden hofft. Im Hafen angekommen, findet er die sterbende Anschutka und ihren Vater Guranoff. Auch Rosenberg erscheint hier wieder und Semjin lässt sich von ihm für eine Arbeit anwerben, an der er sicher zugrunde gehen wird.
Schon vor 100 Jahren wurde die zeitgenössische Musik von einem Teil des Publikums nicht mehr »verstanden«. Die »modernen« Komponisten lebten in einer Blase und retteten sich in die Ausrede, wahre Kunst müsse auch eine exklusive sein und dürfe sich nicht dem Publikumsgeschmack anbiedern. Rathaus, der eine eher gemäßigte Musiksprache pflegte und Schönberg zu radikal fand, sah in der Oper eine Möglichkeit, das Trennende zu überwinden. Wenn das Publikum von einer Handlung gepackt würde, dann würde es auch ungewohnte Klänge akzeptieren. Man könne also in der Oper das Publikum an das Neue gewöhnen, wenn man das geschickt anpacke. Dann würden die Leute auch neugierig auf Konzerte mit Neuer Musik. Ein Gedanke, der gar nicht so abwegig ist, wenn man daran denkt, dass ein Komponist wie Mahler um 1980 noch fast nur etwas für Spezialisten war, nachdem aber John Neumeier in Hamburg eine nach der anderen Symphonie zur Grundlage eines Balletts machte, mit dem er dann weltweit tourte, auch in Konzerten wieder vermehrt auftauchte. Tatsächlich sind Dissonanzen und andere das Publikum möglicherweise verschreckende Elemente in Fremde Erde sehr sparsam eingesetzt. Und der Osnabrücker Generalmusikdirektor Andreas Hotz vermeidet Klangamssierungen, die mit dem sehr großen Orchester leicht entstehen könnten, zugunsten einer sehr sängerfreundlichen Begleitung und Unterstützung – auch das ein Grund, nach Osnabrück zu fahren.
Ein Repertoirestück wird Fremde Erde vermutlich nicht mehr, die Oper wird immer als Rarität zu sehen sein. Karol Rathaus hat aber noch ganz andere Musik geschrieben, Filmmusik. Liebhabern des Schauspielers Peter Lorre wird der Titel Die Koffer des Herrn O. F. geläufig sein. Zwar spielt er auch in diesem Zusammenhang, etwa bei Retrospektiven, wie sie vor nicht allzulanger Zeit im Zeughauskino ausgebreitet wurde, eine eher untergeordnete Rolle. Aber er liegt schon länger in meinem »Schatzkästlein« von Filmen aus der Weimarer Republik – ohne dass mir allerdings bewusst gewesen wäre, dass die Musik von Karol Rathaus stammt. Bei YouTube findet man ihn hier. Ein Chanson über Eva und ihr erstes Kleid, das Margo Lin darin singt, gibt es auch als Tonaufnahme in etwas besserer Qualität hier. Mit dem Regisseur Alexis Granovsky arbeitete Rathaus später an einem Film Die Abenteuer des Königs Pausole. Der Film wurde in Paris gedreht und bot Rathaus die Mögichkeit, Kontakte zu knüpfen, so dass er 1933 sofort nach Frankreich emigrieren konnte. Leider habe ich den Film nirgendwo gefunden, was auch daran liegen kann, dass es eine Operette von Arthur Honegger über den gleichen Stoff gibt, die immer zuerst angezeigt wird. Der allererste Film, für den Rathaus die Musik schrieb, ist Der Mörder Dimitri Karamasoff, 1930 in Berlin von Erich Engel und Fedor Ozep mit Fritz Kortner gedreht. Auch den gibt es hier auf YouTube. Auch The Dictator habe ich gefunden unter dem Titel For the Love of a Queen. Es ist eine Struensee-Tragödie, von Victor Saville 1935 gedreht in Großbritannien, die erste Arbeit Rathaus' im englischen Exil, hier. Insgesamt elf mehr oder weniger bedeutende Spielfilme hat Rathaus mit Musik versehen. Im amerikanischen Exil entstanden noch acht weitere Filmmusiken zu meist sehr kurzen Filmen, von Martin Schüssler in seiner großen Rathaus-Biografie als »propagandistische Filme« bezeichnet. Es sind Auftragskompositionen, bei denen sich der Komponist nicht so große Mühe gegeben hat. In Hollywood konnte Rathaus nicht landen. Aber in New York bekam er endlich eine Professur, am Queens College. Und von der Metropolitan bekam er noch einmal einen Auftrag. Er stellte eine sielbare Fassung des Boris Godunow von Mussorgsky her, die einige Jahre lang gespielt wurde. Für Abonnenten der Met dürfte mindestens eine historische Rundfunkpbertragung dieser Fassung zugänglich sein. Bei YouTube habe ich sie bisher nicht gefunden.
Wie sehen uns morgen wieder, hoffentlich ohne die technischen Probleme vom letzten Mittwoch. Herzlich grüßt Ihr Curt A. Roesler
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