Montag, 23. März 2020

Pique Dame von der Novelle zur Oper

In diesen Zeiten ist auch lesen wieder eine Beschäftigung, der man in Ruhe nachgehen kann. Vielleicht haben Sie ja die Novelle Pique Dame von Alexander Puschkin im Regal stehen, wenn nicht, ist das nicht schlimm. Man findet sie im Netz mehrfach, allerdings wird man auch da und dort in die Irre geführt. Das hängt mit der EU-Datenverordnung zusammen. Aktuell funktioniert dieser Link zu einer deutschen Ausgabe von 1927. Wer Kindle nutzt kann hier die kostenfreie Ausgabe »kaufen«. Inzwischen lässt man sich ja auch gerne vorlesen. Auch da gibt es bei YouTube Angebote von Hörbüchern. Ich gebe Ihnen hier einmal einen Link zu Spotify, wo drei verschiedene Hörbücher angeboten werden. Wenn man Werbung akzeptiert, bekommt man derzeit Spotify gratis. Auch den größten Teil der aktuell verfügbaren CD-Aufnahmen der Oper von Tschaikowsky kann man dort finden. Für alle Suchen im Netz gilt: mindestens drei verschiedene Titel ausprobieren: Pique Dame; Pikovaya dama; Queen of Spades. Der russische Titel kann auch noch verschieden geschrieben werden, aber die angegebene englische Umschrift ist die übliche.
Alexander Puschkin (1799–1837) veröffentlichte die Erzählung Pique Dame 1834, drei Jahre vor seinem tragischen Tod im Duell. Mehr als fünfzig Jahre also waren vergangen, als Peter I. Tschaikowskys Bruder Modest ein Libretto nach diesem Stoff für den heute völlig unbekannten Komponisten Nikolai S. Klenovsky (1853–1915) schrieb. Nachdem sich der Librettist aber mit dem Komponisten zerstritten hatte, bot das Kaiserliche Theater das Libretto Tschaikowsky an, der nach einigem Zögern den Auftrag annahm. Modest hatte schon bedeutende Änderungen gegenüber der Vorlage vorgenommen. So wurde das Verhältnis zwischen Lisa und German mehr in den Vordergrund gehoben und als scheiternde Beziehung gewertet. Das sprach Tschaikowsky, der gerade aus einer Ehe geflüchtet war, besonders an. Auch dass die Handlung in die Zeit der Zarin Katharina zurück verlegt worden war, kam Tschaikowsky zupass. Er hatte schon mit zwei Orchesterwerken die Zeit Mozarts und Glucks beschworen und konnte auch hier die Musik mit Stilzitaten bereichern.
Hören wir doch hinein zunächst in die Rokoko-Variationen für Cello und Orchester. Am liebsten gleich mit Mstislav Rostropowitsch: hier gibt es eine Live-(Audio)-Aufnahme aus Boston von 1985 mit Meiji Ozawa am Pult. Die klassische Schallplattenaufnahme mit den Leningradern finden Sie auch auf Spotify. Das Thema klingt tatsächlich, wie wenn es von Boccherini wäre, aber es ist ein originales Thema von Tschaikowsky, das er Ende dem Ende 1876 geschriebenen Werk zugrunde legte. Anders verhält es sich bei der Suite für Orchester Nr. 4, Mozartiana, die Tschaikowsky 1887 schrieb um an die 100 Jahre zuvor erfolgte Uraufführung der Oper Don Giovanni zu erinnern. Hier sind es ausschließlich Kompositionen von Mozart, die lediglich neu instrumentiert wurden – allerdings nichts aus Don Giovanni. Und auch nicht alles direkt von Mozart, der dritte Satz, der bekannteste daraus, folgt einem Klavierarrangement des Ave verum von Franz Liszt. Und der letzte Satz, Thema mit Variationen folgt den Klaviervariationen von Mozart über ein Thema von Gluck. Davon gibt es mehrere Aufnahmen bei YouTube, ich empfehle diese von Neville Marriner dirigierte mit dem Frankfurter Rundfunkorchester, da können Sie auch die Klaviernoten dazu sehen. Es gibt bei YouTube auch eine Aufnahme mit der Partitur, die ist aber musikalisch nicht so spannend.
Wer die Originale für Klavier hören möchte wird auch fündig. Die »Kleine Gigue« K. 574 kann man hier auf einem Hammerflügel gespielt sehen. Das Menuett K. 355 spielt die Mozart-Spezialistin Mitsuko Ushida hier. Beim Ave verum ist es etwas komplizierter, das Arrangement ist Teil der A la Chapelle Sixtine, eine Impression seines Besuches dort, wo er das berühmte Miserere von Allegri und eben das Ave Verum von Mozart hörte. Hier kann man die ganze Komposition hören, gespielt von Valery Tyron. Das Ave verum beginnt bei 5:00. Die Variationen über »Unser dummer Pöbel meint« von Gluck kann man hier auf einem Tafelklavier gespielt hören, also so wie sie zu Mozarts Zeit wohl meist gespielt wurden. Wer die Arie von Gluck hören will, die Mozart variiert, kann das hier in einer historischen Aufnahme mit Ludwig Weber haben.
In Pique Dame gibt es beides, originale Musik aus dem 18. Jahrhundert und Stilzitate. Das berühmte Original ist in der Szene mit der Gräfin. Sie singt ein Lied aus dem 1. Akt von Richard Cœur-de-Lion von Grétry. »Je crains de lui parler la nuit« (»Ich habe Angst davor, ihn in der Nacht zu sprechen«) ist eine Sopran-Arie, sie wird gesungen von Laurette, der Tochter des verarmten Landedelmanns Williams, auf die Florestan, der Gouverneur des Schlosses von Linz ein Auge geworfen hat. Hier die Arie aus der Gesamtaufnahme, die derzeit seltsamerweise nirgends verfügbar ist, weder als CD noch bei YouTube. Es singt Mady Mesplé. Der Gouverneur geht tatsächlich nur in der Nacht aus dem Schloss, am Tag muss er aufpassen, dass der berühmte Gefangene nicht entwischt. Der berühmte Gefangene ist natürlich Richard Löwenherz. Der wird später von seinem Freund Blondes gerettet. Die Erkennungsmelodie, die Richard auf der Violine spielt und die sich dann gegen Ende des ersten Aktes zum Duett ausweitet, ist heute vor allem durch Beethoven bekannt, er schrieb diese Variationen darüber. Nun aber zurück zu Pique Dame und zum berühmten Lied. Hier ist die ganze Szene mit Martha Mödl aus der Wiener Aufführung von 1992, die es auch gesamt bei YouTube gibt.
Bleiben Sie gesund, bis demnächst
Curt A. Roesler

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