Der Zufall will es (oder vielleicht ist es auch kein Zufall), dass am gleichen Tag in der Deutschen Oper Berlin Antikrist von Rued Langgaard und in der Leipziger Oper Der Sturz des Antichrist Premiere haben. Beides sind sehr selten gespielte und lange vergessene Werke. Das aber – und natürlich der im Titel vorkommende Antichrist – ist schon alles, was die beiden Werke verbindet. Der Sturz des Antichrist wurde 1935 als Reaktion auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten komponiert und hat eine Opernhandlung mit durchgehenden Personen, während Antikrist mehr eine lyrische Sinfonie ist, die den Solisten zwar Namen gibt, jedoch kommen nur zwei von diesen in mehr als einem Bild vor. Selbstverständlich ist das Werk für ein Opernhaus komponiert und nicht für den Konzertsaal oder gar einen Kirchenraum (genauso wie – was oft vergessen wird – Carmina Burana von Carl Orff). Als Oratorium mag man es auch deswegen nicht bezeichnen, weil der Chor einen im Vergleich zu den meisten Werken dieser Gattung eine sehr kleine Rolle hat.
Der Komponist schrieb das Libretto selbst nach Texten der Bibel. Es finden sich Zitate oder Nachbildungen nicht nur der Offenbarung des Johannes und den Apostelbriefen, sondern auch des Buches Jesaja und des Markus-Evangeliums. Die zwei Akte mit je drei Bildern und der Prolog stemmen sich – den Grundüberzeugungen des Komponisten entsprechend – dem »Zeitgeist« entgegen. Dabei ist nicht gesagt, dass Langgaard tatsächlich glaubte, in einer Endzeit zu leben, aber er konnte mit den nihilistischen Tendenzen der Gegenwart nichts anfangen und fühlte sich verpflichtet ihnen etwas entgegenzusetzen. Das machte ihn vermutlich auch immun gegen den auch auch in Dänemark aufkommenden Nationalsozialismus, den er zwar soweit bekannt nicht aktiv bekämpfte, dem er sich aber offensichtlich auch nicht andiente, sonst wäre seine Karriere wohl anders verlaufen.
Der Prolog repräsentiert die Verabredung Gottes mit Luzifer, den Antichrist in die Welt zu senden als widersprüchliche Figur mit Anlehnungen an Bilder wie Das Lamm, Die Wahrheit, Die Hoffart, Aller Untergang, Die Lüge, Der Huren-Hasser und Der Huren-Träger. Luzifer tritt dabei als Bariton auf und beginnt sofort mit der Anrufung des Antichrist, Gott antwortet nur als Sprechstimme: »Mein Wille allein gescheh...«.
Das 1. Bild »Das Unwegsamkeitslicht« wird von der »Rätselstimmung« und deren Echo bestritten, wobei seltsamerweise das Echo der Stimme vorauseilt. Das 2. Bild »Die Hoffart« gehört dem »Mund, der große Worte spricht«. Die Tenorrolle kann man als Antichrist verstehen, dem wie im von Langgaard erwähnten Fresko von Signorelli der Teufel die Worte einflüstert. Das 3. Bild »Die Hoffnungslosigkeit« beendet den ersten Akt mit dem »Missmut« (Mezzosopran). Ein schattenhaftes Kreuz erscheint nach dem Wunsch des Komponisten hinter ihm und am Ende steht er als Gekreuzigter da.
Das 4. Bild »Die Begierde« wird von der »Großen Hure« (Sopran) und dem »Tier in Scharlach« (Tenor) als Einpeitscher beherrscht, denen »Die Menschheit« (Chor) nach der nutzlosen Frage »Wer ist dem Tier gleich? Wer vermag mit ihm zu kämpfen« nur mit »Amen« beipflichten kann. »Die große Hure« rettet sich in das 5. Bild »Streit aller gegen alle«, wo sie sich mit der »Lüge« (Tenor) und dem »Hass« (Bass) auseinandersetzen muss, bis die Welt zusammenbricht (Chor: »Die Sterne fallen«). Das 6. Bild »Die Verdammnis« beginnt mit der Feststellung der »Stimme« (Bariton wie Luzifer): »Gott ist tot!«. »Gottes Stimme« vernichtet darauf den Antichrist mit »Hephata!« Der »Chor im Licht« bleibt erst skeptisch, baut sich aber mit großem Pomp die Hoffnung auf Himmelstoren auf.
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