Montag, 4. November 2019

Samson et Dalila

Camille Saint-Saëns ist vor allem wegen einer Gelegenheitskomposition bekannt, Le carnaval des animaux, eine humoristische Suite für zwei Klaviere und kleines Instrumentalensemble, wechselnd von Miniatur zu Miniatur. Er hatte sie in einem abgeschiedenen Dorf in Österreich komponiert, wo er sich Anfang 1886 von einer misslungenen Konzerttournee durch Deutschland erholte. Früher hatte er in Deutschland große Erfolge gefeiert, aber seit er sich endlich auch in Frankreich etabliert hatte, gab er dort auch kritische Kommentare zum deutschen Musikleben von sich. Das hatte bei einem Konzert in Berlin am 22. Januar zu einem Skandal geführt, infolgedessen weitere geplante Konzerte abgesagt wurden. Daraufhin hatte er gar keine Lust mehr, an seiner 3. Sinfonie weiterzuarbeiten, wie er seinem Verleger mitteilte, sondern schrieb etwas rein zum Vergnügen. Er konnte nicht ahnen, dass ihn dieses kleine Werk ohne tierschürfende Ambitionen unsterblich machen sollte. Aber gerade die Nonchalance der Komposition deckt die hohe Kunst des Komponisten auf, der Neues aus dem Bekannten schöpft indem er die ganze Musikgeschichte parodiert. Auch die 3. Sinfonie, die »Orgelsinfonie«, die dann in diesem Jahr doch noch vollendet wurde, sollte ihn berühmt machen, ebenso wie das 1. Cellokonzert (1872) und das 3. Violinkonzert (1880) und die Danse macabre (1874) für Violine und Orchester.
Obwohl das Verzeichnis seiner Opernwerke 13 Titel umfasst – zugegeben, nur 12 sind es, wenn man die Vollendung eines Werks von Ernest Guiraud abzieht –, hat sich nur der erste auf den Bühnen der Welt durchgesetzt, Samson et Dalila. Mit 33 Jahren, 1868, begann er zusammen mit einem entfernten Verwandten, Ferdinand Lemaire, der das Libretto verfasste, mit der Arbeit daran. Zunächst war es als Oratorium geplant, aber schnell setzte sich die Idee einer Oper durch. Eine Oper, allerdings eine, die nie zur Aufführung gekommen war, setzte die Fantasie des Komponisten in Gang. Voltaire hatte 1733 einen Text für den mit Hippolyte et Aricie gerade zum Opernkomponisten gewordenen 50jährigen Cembalisten und Musiktheoretiker Jean-Philippe Rameau geschrieben. So etwas passte aber nicht in die »Académie royale de musique«, ein geistlicher Text von einem bekennenden Atheisten, da sei absolutistische König vor. Die Aufführung wurde schon im Voraus verboten und die Musik ist infolgedessen auch nicht erhalten. Soweit wie der elsässische Komponist Johann Baptist Weckerlin, der das Libretto von Voltaire 1890 noch einmal ganz neu vertonte, ging Saint-Saëns dabei natürlich nicht. Der deutlichste Einfluss Voltaires zeigt sich in der Beziehung zwischen den beiden Hauptpersonen, die auch Liebe und Leidenschaft nicht ausspart.
Die mehrmals unterbrochene Entstehung der Komposition ist mit zwei bedeutenden Komponistinnen verknüpft: Pauline Viardot (1821–1910)  und Augusta Holmès (1847–1903). Saint-Saëns war ein großer Bewunderer von Pauline Viardot, die er als Jugendlicher als Fidès in Le Prophète und als Sapho in Gounods gleichnamiger Oper gehört hat und die er als Komponistin in den höchsten Tönen preist. Ihre Stimme hatte er im Ohr bei der Komposition der Partie der Dalila. Leider hatte sie sich aber schon 1863 (im Alter von 42 Jahren!) von der Bühne zurückgezogen und trat nur noch in privatem Kreis auf. Eine Ausnahme machte sie nur 1870 in Jena, wo sie die Alt-Rhapsodie von Johannes Brahms auf dessen ausdrückliche Bitte zur Uraufführung brachte. 1874 organisierte sie in Croissy eine Privataufführung des zweiten Aktes von Samson et Dalila, in der sie selber auch sang, die aber ausgewählten Publikum – darunter der Direktor der Pariser Oper – nicht gut ankam. Auch eine  konzertante Aufführung des ersten Aktes im folgenden Jahr stieß auf Ablehnung und es kam wieder die Idee einer Uraufführung in Weimar auf, die schon einmal für 1870 ins Auge gefasst worden war, was aber der deutsch-französische Krieg verhinderte. Am 2. Dezember 1877 endlich kam die seit zwei Jahren fertige Oper dort in deutscher Übersetzung endlich zur Uraufführung.
Augusta Holmès war ganz am Anfang dabei, als Saint-Saëns das Projekt Samson et Dalila 1868 in einer privaten Soiree vorstellte, sang sie die Partie der Dalila. Auch über sie schreibt Saint-Saëns mit großer Hochachtung.
Im Buch der Richter Kapitel 13 bis 16 wird die Geschichte von Samson (Schimschon = kleine Sonne) erzählt. Es ist eine märchenhafte Geschichte über einen der Könige (Richter) Judas mit vielen Elementen wie Jungfrauengeburt und Heldentaten. Er tötet einen Löwen mit bloßen Händen und besiegt die Feinde Israels. Die Ehe mit er Tochter eines Philisters geht vollkommen schief. Viel später erst er, nachdem er in Gaza bei einer Hure war, Dalila kennen in die er sich verliebt und die ihn für Geld verrät. Nachdem seine göttliche Kraft geschwunden ist, weil seine sieben Locken abgeschnitten wurden, muss er geblendet im Gefängnis den Mühlstein drehen. Bei einem Fest zu Ehren des Philistergottes Dagon soll er als Volksbelustigung auftreten. Da lässt er sich von einem Knaben zwischen die Säulen bringen, die Gotteshaus tragen und betet zu seinem Gott noch einmal um die alte Kraft. Er reißt den Tempel um und geht mit den Philistern unter.
John Milton gab 1671 als Beigabe zu seinem Paradise regained eine Dramatisierung des Stoffs Samson Agonistes heraus. Benedetto Ferrari schrieb 1680 ein Oratorium Il Sansone.  Die Oper von Voltaire und Rameau entstand in der gleichen Zeit wie Georg Friedrich Händels von Milton inspiriertes Oratorium Samson, das am 18. Februar 1743 in Londons Royal Opera House Covent Garden zur Uraufführung kam.
Nachdem 1890 in Rouen die französische Erstaufführung von Samson et Dalila erfolgreich über die Bühne ging und im gleichen Jahr auch im Théâtre-Lyrique in Paris gespielt worden war, trat das Werk mit der Aufführung in der Opéra am 23. November 1892 seinen Siegeszug durch die ganze Welt an und überstrahlte bald alle anderen Opernerfolge des Komponisten wie Henri VIII (1883) und Proserpine (1887).

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