Mittwoch, 9. Januar 2019

Schlafwandler

Fangen wir doch einfach mit La sonnambula an. Vermutlich sind einzelne Menschen schon immer bewusstlos durch die Nacht gewandelt. Wissenschaftliche Untersuchungen des Somnambulismus gibt es aber erst, seit Armand de Chastenet de Puységur 1784 entdeckt hatte, dass man diesen Zustand auch künstlich herstellen kann – und damit die Grundlage für die Hypnose legte. Seit dem 19. Jahrhundert finden sich zahlreiche Schlafwandelszenen Eingang in der Literatur. Nicht zu vergessen werden sollen dabei die selteneren aus früherer Zeit wie die der Lady Macbeth in Shakespeares Macbeth. Bei Kleist finden wir solche Szenen im Käthchen von Heilbronn (1807–1808) und im Prinz Friedrich von Homburg. Weitere Dramen aus dieser Zeit sind bekannt, darunter eine Vaudeville-Komödie von Eugène Scribe (dem berühmten Opernlibrettisten), der zusammen mit Casimir Delavigne (dem Bruder von Germain Delavigne, mit dem er u. a. in Les huguenots zusammenarbeitete) 1819 La sonnambule schrieb. In den letzten Jahren der Bourbonischen Restauration, also in der Zeit von 1827 bis 1830 waren solche Themen offenbar besonders auf den Parier Bühnen beliebt, daher holte Scribe das Vaudeville hervor und verarbeitete es zusammen mit dem gleichaltrigen Ferdinand Hérold zu dem Ballett La sonnambule ou L'arrivée d'un nouveau seigneur, das großen Erfolg hatte und in den übrigen Ballett-Zentren der Welt Nachwirkungen zeigte. So war es das zweite Ballett, das Auguste Bournonville in einer eigenen Fassung nach Kopenhagen brachte. Deswegen werden wir uns vielleicht in diesem Kurs auch einmal mit einem Ballett befassen, nämlich mit La Sylphide, die uns wieder zu Heinrich Heine und seinen Elementargeistern bringt. Heinrich Heine, der nach der in Deutschland gescheiterten Juli-Revolution nach Paris ins Exil ging und dort noch viele dieser Bühnenstücke antraf, die das Übersinnliche thematisieren – namentlich die »Féeries«, aber auch Ballette uns Vaudevilles, die nicht ausdrücklich so benannt sind.
Als Felice Romani und Vincenzo Bellini Ende 1830 auf den Stoff aufmerksam wurden, konnten sie damit gleich zwei Probleme lösen. Erstens hatten sie gerade eine größere Auseinandersetzung mit der Zensur vor sich. In Italien nämlich hatte es keine Juli-Revolution gegeben und also folglich existierte die Theaterzensur noch wie eh und je. Und sie wollten gerade Victor Hugos Hernani zu einer Oper umformen. Das hat erst viel später Giuseppe Verdi dann gewagt. Diese Problem hate sie als sicher gelöst. Das zweite war nicht so einfach. Es gat nach dem Achtungserfolg I Capuleti e i Montecchi jetzt den Welterfolg zu schreiben. La sonnambula sollte einem über 40-jährigen Dauerbrenner ebenbürtig werden, Nina, la pazza per amore von Giovanni Paisiello.

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