Dienstag, 4. Dezember 2018

Jules Massenet

Im gleichen Jahr, 1910, aber erst im Dezember wurde die Operette Don Quixote in Wien uraufgeführt. Sie ist vollkommen vergessen, wie fast auch ihr Komponist, Richard Heuberger. Nur noch in den Theatern, wo überhaupt Operetten aus der »silbernen« Ära aufgeführt werden, wird seine Operette Der Opernball (uraufgeführt 1898) gelegentlich gegeben. Die Handlung dieser Operette ist übrigens nicht in Wien angesiedelt, wie man heute vielleicht glauben möchte, sie spielt in Paris. Don Quixote jedoch ist vollkommen vergessen, so muss man sich erst durchrecherchieren, um zu erfahren, dass es sich bei dieser letzten Operettenuraufführung von Heuberger um einen Einakter handelt und dass der Uraufführungsort der Keller des Theaters an der Wien war, die Kabarettbühne »Die Hölle«.
Jetzt aber zu Jules Massenet: ein nach wie vor unterbewerteter Komponist des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Zwei Werke immerhin haben sich im internationalen Opernrepertoire festgesetzt: Manon und Werther. Zwei Opern, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Dank einiger Bassisten, die gern in die Fußstapfen von Schaljapin treten wollten, wird auch Don Quichotte regelmäßig aufgeführt. In den 50er Jahren waren das der Serbe Miro Changalovich (so eine damals übliche Umschrift für: Мирослав Чангаловић) und die Bulgaren Nicolai Ghiaurov (Николай Гяуров) und Boris Christoff (Борис Христов). In den 70ern Ruggero Raimondi, Gabriel Bacquier und José van Dam, heute vor allem Ferruccio Furlanetto. Und vielleicht wächst auch Alex Esposito hinein, der die Partie im Frühjahr an der Deutschen Oper Berlin singen wird.
Das Besondere an Massenet ist, dass er für jedes Werk einen eigenen Stil entwickelt, der ganz auf das Publikum gerichtet ist. Manon ist für das Publikum der »Opéra-Comique« geschrieben, das Brillanz und in gewissem Maße Frivolität erwartet, Werther für das Wiener Ringstraßen-Publikum, das schon seinen Wagner intus hat und dementsprechend nur Durchkomponiertes erträgt. Und Don Quichotte eben für Monte-Carlo, was Götz Friedrich auf die Idee brachte, seine Inszenierung 1910 in Monte-Carlo spielen zu lassen. Die Folge waren ab da, 1971,  unzählige Operninszenierungen (bis heute ist die Mode noch nicht ganz überwunden) »in der Entstehungszeit«.
Cervantes-Kenner sind entsetzt, wenn sie der Figur der Dulcinée in Massenets Don Quichotte begegnen. Genau das ist es, was Cervantes nicht meinte. Dulcinea ist im Roman eine schäbige, hässliche »Dirne«, die sich Don Quixote schön und glanzvoll als Burgfräulein denkt. Konsequenterweise begegnen sich die beiden im Roman nie. Aber auch Don Quichotte selbst entspricht keineswegs der Romanfigur so genau. Nicht zu vergessen, Cervantes wollte mit dem Untergang des Ritters beweisen, dass zu viel Romanlektüre zur Vernebelung der Sinne führt. Er wollte gar nicht, dass mann allzu viel Sympathie für den Verfechter der untergegangenen Zeit empfindet. Das aber funktioniert nicht als Bühnenstück. Und wenn man am Ende nicht mit Don Quichotte fühlen würde, hätte sich Schaljapin niemals für die Rolle interessiert. Die Idee zur Uminterpretation der Dulcinée stammt nicht von Massenet und auch nicht von seinem bewerten Librettisten Henri Cain, sondern von Jacques Le Lorrain, dessen Drame-héroïque Le chevalier de la longue figure von 1904 (sein letztes Werk, dessen Erfolg er nicht mehr genießen konnte) dem Libretto zugrundeliegt.
Das zugrundeliegende Drama hat vier Akte sowie einen Prolog und einen Epilog. Don Quichotte von Massenet hat – ganz wie es sich für ein Werk für die Opéra de Monte-Carlo gehört – fünf Akte. Der fünfte Akt, nur eine gute Viertelstunde mit dem Tod des Don Quichotte, hat dabei die Funktion eines Nachspiels, ein Vorspiel (wie in Les contes d'Hoffmann) gibt es nicht. Der 1. und 4. Akt gehören Dulcinée. Der 2. und 3. sind für zwei berühmte Abenteuer Don Quichottes reserviert, dem Kampf mit den Windmühlen und der Bekehrung der Räuber durch das Gebet.
Im ersten Akt fällt an Massenets Musik auf, dass Melodie, Rhythmus und Harmonie je eine eigene Rolle spielen. Die Elemente der Musik sind quasi auseinander gezogen. In gewisser Weise erinnert es an das, was wir bei Rameau gesehen haben. Am Anfang stehen Harmonien ganz für sich allein, dann wird getanzt und alles wird vom Rhythmus bestimmt. Und wenn Don Quichotte sein Ständchen singt, ist alles nur noch Melodie.

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