Samstag, 2. September 2017

Die neueste Oper von Aribert Reimann (nach Maeterlinck)

Am 8. Oktober kommt L'invisible von Aribert Reimann zur Uraufführung. Als Vorlage verwendete Aribert Reimann drei frühe Stücke von Maurice Maeterlinck. Ein Grund, sich zunächst einmal mit diesem flämisch-französischen Dichter zu befassen. Er ist der Hauptvertreter des Symbolismus im Theater, der wiederum viel mit Musik, insbesondere mit Richard Wagner zu tun hat. Die Symbolisten, die sich gegen den akademischen Kunstbetrieb im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts auflehnten, waren alle von Tannhäuser und Parsifal fasziniert. Kein Wunder also, dass es Maeterlinck zur Oper zog, er sogar mehrere Libretti für Opern schrieb, die allerdings fast alle etwas in Vergessenheit geraten sind. Nur ein Titel ist wirklich bekannt – und diese Oper haben wir auch schon mehrfach behandelt in unsrem Kurs – Pelléas et Mélisande.
Claude Debussy schrieb die Oper auf einen Text von Maeterlinck, den dieser allerdings als Schauspiel verstanden wissen wollte. Zu einer wirklichen Zusammenarbeit mit Debussy kam es nicht, da dem Dichter seine zweite Affinität zur Oper in die Quere kam. Seine Lebensabschnittspartnerin für immerhin 23 Jahre war nämlich eine recht prominente Sängerin, Georgette Leblanc. Debussy hielt aber nichts davon, sie als Mélisande zu besetzen, und wählte eine noch prominentere, Mary Garden. Das hatte immerhin zur Folge, dass sich Maeterlinck für eine weitere Uraufführung an der Opéra-Comique ins Zeug legte. Und damit sind wir bei der zweit bekanntesten Oper mit einem Text von Maeterlinck, Ariane et Barbe-Bleue von Paul Dukas. Olivier Py, der an der Deutschen Oper Berlin Le Prophète von Giacomo Meyerbeer inszenieren wird, hat sie in Strasbourg auf die Bühne gebracht. Bei YouTube kann man die Produktion hier sehen.
26 Bühnenwerke listet die englischsprachige Wikipedia von Maeterlinck auf. Keines davon hat nichts mit Musik zu tun. Schon das erste Werk, mit dem Maeterlinck 1889 als Bühnenautor auf sich aufmerksam machte, La Princesse Maleine, weckte das Interesse von Claude Debussy und Erik Satie, denen der Autor aber die Genehmigung für eine Opernfassung verweigerte, weil er sie bereits an Vincent d'Indy erteilt hatte. Doch Vincent d'Indy kam mit der Komposition nicht voran, so machte sich zwei Jahrzehnte später Lili Boulanger daran, doch sie starb, ehe sie ihre Oper vollenden konnte. Auch das nächste Bühnenstück, L'intruse (1890), weckte früh das Interessen von Komponisten. Es existieren drei Opern zu diesem Titel. Der bekannteste Komponist ist Louis Durey – das ist der unbekannteste Komponist aus der »Group des six«. Bei Aribert Reimann bildet ein Konzentrat dieses Stücks den zweiten Teil der Oper L'Invisible.
Les Aveugles – Die Blinden – ist vielleicht das bekannteste Bühnenstück von Maeterlinck und jedenfalls ein Schlüsselwerk für den Symbolismus. Nicht weniger als sechs Mal ist bisher daraus eine Oper geworden. Seltsamerweise entstanden fünf dieser Werke zwischen 1972 (Stephen Oliver) und 1989 (Beat Furrer). 1984 wetteiferten DDR und BRD gewissermaßen um die künstlerische Deutungshoheit für dieses Werk: Paul-Heinz Dittrich mit Kammermusik VII zu dem Thema in der Berliner Staatsoper und Walter Zimmermann mit einem »statischen Drama« für 12 Sänger und 9 Instrumentalisten im Musiktheater in Gelsenkirchen.
Der Titel Les sept princesses (Die sieben Prinzessinnen) klingt schon nach Märchenoper. Tatsächlich interessierte sich Anton von Webern 1910 kurzzeitig dafür. Ein Russischer Komponist, Vassily Nechajew, komponierte 1923 eine Oper danach.
Pelléas et Mélisande hat mehr Musik hervorgebracht als nur die bekannte Oper von Claude Debussy. Arnold Schönberg schrieb eine Symphonische Dichtung und Jean Sibelius eine Bühnenmusik.
Alladine et Palomides war der Stoff von Maeterlinck, für den sich Webern zuerst interessierte. Dafür ist sogar ein Skizzenblag erhalten. Drei verschiedene tschechische Komponisten haben in den 1920er und 1930er Jahren Opern danach geschrieben. Für Intérieur (1894) interessierte sich Maurice Ravel, aber es sind keine Skizzen dafür übrig geblieben. Ebenfalls aus dem Jahr 1894 ist die Hauptquelle für L'Invisible von Aribert Reimann, La Mort de Tintagiles. Schon Carl Orff hatte sich dafür und auch für das nächste Drama, Aglavaine et Sélysette, interessiert. Das war in seiner impressionistischen Phase, aus der so gut wie nichts erhalten ist außer dem Einakter Gisei – Das Opfer, den die Deutsche Oper Berlin 2012 konzertant zur Aufführung brachte und auch auf CD veröffentlichte. Tintagiles hat außerdem eine große Zahl von Symphonischen Dichtungen hervorgebracht, darunter eine des Deutsch-Amerikaners Charles Martin Loeffler, die hier mit Noten zum mitlesen auf YouTube zu hören ist. Berühmt ist auch eine Schauspielmusik von Ralph Vaughan Williams. Vor 10 Jahren kam bei der Helikon Oper in Moskau de Oper eines damals erst zwanzigjährigen Komponisten heraus. Er heißt Sergey Neller und hat inzwischen auch an der UdK in Berlin u. a. Dirigieren studiert. Im letzten Jahr gewann er den zweiten Preis beim Mahler Dirigentenwettbewerb in Bamberg. Hier ist die Produktion der Helikon Opera zu sehen.
Zu Ariane et Barbe-Bleue ist noch die Besonderheit zu erwähnen, dass das Drama, das Maeterlinck später für Dukas zum Libretto umarbeitete, zuerst 1899 in deutscher Übersetzung erschien. Sœur Béatrice vertonten Alexander Gretschaninow 1910 und Dimitri Mitropoulos 1920. Monna Vanna von Henri Février kennen vor allem Sammler alter Schallplatten. Der berühmte Bass Vanni-Marcoux (damals in Frankreich fast so berühmt wie Schaljapin), der die Rolle des Guido Colonna darin kreiert hatte, hat eine Schallplatte aufgenommen, hier ist sie zu hören. Doch auch von Sergej Rachmaninow gibt es eine Monna Vanna, die blieb allerdings unvollendet, aber hier gibt es das Fragment in englischer Sprache.
Das ist nur eine erste, sicher unvollständige, Zusammenstellung der Werke von Maeterlinck bis 1902, die noch fortgesetzt werden kann. Insbesondere fehlt ja noch L'oiseau bleu, Der blaue Vogel, mit dem Maeterlinck 1909 seinen großen Durchbruch in Russland hatte.
Bis bald,
Curt A. Roesler

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