Dienstag, 18. April 2017

Cinq-Mars, Alfred de Vigny, Charles Gounod und die Wahrheit

Die meisten Opern-Liebhaber kennen den Ausspruch von Giuseppe Verdi, wonach die Wahrheit nachzubilden gut ist, die Wahrheit erfinden jedoch weit besser. Verdi ist jedoch nicht der erste, der für die Kunst eine höhere Wahrheit einfordert, die in der Schilderung von Details nicht unbedingt auf objektiver Beobachtung ruhen muss. Die Auseinandersetzung um die Wahrheit in der Kunst begann mit dem historischen Roman, wie er von Walter Scott im frühen 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Achim von Arnim hat sich dazu geäußert (im Zusammenhang mit seinem späten Roman Die Kronenwächter), auch Walter Scott und Alessandro Manzoni, alle in ganz unterschiedlicher Weise. Erstaunlicherweise ist es gerade Alessandro Manzoni, den Verdi sehr verehrte, der auf größtmöglicher Quellentreue bestand. Einen der wichtigsten Texte über die Wahrheit in der Kunst aber hat Alfred de Vigny geschrieben. Einer Neuausgabe seines Romans Cinq-Mars, drei Jahre nach der Erstveröffentlichung 1826, stellte er ein Vorwort mit der Überschrift »Réflexions sur la vérité dans l'art« (»Betrachtungen über die Wahrheit in der Kunst«) voran. Darin schreibt er: »… denn die Wahrheit, von der sich [das Kustwerk] ernähren muss, ist die Wahrheit der Beobachtung menschlicher Natur und nicht die Bezeugung der Wirklichkeit
Die strikte Trennung von »Fiction« und »Non-Fiction«, wie wir sie heute in den Buchhandlungen (vor allem im englischsprachigen Raum) kennen, gab es am Anfang des 19. Jahrhunderts noch kaum. Es wurde noch nicht zwischen Geschichtsschreibung und Geschichtswissenschaft unterschieden. Man sollte also die Personen, die in historischen Romanen auftauchten für ebenso real halten, wie quellengestützte wissenschaftliche Beschreibungen derselben. Alfred de Vigny gibt in seinem Vorwort zu, dass er keine Quellen zitiert oder nachzeichnet, sondern eigene Charaktere entwirft, die in ihrer Gesamtheit eine vergangene Epoche lebendig werden lassen, aber nicht nachprüfbar sind.
Henri Coiffier de Ruzé d'Effiat, Marquis de Cinq-Mars (1620–1642) verlor seinen Vater mit 10 Jahren. Kardinal Richelieu, ein Freund des Vaters, nahm sich seiner an und führte ihn 1639 beim König Ludwig XIII. ein. Schnell stieg Cinq-Mars zum »favori«, zum Günstling des Königs auf. Was genau das zu bedeuten hat, bleibt offen, aber die Beziehung zwischen einem Herrscher und dessen Günstling weckt immer Eifersüchteleien, egal, ob die Liebe platonisch bleibt oder nicht. Im Falle von Cinq-Mars bleibt festzuhalten, dass der Marquis ein außergewöhnlich attraktiver junger Mann war, der gleichermaßen auf Frauen wie Männer wirkte. Er selbst scheint doch eher an Frauen interessiert gewesen zu sein, mit Marion Delorme hatte er nicht nur ein Liebesverhältnis, sondern auch zwei Kinder, und der Grund für das Zerwürfnis mit Richelieu war ebenfalls eine Frau, Luisa Maria Gonzaga. Sie wollte Cinq-Mars heiraten – was nicht ganz standesgemäß gewesen wäre, aber auch nicht unmöglich – Richelieu aber verfügte, dass sie den König von Polen heiraten müsse, von dem sie 1634 schon den ersten Antrag erhalten hatte. Cinq-Mars wendet sich daher einer Verschwörung gegen Richelieu zu und kontaktiert Unterstützer in Spanien. Wegen Hochverrats wird er am 12. Sepember 1642 in Lyon hingerichtet.
Der originale Untertitel des Romans von de Vigny ist »Une conjuration sous Louis XIII«, »Eine Verschwörung unter Ludwig XIII.« Deutsche Übersetzungen machten im 19. Jahrhundert »Eine Verschwörung gegen Richelieu« daraus. Eine 1997 bei Bastei Lübbe erschienene Neuübersetzung trägt den Untertitel »Der Rebell des Königs«. Die Oper Leipzig hat diesen Untertitel nun für ihre Ankündigungen der Oper Cinq-Mars von Charles Gounod übernommen.
Cinq-Mars, uraufgeführt 1877, 10 Jahre nach Roméo et Juliette, ist die letzte der drei weitgehend unbekannt gebliebenen letzten Opern von Gounod. Es folgten noch Polyeucte (1878) und Le tribut de Zamora (1881). 2016 brachte Palazetto Bru Zane, das »Zentrum für französische romantische Musik« in Venedig, die Partitur neu heraus und Ulf Schirmer dirigierte die erste Aufführung nach weit über 100 Jahren in München konzertant. Nun kommt es zu szenischen Erstaufführung in Leipzig.
Die Oper – komponiert für die Opéra-Comique, jetzt aber in der Rezitativ-Version, die Gounod für die Scala erstellte – hat vier Akte und fünf Bilder.
1. Akt
Im Schloss des Marquis Cinq-Mars
Die Freunde lassen den Marquis hochleben, der bald eine Stellung am Hof einnehmen wird. Dieser vertraut seinem Freund de Thou an, dass er sich in Maria Gonzaga verliebt hat. Joseph, der abgesandte Richelieus kündigt nicht nur die Berufung des Marquis an den Hof Ludwigs XIII. an, sondern auch die geplante Hochzeit Marias mit dem König von Polen. Nun wird die künftige Königin gefeiert. Cinq-Mars und Maria verabreden sich für den Abend. Ein Chor leitet in die Abendstimmung über. Maria versucht sich Klarheit über ihre Gefühle zu verschaffen. Cinq-Mars erklärt ihr seine Liebe und in einem großen Duett bekennt sie sich schließlich zu ihm.
2. Akt, 1. Bild
Paris, in den königlichen Gemächern
Die Höflinge feiern die Schönheit Marion Delormes und unterhalten sich über Cinq-Mars, der immer mehr Einfluss auf den König nimmt. Sie überlegen, wiesie ihn für Ihre Sache – das Ende der Macht Richelieus – gewinnen können. Marion weiß zu berichten, dass der Kardinal beabsichtige, Cinq-Mars in die Verbannung zu schicken. Das würde das gesellschaftliche Leben in Paris nach Fontrailles Ansicht sehr viel langweiliger machen, wie er in einer Arie vorbringt. Marion wird am nächsten Tag einen Ball geben, da können sich die Verschwörer treffen. Cinq-Mars wird willkommen geheißen. Er denkt nur an Maria, die nun tatsächlich auch am Hof ankommt. Sie feiern ihr Wiedersehen. Doch Joseph bringt die Botschaft, dass Richelieu sich nach wie vor einer Heirat Marias mit Cinq-Mars widersetzt, obwohl der König inzwischen die Erlaubnis dazu erteilt hat. Er besteht weiter auf einer Heirat mit dem König von Polen.
2. Akt, 2. Bild
Bei Marion Delorme
Dichterlesungen, Tänze und weitere Vergnügungen verdecken schlecht, was der eigentliche Grund für die Zusammenkunft ist: kommt er, oder kommt er nicht? Er – Cinq-Mars – kommt und erklärt, dass der König Frankreich nicht mehr unter Kontrolle hat und dass ein Bürgerkrieg unausweichlich ist. Er habe in Spanien um Unterstützung geworben. Die Warnung De Thous vor dem Einbeziehen einer fremden Macht schlägt er in den Wind. Die Verschwörung wird besiegelt.
3. Akt
Vor einer Kapelle, am nächsten Tag
Maria ist entschlossen, Cinq-Mars sofort zu heiraten. Sie gehen in die Kapelle und aus dem Versteck kommt Joseph mit einem Spion, der die Verschwörung verrät. Cinq-Mars stürmt davon und Joseph hält Maria zurück. Er eröffnet ihr, dass Cinq-Mars des Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt werde. Er würde aber begnadigt, wenn sie jetzt endlich der Heirat mit dem König von Polen zustimme. Dieser kommt mit einer Jagdgesellschaft vorbei und Maria gibt ihm verzweifelt ihr Ja-Wort.
4. Akt
Gefängnis
Cinq-Mars beklagt, dass Maria ihn verlassen hat. Da erscheint sie selbst und berichtet, wie Joseph sie unter Druck gestezt hat. Sie erklärt, dass sie immer nur Cinq-Mars geliebt habe. De Thou kommt mit dem Plan einer Befreiung am nächsten Tag. Doch der Kanzler und Joseph kommen und kündigen an, dass Cinq-Mars noch vor dem Abend hingerichtet würde. So wird aus dem Befreiungsplan nichts. Maria und De Thou singen ein letztes Gebet für Cinq-Mars.

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