Dienstag, 8. September 2015

Vasco da Gama

Über Vasco da Gama haben wir schon gesprochen, als in Chemnitz die Erstaufführung der Neuausgabe dieser Oper vorbereitet wurde. Da stand uns allerdings das Aufführungsmaterial noch nciht zur Verfügung und die Rundfunkübertragung aus Chemnitz ließ auch noch auf sich warten, so dass wir uns nur theoretisch damit auseinenadersetzen konnten, also vor allem mit den Intentionen des Komponisten, wie sie die Musikwissenschaft bis dahin zutage gefördert hatte. Jetzt haben wir den direkten Vergleich und können uns den Unterschieden zu der traditionellen Fassung zuwenden.
Natürlich haben die Forscher zu allererst Musik gefunden, die Meyerbeer für die Oper komponiert hatte, die aber schon zur Uraufführung – die er ja nicht mehr selber überwachen konnte, da er 1864 starb – gestrichen waren und auch nicht in die gedruckte Ausgabe aufgenommen wurde.
Fangen wir mit dem Ende an: der in den traditionellen Klavierauszügen »Große Scene des Manzanillobaums« genannte lange Abschied der (dort) Titelheldin (aber auch nicht so richtig, denn sie ist ja keine afrikanische, sondern eine indische Königin) ist von Meyerbeer mit noch mehr Musik ausgestattet und formal in zwei musikalische Nummern eingeteilt. Die erste besteht aus einer Kavatine (langsames Tempo), einer Arie (schnelles Tempo) und einem wiederum langsameren Stück mit Hintergrundchor, in dem sie von Vasco träumt; die zweite ist eine weitere Arie der Selika. in der sie mit dem imaginierten Vasco spricht. In der traditionelles Fassung fehlen eigentlich beide Arien, erhalten ist die erste Strophe der Kavatine und der langsamere Teil mit dem Hintergrundchor. Auch das eigentliche Finale unterscheidet sich wesentlich. In der von dem belgischen Komponisten François-Joseph Fétis redigierten Uraufführungs- und Druckfassung wird Neluskos Auftritt durch ein Arioso musikalisch aufgewertet, das nicht original ist. In Meyerbeers Fassung bleibt Nelusko dafür bis zum Ende auf der Bühne und beteuert, dass er bei seiner geliebten Königin bleibt. Ob er mit ihr stirbt, ist dabei nicht ganz klar.
Diese letzte Szene ist in der Originalfassung für die Sängerin der Selika, gelinde ausgedrückt, eine Herausforderung. Die Herausgeber schlagen daher vor, die Kavatine ganz wegzulassen. Warum gerade dies, bleibt deres Geheimnis. Es kann eigentlich nur das Bedürfnis sein, möglichst viel unbekannte Musik zu präsentieren. In der Aufführung der Deutschen Oper Berlin bleibt eine Strophe der Kavatine (wie bei Fétis) und die zweite Arie (die dramaturgisch nichts Neues bringt) wird weggelassen.
Noch größere Veränderung als die Schlußszene erfährt das erste Bild des 5. Aktes, die Gärten der Königin, in der jetzt restituierten Originalfassung. Vor dem Duett Inès-Selika (das in manchen traditionellen Aufführungen, zuletzt etwa in der am Teatro La Fenice 2013, wegfiel) hat Inès noch eine Arie. Die Figur wird dadurch wesentlich aufgewertet als ebenbürtige Rivalin. Und nach diesem Duett kommt auch Vasco noch einmal auf die Bühne, der in der traditionellen Fassung im 5. Akt gar nicht auftaucht. Selika überrascht ihn kniend vor Inès, sieht sich verraten und schickt ihn weg. Das Duett hat damit einen ganz anderen (oder besser gesagt: jetzt erst den richtigen) Ausgangspunkt.
Soviel für diese Woche. Mit dem bekanntesten Stück aus der Oper, der Arie des Vasco aus dem 4. Akt, befassen wir uns demnächst. Auch da hat Fétis eingegriffen.

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